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Der Gipfel der Heuchelei "Man ist ja schon so viel gewohnt, [...]. Aber dass man uns jetzt wieder sagt, man muss den Armen die Krümel wegnehmen, damit man sie zur Aufnahme von Arbeit motiviert, da kann ich mich stundenlang richtig aufregen." (Misik)
Der Gipfel der Heuchelei

Der Gipfel der Heuchelei

Schwerpunkt

Langsam setzt sie sich durch, die Erkenntnis, dass die Einkommensschere immer weiter auseinanderklafft.

Wenn amerikanische Banken«, so schreibt der Technikphilosoph Klaus Kornwachs, »die in der Finanzkrise durch Steuergelder vor der Insolvenz gerettet wurden, danach in Summe mehr Boni an ihre ManagerInnen auszahlen, als sie Gewinn nachweisen können, dann kann man sich des Verdachts nicht erwehren, dass sich hier ein Belohnungssystem verselbstständigt hat, das ein ganz bestimmtes wirtschaftliches Verhalten bevorzugt.«1
Die ordoliberalen Einwände nach Hayek, Friedman und Konsorten, dass nämlich einem Filmstar oder einem Fußballer die teilweise astronomischen Gehälter nicht geneidet werden, treffen immer weniger zu. Die Einkommensschere zwischen ArbeitnehmerInnenentgelt und dem Einkommen aus Privatvermögen und Unternehmen ist in den letzten zehn Jahren eklatant und unerträglich auseinandergeklafft. Der Versuch, eine ethische Debatte über die Dimension der horrenden Gehaltsunterschiede zu führen, wird von deren BefürworterInnen gerne mit dem Hinweis auf die »Leistung« ausgeklammert.

Leisten Manager 300 mal soviel?

Dass manche Menschen mehr leisten, als andere, soll hier nicht angezweifelt werden, doch ob es möglich ist, dass ein Manager das mehr als 300-fache mehr leistet als eine einfache Arbeiterin, kann berechtigter Anlass zu heftiger Diskussion sein.
Mit Kant zum Beispiel kann man gut argumentieren, dass es bei der Bewertung menschlicher Handlungen auf ihre normative Richtigkeit nicht ausreichend ist, auf der Ebene der Gesetze und Verträge zu bleiben, sondern darüber hinausgehende Blickwinkel, die im kategorischen Imperativ verdeutlicht werden und seitdem vielfach weiterentwickelt wurden, anzuwenden sind. Im Gegensatz dazu ist schwer zu erklären, warum verantwortungsvoll und kompetent ausgeführte Tätigkeiten in anderen Berufsfeldern so viel weniger wert sein sollen.

Auch der kleine Dieb wird verurteilt

Dass es immer noch höhere Summen gibt, die genommen werden, ist klarerweise kein normatives Argument. Es wird ja auch ein kleiner Dieb verurteilt, obwohl andere mehr gestohlen haben.
Die Menschen sind auf vielfältige Weise voneinander abhängig, der Markt ist nur eine Form unter vielen, in denen sich die verschiedenen Individuen aufeinander beziehen. In diese Kerbe schlug der bekannte Publizist Robert Misik neulich bei seiner Impulssrede beim Kongress der Gewerkschaft vida: »Man ist ja schon so viel gewohnt, man hat ja eine dicke Haut und eine gewisse Abgeklärtheit. Aber dass man uns jetzt wieder sagt, man muss den Armen die Krümel wegnehmen, damit man sie zur Aufnahme von Arbeit motiviert, da kann ich mich stundenlang richtig aufregen. Weil, wie argumentiert man denn die Phantasiegehälter und die Bonuszahlungen, die man Managern, Brokern, Bankdirektoren zahlt? Man sagt, man müsse denen das zahlen, um sie zur Arbeit zu motivieren, die brauchen das als Anreiz. Da scheint es also zwei Menschenschläge zu geben, ja, man hat den Eindruck, da gibts Bevölkerungsgruppen, die gehören gänzlich unterschiedlichen Spezies an: den einen muss man die Einkommen dauernd kürzen, um sie zu motivieren, den anderen muss man sie dauernd erhöhen, um sie zu motivieren!« Und er führte, in Anlehnung an die Erkenntnisse von Richard Wilkinson und Kate Pickett in ihrem Buch »Gleichheit ist Glück« auch aus, dass nicht nur die Ärmsten von Ungleichheit negativ betroffen sind, sondern die gesamten Gesellschaften, genauso wie umgekehrt alle von einer größeren Gleichheit profitieren, da dann alle Schichten der Gesellschaft eher die Möglichkeit haben, ihr ganzes Potenzial zu entfalten. »Eine gerechtere Gesellschaft, die mehr Gleichheit realisiert und all ihre Bürger am Wohlstand beteiligt, ist also auch eine ökonomisch funktionstüchtigere Gesellschaft«, schließt Misik daraus.

Individualethik schützen

Der Ökonom John Maynard Keynes, lange Zeit verpönt, hat das scheinbar schon vor etlichen Jahren gewusst, als er nämlich die Ökonomie als eine Wissenschaft im Wesentlichen der Moral und nicht als der Natur sah.2 Der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann denkt ebenfalls, dass ein alles bestimmender Markt zu Unfreiheit führt, darum sollte dieser in eine gesellschaftliche Werte- und Rechtsordnung eingebettet werden. »Die Einsicht des Einzelnen ist in der Regel zu schwach und führt zu Überforderungen. Darum muss die Individualethik durch ordnungsethisch bestimmte Rahmenbedingungen gestützt werden«, sagt Thielemann.3 »Dabei geht es auch darum, den Einfluss des Kapitals auf die Unternehmensführung zu begrenzen. Das hat auch eine volkswirtschaftliche Dimension. Die Realwirtschaft ist nämlich gar nicht in der Lage, die Renditen zu erwirtschaften, die von einem gigantisch angewachsenen Kapital gefordert werden. Und das sollte sie auch gar nicht sein.« Und Thielemann ergänzt: »Ethisch ist es höchst fragwürdig, Personen durch materielle Versprechen steuern zu wollen.
Dahinter steckt ein verdinglichendes Denken: Es degradiert andere Menschen zu Objekten. Das ist der Generalvorbehalt gegenüber Anreizsteuerungen - obgleich manche sich sehr gerne zu Objekten degradieren lassen, weil das sehr lukrativ ist. Mitarbeiter, die Boni erhalten, lassen sich dadurch häufig ihre Professionalität und Integrität abkaufen.« Thielemann, der als Koryphäe seines Fachs gilt, ist der Meinung, dass die Anbetung des Kapitals wegen der angeblichen Schaffung neuer Arbeitsplätze gründlich überdacht gehört. »Bislang wurde das Kapital ja regelrecht hofiert. Viele Ökonomen meinten, das müsse so sein, um Arbeitsplätze zu schaffen. Aber das ist eine vollkommen naive Vorstellung und vernachlässigt die zerstörerische Kraft, die vom Kapital ausgeht. Statt das Kapital steuerpolitisch zu privilegieren, ginge es heute global darum, es wieder gleichmäßig zu besteuern, auch um Renditedruck aus dem System zu nehmen.«

Der Lohn »guter Arbeit«

Was die Managergehälter und Boni betrifft, sollte erst nach »guter« Arbeit bezahlt werden, und wesentlich geringere Summen. O-Ton Thielemann: »›Gut‹ ist die Arbeit natürlich nicht nur dann, wenn sie dem Shareholder Value dient, sondern wenn sie professionellen Standards genügt und von Integrität getragen ist. Damit lassen sich durchaus Markterfolge und Renditen erzielen, allerdings keine maximalen.« Allerdings ist das einfacher gesagt als getan, denn was Normalsterblichen einfach als dekadente Unsumme erscheint, hat laut dem Technikphilosophen Klaus Kornwachs eine weitere Dimension: »Der Verdacht liegt nahe, dass es sich nicht um eine Entlohnung für Leistung oder Erfolg, sondern eine Apanage handelt, die die Zugehörigkeit zu einer Eliteschicht (...) honoriert. (...) Es ist dies die Herrschaft von Experten des Flexiblen.
Im Laufe seiner Karriere wechselt der Manager die Branchen und Produkte, und diese ökonomische Promiskuität ist nur möglich, weil es letztendlich nicht um Produkte (...), sondern um Marktanteile und die möglichst asymetrische Gestaltung von weltweiten Tauschbeziehungen geht. In dieser Form der Ökonomie lässt sich die Klasse, die diesen Kampf organisiert und führt, mit der finanziellen Garantie bezahlen, nie zu den Verlierern zu gehören. Das ist der Lohn.«4

Weblink
Robert Misik:
http://www.misik.at/sonstige/gewerkschaften-sind-mehr-als-blosse-interessensvertretungen.php

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
dinomail@gmx.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

1 Klaus Kornwachs: Zuviel des Guten. Von Boni und falschen Belohnungssystemen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2009, S. 22.
2 J. M. Keynes: The General Theory and After, Part II, Collected Writings Vol.XIV, London-Basingstoke 1973, S. 297.
3 »Boni machen Mitarbeiter zu Marionetten«, Der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann von der Universität St. Gallen hält Leistungsanreize grundsätzlich für schädlich, Süddeutsche Zeitung, 23.10.2009.
4 Klaus Kornwachs: Zuviel des Guten. Von Boni und falschen Belohnungssystemen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2009, S. 24.

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