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140 Jahre zurückgeworfen Atypische Arbeitsverhältnisse ­hatten sich vor allem in Branchen etabliert, die einem starken Wandel unterworfen waren, wie etwa im Bereich des Marketings, in der IT-Branche oder in der Medienbranche.

140 Jahre zurückgeworfen

Schwerpunkt

Die arbeitsrechtliche Situation von atypischen Beschäftigten erinnert an jene des 19. Jahrhunderts. Die Gewerkschaft muss die Herausforderung annehmen.

Die Arbeiterbewegung hatte im Lauf ihrer Geschichte eine Reihe von Errungenschaften erkämpft, unter anderem auch die Einrichtung arbeitsrechtlicher Bestimmungen sowohl im Bereich der Industrie als auch im Dienstleistungssektor. Jetzt - 140 Jahre nach der Durchsetzung der Koalitionsfreiheit in der Habsburgermonarchie, der Geburtsstunde der Gewerkschaften - steht die Bewegung in manchen Branchen wieder am Anfang. Vor allem durch die Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse wurde der Druck auch auf Normalarbeitsverhältnisse erhöht. In ­Bezug auf die arbeitsrechtlichen Be­dingungen beginnt damit ein neuer ­Zyklus gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen.

Atypisch und prekär

Die Prekarisierung der Arbeitswelt ist eine Dynamik, die vor allem seit den 1980er-Jahren in Österreich eingesetzt hat. Zwar ist die Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse nicht per se gleichzusetzen mit einer Prekarisierung, dennoch ist sie ein starkes Indiz dafür. Der weiße männliche Arbeiter, von dessen Lohn eine Familie ernährt werden konnte, der sich Auto und Fernseher geleistet hat, und der einmal im Jahr mit seinem Anhang in den Urlaub gefahren ist, dieser fordistische Lohnarbeiter ist heute in Bedrängnis geraten. Freie Dienstverträge, Werkverträge und Teilzeitarbeit bestimmen in manchen Branchen die Arbeitsbedingungen.
Dabei versteht man in der sozialwissenschaftlichen Debatte unter Normalarbeitsverhältnis zumeist eine dauerhafte Vollbeschäftigung, die mit bestimmten Rechten - bezogen auf Arbeitsbedingungen, über gewerkschaftliche Organisierung bis hin zur Sozialversicherung - verknüpft ist. Demnach wären atypische Beschäftigungsverhältnisse eben solche, die von diesem Normalarbeitsverhältnis abweichen, angefangen von Teilzeitkräften bis hin zu Scheinselbstständigen mit Werkverträgen.
Diese atypischen Arbeitsverhältnisse hatten sich vor allem in Branchen etabliert, die einem starken Wandel unterworfen waren, wie etwa im Bereich des Marketings, in der IT-Branche oder in der Medienbranche. »In diesen Segmenten verabschiedeten sich die DienstgeberInnen von dem Normalkollektivvertrag und griffen auf freie Dienstverträge und Ähnliches zurück«, erklärt ­Andrea Schober, Sekretärin der GPA-djp und zu­ständig für die Interessengemeinschaft »work@flex«.
Tamara Geisberger und Käthe Knittler beziffern in den Statistischen Nachrichten den Anteil atypischer Beschäf­tigungsverhältnisse bei unselbstständig Erwerbstätigen mit fast 30 Prozent. Dennoch lässt sich die gesellschaftliche Bedeutung nicht bloß am statistischen Anteil ermessen: »Die atypischen Beschäftigungsverhältnisse sind kein Phänomen, das wir isoliert von der restlichen Arbeitswelt betrachten können. Es gibt entscheidende Rückwirkungen auf die Normalarbeitsverhältnisse, sodass man von einem Wandel der gesamten Arbeitswelt sprechen kann«, argumentiert Schober. »Hier lastet durch die neuen Verträge ein Druck auf der gesamten Belegschaft.« Der Verzicht auf eigentlich schon vorhandene Rechte wird nahegelegt, da man ja auf Arbeitskräfte mit »flexibleren« Verträgen zurückgreifen könne.
Aber nicht nur im Arbeitsrecht, sondern auch bei den Lohnverhandlungen steigt durch die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse der Druck bei den Normalarbeitsverhältnissen. »Die Keule der ArbeitgeberInnen führt auch in diesem Bereich zu einer Zurückhaltung auf Arbeitnehmerseite«, so Schober. Die Kräfteverhältnisse zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen haben sich somit durch die atypischen Beschäftigungsverhältnisse deutlich verschoben.
Diese Phänomene will Schober aber nicht bloß auf die veränderte Situation am Arbeitsmarkt zurückführen. Das Problem sei demnach nicht bloß eines von Angebot und Nachfrage am Markt der Arbeitskräfte: »Entscheidend ist auch das Niveau der gewerkschaftlichen Organisierung. Gerade in den erwähnten Bereichen ist sie leider noch sehr niedrig.«

Wirkung auf Arbeits- und Sozialrecht

Jene sozialen Rechte, die mit den Normalarbeitsverhältnissen verknüpft sind, haben - in unterschiedlicher Form und Abstufung - bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen nur beschränkt Gültigkeit. Denn je nachdem, ob es sich um formal selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit handelt, ist die sozialrechtliche Stellung zu beurteilen. Freie DienstnehmerInnen beispielsweise sind nun zwar seit 2008 umfassend sozialversichert, doch das Arbeitsrecht hat nur Gültigkeit, wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde. Neue Selbstständige im Rahmen eines Werkvertrages hingegen müssen sich selbst bei der Sozial­versicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft versichern.

Gesetzesfreier Raum

Die Situation erinnert dabei an die Anfänge der gewerkschaftlichen Organisierung: »Wir befinden uns hier in einem gesetzesfreien Raum. All jene Errungenschaften, die von der Gewerkschaftsbewegung mühevoll erkämpft wurden, sind in diesen Branchen ausgesetzt. Wir stehen aus unserer Perspektive - etwas überspitzt formuliert - in einer ähnlichen Situation wie vor etwa 140 Jahren«, argumentiert Schober.
Auch im Sozialrecht ergibt sich dadurch eine neue Problematik: »Konservativ-korporatistische Wohlfahrtsstaaten wie Österreich, Deutschland oder Frank­reich zeichnen sich durch erwerbsarbeitsorientierte und vorwiegend beitragsfinanzierte Systeme aus.
Durch die Dominanz des Versicherungs- und Äquivalenzprinzips wirken sich vergleichsweise niedrige und/oder diskontinuierliche Einkommen, wie sie bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen relativ häufiger vorkommen, aber auch nicht durchgängige Erwerbsbiografien, leistungsmäßig negativ aus«, erklärt der Politikwissenschafter Marcel Fink in einem Artikel in der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft aus dem Jahr 2000.

Strategien zur Bewältigung

Dennoch kann die Gewerkschaft auch im Kampf um die Besserstellung von prekär Beschäftigten auf Erfolge verweisen. Zunächst hatte man sich auf die Verbesserung der sozialrechtlichen Situation konzentriert: »Die sozialrechtliche Angleichung der freien Dienstverträge an die normale Erwerbstätigkeit im Jahre 2008 war ein großer Erfolg«, erklärt Schober. Tatsächlich wurde damit der freie Dienstvertrag für ArbeitgeberInnen weniger attraktiv und die Verbreitung der atypischen Beschäftigung in dieser Form konnte zurückgedrängt werden. Schon im Juli 2008 sanken die freien Dienst­verträge im Vergleich zum Juli 2007 um 22 Prozent. In einem nächsten Schritt fordert die Gewerkschaft nun vor allem eine arbeitsrechtliche Angleichung der freien DienstnehmerInnen.
Ein größeres Problem stellen hingegen die Werkverträge dar: »Hier gibt es aus gewerkschaftlicher Sicht kaum Chancen zur Intervention, da sich diese Verträge unserem Wirkungskreis entziehen. Die einzige Chance besteht meist in der rechtlichen Prüfung der Verträge«, erklärt Schober. Dies sei aber ein individueller Lösungsansatz, jedoch keiner, der dies für die Branche insgesamt lösen könne.
Aber auch die Integration atypischer Beschäftigungsverhältnisse in das Arbeitsrecht würde nur einen Teil des Problems abdecken: »Die faktische Wirksamkeit solcher Maßnahmen ist betreffend die Einkommensdimension jedoch fraglich, unter anderem aus dem Grund, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse häufig in Niedriglohnbranchen, -berufen und -firmen zu finden sind. Einen positiven Ansatzpunkt stellen unter Umständen allgemeine Mindestlohnregelungen mit einem möglichst breiten Anwendungsspektrum dar«, schlägt Fink vor.
Außerdem argumentiert Fink, dass eine arbeitsrechtliche Gleichstellung in der Realität politisch kaum durchsetzbar sei: »Daneben würde eine uneingeschränkte arbeitsrechtliche Gleichstellung mit einem (umfassend regulierten) Normalarbeitsverhältnis unter Umständen quasi das ›atypische‹ an atypischen Beschäftigungsverhältnissen aufheben und einem - politisch und realiter kaum durchsetzbaren - Verbot derselben nahekommen.«

Weblinks
Homepage:
www.gpa-djp.at/flex
Blog:
workflex.wordpress.com

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