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Wo bleibt das Geld? Wenn Bier, Brot und Benzin teurer werden, führt das zu einem »Alles-wird-teurer-Gefühl«; wenn dagegen Computer billiger werden, entgeht das weitgehend unserer Wahrnehmung, weil wir höchstens alle paar Jahre mal einen kaufen.

Wo bleibt das Geld?

Schwerpunkt

Die Kaufkraft steigt - und doch haben viele ÖsterreicherInnen das Gefühl, dass alles teurer wird.

Viele ArbeitnehmerInnen haben das Gefühl, immer weniger in der Geldbörse zu haben. »Alles wird teurer«, klagen immer mehr - und das obwohl viele Produkte - zum Beispiel in der Unterhaltungselektronik - immer billiger werden. Gleichzeitig steigt die Kaufkraft. Wo also bleibt das Geld?

Schiefer Blickwinkel

Im Jahr 2009 erhöhte sich das nominelle Kaufkraftvolumen der österreichischen Bevölkerung um 4,6 Prozent auf rund 135 Mrd. Euro. Aufgrund der geringen Inflation 2009 (VPI +0,5 Prozent) liegt das reale Kaufkraftwachstum bei 4,1 Prozent. Ein Widerspruch? Nein. Es kommt auf den Blickwinkel an - und der ist manchmal schief. Bei einem großen Teil der Menschen, die von ihrem Erwerbseinkommen leben müssen, machen die Ausgaben für Wohnen, Energie (insbesondere Heizung und Benzin) sowie Lebensmittel den größten Teil der monatlichen Kosten aus. In der offiziellen Inflationsstatistik sind diese Ausgaben jedoch untergewichtet, sagen KritikerInnen.
Die Teuerung hat sich in Österreich auch im Oktober beschleunigt. Noch stärkere Spritpreis-Erhöhungen als im Monat davor haben die Inflationsrate im Jahresabstand von 1,9 auf 2,0 Prozent klettern lassen - zuletzt war der Wert im Juni so hoch. Grund für den Teuerungsanstieg waren höhere Preise für Mineralölprodukte, die gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent zulegten. Ohne Energiepreise hätte die Inflation im Oktober nur 1,4 Prozent betragen. Der für die Euro-Zone berechnete Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) Österreichs stieg binnen Jahresfrist um 1,9 Prozent. Im Monatsabstand erhöhte sich das Preisniveau beim Pensionisten-Preisindex - wie beim allgemeinen VPI - um 0,2 Prozent und beim HVPI um 0,3 Prozent.
Die Statistik Austria verwendet für ihre Berechnungen einen Warenkorb, in dem die Preise von 770 Waren und Dienstleistungen erhoben werden. Alle fünf Jahre wird der Korb überprüft und neue Produkte hinzu- und veraltete Produkte herausgenommen. Je nachdem wie groß der Anteil des Produkts an den Gesamtausgaben ist, geben ihm die StatistikerInnen mehr oder weniger Einfluss auf die Gesamtinflationsrate. Das bedeutet, dass die Produkte wichtiger sind, die entweder teuer sind oder in großen Mengen gekauft werden. Die Auswahl der in die Preiserhebung einbezogenen Waren und Dienstleistungen (Indexpositionen) soll ein durchschnittliches Verbrauchsverhalten repräsentieren. Zudem existieren mehrere Gewichtungsschemata. Der VPI beinhaltet alle Ausgaben der Österreicher, ist also nach dem Inländerkonzept erstellt. Der HVPI basiert auf dem Inlandskonzept, es werden also auch die Ausgaben von TouristInnen in Österreich berücksichtigt. Die Ausgaben für eigentümergenutztes Wohnen sind derzeit noch ausgeschlossen. Der PIPH (Preisindex für Pensionistenhaushalte) beinhaltet Indexpositionen des VPI, die Ausgabenanteile in der Gewichtung beziehen sich aber nur auf österreichische Pensionistenhaushalte. Weiters wird ein Pkw-Index (Index für den privaten Pkw-Verkehr), ein Index des täglichen und wöchentlichen Einkaufs berechnet, welche Teilausschnitte des VPI-Warenkorbs darstellen.
Wirtschaftsprofessor Hans Wolfgang Brachinger von der Schweizer Universität Fribourg glaubt, dass der offiziell errechnete Index an der Wirklichkeit der KonsumentInnen vorbeigeht. »Beim amtlichen Verbraucherpreisindex wird angenommen, dass man täglich ein bisschen Fernseher oder ein bisschen Auto kauft - das ist unrealistisch«, so Brachinger. Entscheidend für KäuferInnen sind die Preise für Produkte, die sie ständig kaufen. Er hat einen Index entworfen, bei dem Produkte, die häufig gekauft werden, schwerer gewichtet sind, den Index der wahrgenommenen Inflation IWI.

Wahrgenommene Inflation

Ausgangspunkt des IWI ist die Überlegung, dass wir Preisänderungen umso stärker wahrnehmen, je häufiger wir ein Produkt kaufen: Wenn Bier, Brot und Benzin teurer werden, führt das zu einem »Alles-wird-teurer-Gefühl«; wenn dagegen Computer billiger werden, entgeht das weitgehend unserer Wahrnehmung, weil wir höchstens alle paar Jahre mal einen kaufen. Daher nimmt Brachinger zwar den gleichen Warenkorb wie das Statistische Bundesamt, gewichtet die Güter darin aber anders: Nicht mit ihrem Anteil an den Gesamtausgaben, sondern mit ihrer Kaufhäufigkeit. Außerdem berücksichtigt er, dass die Menschen dazu neigen, Preiserhöhungen stärker wahrzunehmen als Preissenkungen - ein Phänomen, das ÖkonomInnen »Verlustaversion« nennen.

Wichtige Ergänzung

Am offiziellen Verbraucherpreisindex möchte Brachinger mit seinem IWI zwar nicht rütteln, aber der Statistik-Experte ist überzeugt, dass sein Index eine wichtige Ergänzung der amtlichen Inflationsrate liefert, weil er die Alltagserfahrung und das subjektive Empfinden der KonsumentInnen misst. Und das ist es schließlich, was ihr Verhalten prägt - und nicht der amtliche Verbraucherpreisindex. »Wer den Konsumenten ernst nimmt«, so Brachinger, »der kommt an der Inflationswahrnehmung nicht vorbei.« Deshalb dürfte der IWI-Index auch besser geeignet sein, die künftige Konsumentwicklung abzuschätzen. »Ist die wahrgenommene Inflation höher, spart man eher bei den größeren Anschaffungen«, ist Brachinger sicher.
Auch Studienprojektleiter Helmut Lichowski, Paul-Lazarsfeld-Gesellschaft (PLG), verweist auf die sogenannte »gefühlte Inflation« hin. Die »gefühlte Inflationsrate« von Oktober würde beispielsweise 3,9 Prozent betragen, die von der Statistik Austria ausgewiesene Teuerungsrate lag bei 2,0 Prozent. Im Vorjahr erreichte die Inflationsrate mit 0,5 Prozent den niedrigsten Wert seit 1953, allerdings habe die Bevölkerung dies nicht so gespürt. Die Schere der gefühlten und tatsächlichen Inflation klaffe seit Beginn der Krise immer stärker auseinander. Mit ein Grund dafür sei, dass etwa Lebensmittel oder Benzin nahezu täglich gekauft und zumeist auch bar bezahlt werden, die Handy-Rechnung oder billige Unterhaltungselektronik aber per Überweisung oder Karte. Auch sei Benzin im vergangenen Jahr um rund 20 Prozent teurer geworden.
Zudem würden viele Ältere noch in Schilling rechnen. Die Schilling-Euro-Relation sei aber nicht wie vor acht Jahren mit 13,76 zu bemessen, sondern wegen der Inflation mit 11,4 bzw. unter Einrechnung des heurigen Jahres voraussichtlich mit 11,2. ExpertInnen erwarten, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis der Euro eine Währung ist, die im Gedächtnis der Leute verankert ist.
Wofür geben Frau und Herr Österreicher ihr Geld aus? Der Löwenanteil der Ausgaben, genau 22,3 Prozent (566 Euro), entfällt auf »Wohnen und Energie« (seit 1994 wurden die Mieten um 84 Prozent teurer, während die Gehälter um nur 28 Prozent stiegen).

Mehr Ausgaben für Verkehr

An zweiter Stelle liegt der Bereich »Verkehr« mit 16,1 Prozent (409 Euro), wobei rund 15 Prozent für privaten Verkehr aufgewendet werden. 13 Prozent der Gesamtausgaben (297 Euro) werden für Ernährung und alkoholfreie Getränke ausgegeben. 1974 entfielen noch 26,5 Prozent der Gesamtausgaben der heimischen Haushalte auf die Ernährung. Zehn Jahre später sank der Anteil auf 23,4 Prozent. 1994 verringerten sich die Ausgaben für Lebensmittel auf 16,9 Prozent und um die Jahrtausendwende verwendeten die heimischen Haushalte nur noch 13,2 Prozent der Gesamtausgaben für Lebensmittel.
Wobei es in den vergangenen Jahrzehnten zu deutlichen Verschiebungen gekommen ist. Während 1954 noch 42,5 Prozent des Haushaltseinkommens für Lebensmittelkäufe verwendet wurden, waren es im Jahr 2004/05 nur zwölf Prozent. Hingegen haben sich im gleichen Zeitraum die Ausgaben für Wohnen von zwölf auf 21 Prozent fast verdoppelt, für Individual- und öffentlichen Verkehr von vier auf 13 Prozent mehr als verdreifacht und für Gastronomiebesuche fast verdoppelt (3,7 auf 6,8 Prozent). Im Vergleich der letzten beiden Konsumerhebungen von 1999/2000 und 2004/2005 kam es zu einem weiteren Bedeutungsverlust der Ausgaben für Bekleidung, während vor allem für Gesundheit und Bildung deutlich mehr ausgegeben wurde. Die jüngste Konsumerhebung wurde von März 2009 bis März 2010 durchgeführt. Ergebnisse sind noch nicht bekannt.

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