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Antiquiert und unbequem Zum Nachweis der Ausbeutung der ArbeiterInnen benötigt Marx daher neben dem Wertbegriff ein zweites fundamentales Konzept: die Unterscheidung zwischen Arbeitskraft und der Arbeit, die (pro Tag) geleistet wird. (Berger)

Antiquiert und unbequem

Schwerpunkt

Mit dem Begriff Ausbeutung kann die moderne Volkswirtschaftslehre wenig anfangen. Dennoch muss sie mit anderen Konzepten die bestehende Lücke füllen.

Wer heute vom Wert der Arbeit spricht, der wagt kaum mehr von Ausbeutung zu sprechen. Zu antiquiert, zu unmodern, zu belastet erscheint der Begriff, kaum jemand bringt ihn mehr - vor allem in der akademischen Diskussion - über die Lippen. Möglicherweise sei er noch in der Alltagssprache angebracht für die Beschreibung der Arbeitsbedingungen der Bergarbeiter in China oder jener der LandarbeiterInnen in Kolumbien. Doch für europäische Verhältnisse scheint dieses Konzept längst überholt. Dabei kann sich die Scheu in der Alltagssprache auf eine Tendenz in der Volkswirtschaftslehre stützen. Denn dort hat man mit dem Niedergang des Marxismus und dessen antikapitalistischer Tradition auch den Begriff Ausbeutung ad acta gelegt. Zu sehr war der Begriff mit den Bedingungen der marxistischen Wirtschaftstheorie verknüpft. Dennoch wurden neue Begrifflichkeiten entwickelt, die nun in die Bresche springen sollen. Ob man dabei wirklich viel gewonnen hat, bleibt offen.

Ausbeutung als Kampfbegriff

Dabei erlebte der Begriff in seinen Anfängen geradezu einen Höhenflug: Sogar Adam Smith hatte in der Ausarbeitung seiner klassischen Wirtschaftstheorie Ausbeutung als Art Marktversagen thematisiert. Die neoklassische Schule nahm diesen Faden wieder auf und erklärt das Zustandekommen von Ausbeutung durch einen unvollständigen Wettbewerb, wie etwa durch Monopole. Aufgrund eines solchen Marktversagens würde das gesamtgesellschaftliche Wohl nicht zum Tragen kommen, so ihr Argument. Aber auch in der Wert- und Mehrwerttheorie von David Ricardo hat sich der Begriff fortgesetzt.
Doch vor allem in der antikapitalistischen Literatur erlebte der Begriff Ausbeutung seine eigentliche Ausgestaltung. Insbesondere in der französischen Kritik am Privateigentum - angefangen von Henri de Saint-Simon bis hin zu Pierre-Joseph Proudhon - wirkte der Begriff bis weit in die Arbeiterbewegung. Dort erlebte er seine eigentliche Blüte und wurde zu einem Kampfbegriff gegen die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse.
Seine erste fundierte Ausarbeitung erhielt das Konzept vor allem durch die ökonomischen Studien von Karl Marx. In der Rezeption der Wert- und Mehrwerttheorie Ricardos schuf er ein eigenständiges Konzept, das ein wesentliches Grundproblem der Analyse des Kapitalismus lösen sollte: »Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen, und es kann ebenso wenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muss zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen«, bringt Marx die Bedingungen der Analyse im ersten Band des Kapitals auf den Punkt.
Diese Bedingung in der Analyse kapitalistischer Arbeitsbedingungen konnte er durch eine besondere Unterscheidung erfüllen: »Zum Nachweis der Ausbeutung der Arbeiter und Arbeiterinnen - das Geschlecht spielt keine Rolle - benötigt Marx daher neben dem Wertbegriff ein zweites fundamentales Konzept: die Unterscheidung zwischen Arbeitskraft des Arbeiters und der Arbeit, die er (pro Tag) leistet«, erklärt Johannes Berger im Historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus. Mit dieser Unterscheidung wurde im Wesentlichen die Mehrwertproduktion erklärt, die dem Kapitalisten Profit verschafft: »Die Arbeiter sind dann ausgebeutet, wenn sie länger arbeiten, als nötig wäre, um die Subsitenzmittel zu produzieren, die sie mit ihrem Geldlohn kaufen.«

Einwände der Volkswirtschaft

Doch die moderne Wirtschaftstheorie - gleich ob neoklassisch oder keynesianisch - hat den Begriff aus ihrem theoretischen Repertoire gestrichen. »Mit dem Niedergang der marxistischen Wirtschaftstheorie hat auch der Begriff der Ausbeutung einen Niedergang erlebt«, erklärt Markus Marterbauer vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). »Zu eng war das Konzept mit den Voraussetzungen wie Arbeitswertlehre und Mehrwerttheorie verknüpft«, erklärt der Wirtschaftsexperte.
Heute hat man dafür neue Konzepte gefunden, um Probleme in Bezug auf die Arbeitswelt zu erfassen: » Der Verteilungstitel hat dabei den Begriff der Ausbeutung weitgehend ersetzt«, erklärt Marterbauer weiter. »Es geht heute nicht mehr um die Analyse von Ausbeutungsverhältnissen, sondern um die Ungleichheit der Verteilung von Einkommen und Vermögen.«
Doch auch in der Frage der Verteilung ist es schwierig, wissenschaftlich fundierte Parameter zu entwickeln, die objektiv feststellbar wären. »Es kann keinen richtigen Verteilungsschlüssel geben«, argumentiert der Wirtschaftswissenschafter. »Wer von Verteilung spricht muss sich darüber im Klaren sein, dass es sich dabei um einen normativen Begriff handelt.« Somit bleibt auch der Begriff der Verteilung wesentlich an bestimmte Vorstellungen und Prinzipien gebunden, die man ihm voraussetzt.

Suche nach Ersatz

Dennoch hat man - vor allem im Bereich der Gewerkschaften - neue Begriffe entwickelt, um die entstandene Lücke zu füllen: Schlagwörter wie fehlende Lohngerechtigkeit, Sozialdumping und Working poor sollen in der aktuellen Diskussion helfen, die Arbeits- und Lohnsituation kritisch anzusprechen, ohne den Begriff Ausbeutung verwenden zu müssen.
Dabei versucht man aus gewerkschaftlicher Perspektive, durchaus objektive Parameter der Gerechtigkeit zu finden trotz des normativen Charakters des Begriffs. Denn sobald die Lohnsteigerung die gesamtgesellschaftliche Produktivitätsrate plus Inflation unterschreitet, findet eine Verteilung, ja Umverteilung in Richtung Kapital statt. »Hier könnte man von Ausbeutung sprechen, da den ArbeitnehmerInnen der ihnen zustehende Anteil am gesellschaftlichen Wachstum verweigert wird«, meint Michael Mesch von der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik in der Arbeiterkammer Wien.
Die Formel Produktivität plus Inflation ist für die Gewerkschaften immer noch maßgebend, doch die Durchsetzung hängt entscheidend von sozialpolitischen Dynamiken ab, weniger von volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten an sich. Es handelt sich dabei also ebenfalls nicht um einen strengen Mechanismus, sondern um einen Orientierungspunkt für gesellschaftliches Handeln. »Die Durchsetzung jener Forderungen, die sich an solchen Parametern orientieren, hängt stark von der Verhandlungsmacht der Gewerkschaften ab«, erklärt Mesch.
Aber nicht nur in der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, auch bei den Arbeitsbedingungen hat man neue Begriffe entwickelt, um dem Konzept der Ausbeutung ausweichen zu können. »Vor allem durch die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen haben sich neue Phänomene herausgebildet wie Working poor und Sozialdumping«, meint der AK-Experte. Die Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Standards steht dabei im Kreuzfeuer der Kritik, doch spricht man dabei nicht von Ausbeutung im strengen Sinne.

Frage der Gerechtigkeit

Letztendlich hat man also den normativen Begriff der Ausbeutung durch den normativen Begriff der gerechten Verteilung in der Volkswirtschaftslehre ersetzt. Ein höheres Maß an Wissenschaftlichkeit hat man also dadurch nicht unbedingt gewonnen, obwohl man damit die Unwegsamkeiten der Arbeitswertlehre umschiffen kann. Der Begriff Ausbeutung ist damit vielleicht aus einer rein volkswirtschaftlichen Perspektive, die sich an mathematischen Modellen der Ressourcenallokation orientiert, vom Tisch. Aus einer umfassenderen sozialwissenschaftlichen Sicht vielleicht aber nicht unbedingt: »Bei dem Begriff Ausbeutung geht es immer um die Frage der Gerechtigkeit. Somit handelt es sich eigentlich um ein philosophisches Thema, weniger um ein streng wirtschaftswissenschaftliches«, meint dazu Michael Mesch.

Kein Beweis

Die Frage nach der Existenz von Ausbeutungsverhältnissen kann vielleicht tatsächlich nicht in einer streng positivistischen, wirtschaftswissenschaftlichen Tradition bewiesen werden. Das ist aber nicht unbedingt notwendig. Hingegen ist der Begriff für eine Kritik bestehender Arbeits- und Gesellschaftsverhältnisse auf einer praktisch-philosophischen und sozialwissenschaftlichen Ebene durchaus unentbehrlich.

Weblink
Wirtschaftsforschungsinstitut:
www.wifo.ac.at

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