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Gekommen, um zu bleiben Während die Rechte die Verallgemeinerung des Multikulturalismus nutzt, Einwanderungsgesellschaften kritisieren, geht es hier darum, den Multikulturalismus als neuartiges Phänomen von modernen Gesellschaft aufzuzeigen, mit dem man einen Umgang finden muss.

Gekommen, um zu bleiben

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Am Stammtisch und in Parteizentralen wird der Begriff »Parallelgesellschaft« gerne bemüht. Gemeint sind damit aber oft recht unterschiedliche Dinge.

Österreich ist schon längst im Multikulturalismus angekommen. In manchen Straßenzügen Wiens reiht sich der schwarzafrikanische Friseurladen mit Rasta-Perücken lückenlos an den türkischen Kebap-Verkäufer und der muslimische Gebetsraum ist nicht unweit des Fußballfanklubs »Roter Stern Belgrad« untergebracht. Es herrscht eine Polyphonie der Kulturen, wobei die Menschen nicht mehr eindeutig einer homogenen Lebenswelt zuzuordnen wären. Das moderne Stadtbild gleicht damit einem Mosaik, das sich aus den unterschiedlichsten kulturellen Versatzstücken zusammensetzt.

Migration verändert die Gesellschaft

Dass die Gastarbeiter aus den 1960er-Jahren nicht mehr zurückkehren werden, gehört längst zur Binsenweisheit des politischen Sachverstandes - selbst in der politischen Rechten. Dass Migration eine Gesellschaft verändert, und wie mit diesen Veränderungen umzugehen ist bleibt aber weiterhin Thema hitziger Debatten. Dabei hat sich vor allem der Begriff »Pa­rallelgesellschaft« zu einem Schlagwort entwickelt, mit dem man versucht, die Probleme von Migration und Integration begrifflich zu fassen.
Das reizt natürlich zu Fragestellungen: Haben wir es tatsächlich mit Phänomenen von Parallelgesellschaften zu tun? Wenn ja, welche politischen Konzepte könnten dieses Problem bewältigen? Oder müssen wir uns von den alten Vorstellungen einer kulturell homogenisierten, gemeinsamen Grundwerten verpflichteten Gemeinschaft verabschieden?
Mit dem rhetorischen Angriff auf die Parallelgesellschaft wird vor allem die multikulturelle Sozialstruktur ins Visier genommen. »Ursprünglich wurde der Begriff von dem deutschen Politikwissenschafter Bassam Tibi in die Diskussion eingeführt. Damit hatte er sich polemisch gegen die Krisenerscheinungen des Multikulturalismus gewandt«, erklärt Hildegard Weiss, Professorin am Institut für Soziologie der Universität Wien mit Forschungsschwerpunkt Migration. »Mit dem Konzept wollte er die Bildung von ethnischen ­Enklaven in einer Gesellschaft aufzeigen. Der Multikulturalismus sei uns über den Kopf gewachsen und am Kippen.«
Doch der Begriff Multikulturalismus ist mehrdeutig - und damit auch die Kritik daran. Denn wenn etwa die politische Rechte von multikultureller Gesellschaft spricht, dann meint sie eigentlich Einwanderungsgesellschaften schlechthin. Der Begriff »Parallelgesellschaft« dient in diesem Zusammenhang vor allem dazu, das Phänomen Migration als solches zu denunzieren.
Ein Teil der sozial- und politikwissenschaftlichen Debatte meint mit Multikulturalismus jedoch etwas anderes. Hier stellt er eine bestimmte ordnungspolitische Alternative von Einwanderungsgesellschaften dar, die von anderen politischen Modellen zu unterscheiden sind. Konkret wird meist das Modell des Multikulturalismus kanadischer Prägung dem Modell des Nationalstaates französischer Provenienz entgegengestellt.

Multikulturelle Gesellschaft

Aber auch in der wissenschaftlichen Diskussion gibt es Stimmen, die den Multikulturalismus als ein konstitutives Merkmal der modernen - manche mögen auch sagen postmodernen - Gesellschaft schlechthin ansehen und nicht als konkretes ordnungspolitisches Modell. Der polnisch-britische Soziologe Zygmunt Baumann hat dies in dem Text »Making and Unmaking of Strangers« dargelegt. Er sieht im Umgang mit dem Fremden einen Paradigmenwechsel: »Alle Gesellschaften bringen Fremde hervor; aber jede Gesellschaft bringt ihre ganz und gar eigene Art von Fremden hervor … Während die modernen Fremden für die Vernichtung vorgesehen waren und als Markierung für die nach vorn sich verschiebende Grenze der Konstruktion befindlichen Ordnung dienten, sind die postmodernen Fremden - darin besteht freudige oder missgelaunte Übereinstimmung oder Resignation - hier, um hier zu bleiben.«
Während also die politische Rechte die Verallgemeinerung des Multikulturalismus dazu nutzt, Einwanderungsgesellschaften als solches zu kritisieren und den Prozess der Migration als umkehrbar darzustellen, geht es hier darum, den Multikulturalismus als neuartiges Phänomen von modernen Gesellschaften aufzuzeigen, mit dem man einen Umgang finden muss, ob man will oder nicht.
Die im Titel angedeutete Feststellung, dass die GastarbeiterInnen gekommen sind, um zu bleiben, hat somit eine tie­fere Bedeutung, die sich auf den ersten Moment noch nicht erschlossen hat. Denn damit haben wir uns nicht nur mit einer sozialen Gruppe auseinanderzusetzen, sondern mit dem gesamten Diskurs darüber, was denn eigentlich das Fremde bedeutet. Der Gastarbeiter der 1960er-Jahre entsprach dem modernen Paradigma des Fremden, der entweder assimiliert oder zurück nach Jugoslawien geschickt wird. Sohn und Tochter des Gastarbeiters hingegen sind mit ganz anderen Problemen und einer ganz neuen Debatte über das Fremde und die multikulturelle Gesellschaft konfrontiert.

Integration oder Spiel mit Differenzen

Diesem postmodernen Fremden wird mit Angst begegnet, die im Begriff Parallelgesellschaft mitschwingt: die Kopftuch-tragende oder gar Burka-tragende Muslima, die nur in türkischen Läden einkauft und der deutschen Sprache kaum mächtig ist. Gerade das Kopftuch und die Burka - und damit der Islam - stehen seit geraumer Zeit im Brennpunkt der Multikulturalismus-Debatte. Dass gerade in Frankreich ein Burka-Verbot beschlossen wurde ist kein Zufall, sondern eng mit dem Konzept des französischen Nationalstaates verknüpft.
Auch die Migrationsexpertin Hildegard Weiss argumentiert, dass für eine Gesellschaft ein gewisser Katalog an Grundwerten verbindlich sein müsste: »Insbesondere der Säkularismus in Euro­pa gehört zu diesen Werten. Die Religion muss in dem Dualismus Öffentlich-Privat dem Privaten zugeordnet werden.«
Während also Weiss durchaus Berechtigung für den Begriff Parallelgesellschaft sieht, gibt es dazu aber auch provokante Gegenstimmen. So meinen deutsche SozialwissenschafterInnen in der Einleitung des Sammelbandes »Was heißt hier Pa­rallelgesellschaft?«: »Die Debatte um die Parallelgesellschaft findet in einer virtuellen, vormodernen Welt der gefühlsmäßigen Orientierung an überkommenen gemeinschaftsgesättigten, gesamtgesellschaftlich angelegten Deutungsmustern statt.«
Die Politik stellt immer wieder neue Konzepte vor, um die angebliche Bedrohung von Parallelgesellschaften abzuwenden. »Die Stadt Wien ist in diesem Bereich wirklich bemüht und kann auf einige erfolgreiche Ideen verweisen«, erklärt Universitätsprofessorin Weiss. Entscheidend für den Erfolg solcher Angebote seien die politischen Grundsätze, denen sie folgen: »Stigmatisierung und Zwang bringen dabei überhaupt nichts, sondern wirken nur kontraproduktiv.«
Auch der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) setzt in diesem Bereich an. »Wir müssen zunächst genauer die Einwanderungsgruppen differenzieren«, erklärt Bernhard Achitz, Leitender Sekretär im ÖGB. »Während sich etwa bei den Schlüsselarbeitskräften kaum Probleme der Integration ergeben, bildet vor allem die Gruppe des Familiennachzuges eine Herausforderung.«
Menschen, die Arbeit hätten, wären demnach durch die berufliche Situation in die Gesellschaft integriert. Dies wäre aber bei den nachgezogenen Frauen und Kindern nicht der Fall, so Achitz. »Dabei spielt die Schule eine entscheidende ­Rolle. Denn über diese Institution ­können nicht nur die Kinder, sondern auch die Mütter erreicht werden. Dies wird teilweise auch schon umgesetzt«, so Achitz.

Wie Sisyphos und sein Felsen

Auf politischer Ebene wird also die Hoffnung gehegt, mit einem entsprechenden Bündel an Maßnahmen einen Integrationsprozess einleiten zu können, um so Parallelgesellschaften zu verhindern. Dennoch könnten die Akteure damit einem ähnlichen Schicksal unterliegen wie Sisyphos mit seinem Felsen. Denn unter dem Blickwinkel der postmodernen Differenzgesellschaft, geht es vielmehr um die Steuerung des Spiels mit diesen kulturellen Differenzen, als um die Integration zu einer homogenen Lebenswelt mit für alle verbindlichen Leitwerten.

Weblink
Institut für Soziologie, Universtität Wien:
www.soz.univie.ac.at/forschung/migration-ethnizitaet/

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