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40 Stunden - 40 Wochen - 40 Jahre
Z u r P e r s o n
B r o s c h ü r e

40 Stunden - 40 Wochen - 40 Jahre

Interview

GPA-djp-Vorsitzender Wolfgang Katzian nähert sich dem Arbeitszeitthema ganzheitlich - eine Idee zur gerechteren Verteilung der Arbeitszeit.

Wolfgang Katzian, du hast zum Abschluss des GPA-djp-Bundesforums im November 2010 erklärt, in Sachen Verteilungsgerechtigkeit ginge es nicht mehr nur ums Geld, sondern auch um die Zeit, und auch deine schon 2007 erstmals präsentierte Idee 40-40-40 wird wieder aktiviert. Warum bleibst du damit so hartnäckig?

Wolfgang Katzian: Diese drei Zahlen sind nicht ein in sich geschlossenes, fertiges Konzept, das man 1:1 umsetzen kann und soll, sondern 40-40-40 versteht sich als eine Art "work in progress", um sich dem Arbeitszeitthema einmal ganzheitlich zu nähern. Und das einerseits auf den Ebenen Wochenarbeitszeit, Jahresarbeitszeit, Lebensarbeitszeit, und andererseits mit der Frage: Wie geht es den Menschen?
Und ob es mir gut geht oder nicht, dazu gehören neben dem Einkommen auch die Fragen, wie gehe ich mit meiner Zeit um, und wie gesund bin ich? Bin ich vielleicht als junger Mensch gesund, und wenn ich älter bin nicht mehr so? Und woran liegt das dann, hat das auch mit der Arbeitswelt zu tun oder liegt es nur daran, dass ich zu viel Schweinsbraten gegessen habe?
Und um diese Fragen geht es.

Die Wirtschaft hat 2007, als du diese Idee erstmals präsentiert hast, vor allem die Forderung nach 40 Wochen Arbeit im Jahr kritisiert. Was sollen die Menschen mit 12 Wochen Urlaub machen?

Wir sind ja auf dem Weg in die Wissensgesellschaft, und das sollte auch die Diskussionen um unser Bildungssystem nachhaltiger machen. Jetzt stellt sich die Frage, welche Aufgabe hat Bildung und wie viel Zeit brauchen wir dafür? Die Grundannahme, von der viele ausgehen, ist, dass Kinder in Zukunft länger in schulischen Prozessen bleiben werden. Das heißt, der Einstieg ins Berufsleben erfolgt später. Das wird nicht für alle gelten, aber der Großteil wird länger in Ausbildung bleiben, weil es in der Ausbildung in Zukunft nicht mehr darum geht, sich schnell ökonomisch verwertbares Wissen anzueignen, sondern vielmehr darum, möglichst viel Grundsatzwissen zu erwerben und zu lernen, wie ich mir neues aneigne und es in meinem beruflichen Leben umsetze. Und das ist ein riesengroßer Unterschied.
Neben dem Urlaub, auf den wir noch zu sprechen kommen, geht es uns bei der Idee der 40 Arbeitswochen im Jahr vor allem um Zeit für die eigene Weiterentwicklung. Denn mit der schulischen Ausbildung - egal wie lang und umfassend auch immer - ist es in einer Welt, die immer mehr zusammenwächst, wo immer mehr Wissen konzentriert ist, nicht getan. Da ist unser Ansatz, es soll nicht davon abhängig sein, ob ich das Glück habe, in einem großen multinationalen Konzern beschäftigt zu sein, der tolle Ausbildungsprogramme hat. Es soll auch für die Verkäuferin die Zeit geben, sich weiterzubilden. "Weiterzubilden" unter Anführungszeichen, denn dahinter verbirgt sich - zumindest nach meinem Verständnis -  ein breiterer Begriff. Das heißt, einerseits muss ich die Möglichkeit haben, in der klassischen Form der Erwachsenenbildung Kurse zu belegen, eine Woche oder zwei Wochen. Andererseits muss ich auch die Chance haben, dass ich mich ausklinke, mir Dinge genauer ansehe, vielleicht eine Zeit ins Ausland gehe. Wenn einer von uns z. B. sechs Wochen nach Indien gehen möchte, dann müssen wir warten, bis wir in Pension sind und hoffen, dass wir das gesundheitlich dann noch schaffen und ausreichend Geld für diese Reise haben. Und selbst wenn, können wir die interessanten Erfahrungen nicht mehr verwerten. Warum soll das nicht jemand im Alter von 40 Jahren machen können, wenn er oder sie die Erfahrungen noch im Beruf verwerten könnte?

Für mich als Journalistin ist das denkbar und wünschenswert - auch für viele Angestellte -, aber was ist z. B. mit der Verkäuferin im Supermarkt, die weder nach Indien möchte noch eine Fortbildung machen?

Die Verkäuferin muss das ja nicht machen, es geht nur um die Möglichkeit und darum, dass ihr daraus kein Nachteil erwächst, wenn sie sich diese Auszeit nehmen möchte. Ich glaube, dass viele umdenken würden. Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen und das ist schwierig genug.
Und Weiterbildung ist dabei nur der eine Denkansatz, das andere große Thema, das uns bei unseren Überlegungen geleitet hat, ist das Thema Gesundheit. Hier geht es darum, dass wir eine steigende Lebenserwartung haben und die Menschen immer älter werden. Das kann nicht nur zur Folge haben, dass wir jedes Jahr darüber diskutieren, ob das Pensionssystem noch finanzierbar ist, und ob wir das Pensionsalter heraufsetzen. Man muss sich ja die Frage stellen, warum so viele Menschen in die Pension drängen? Sind die alle arbeitsscheu? Oder steht da etwas anderes dahinter?
Wenn man sich die viel kritisierten Berufsunfähigkeitspensionen bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) so ansieht - wir sind scheinbar ein Land der Invaliden -, ergibt sich nach unserer statistischen Auswertung, dass all jene, die in Berufsunfähigkeitspension gehen, nachweislich eine um zehn Jahre kürzere Lebenserwartung haben als die, die normal in Pension gehen. Das sind also tatsächlich Menschen, die ausgebrannt sind, physisch oder psychisch, wobei Letzteres dramatisch zunimmt.
Was in den letzten 20, 25 Jahren neu dazugekommen ist sind verschiedene psychische Erkrankungen, und da rede ich noch nicht einmal vom klassischen Burn-out, sondern es geht einfach darum, dass es neue Formen der Arbeitsorganisation gibt.
Als ich meine Lehre in der Bank begonnen habe, haben sie mich mit einem Stoß Mappen vor den Computer gesetzt, und ich musste Daten in eine Maske eingeben. Ich habe gewusst, das ist meine Aufgabe, und wenn sie erledigt ist, bin ich fertig. Und abends bin ich heimgegangen und habe darüber nicht weiter nachgedacht.
Heute werden Ziele und Budgets definiert, und die Menschen müssen einzeln oder als Gruppe diese Ziele mit einem bestimmten Budget erreichen. Das führt zu skurrilen Entwicklungen wie unbezahlten Überstunden, wenn die Ziele noch nicht erreicht sind, das Budget aber schon ausgeschöpft ist. Viele nehmen die Arbeit mit nach Hause, per Laptop, Handy etc., aber auch im Kopf; sie können nicht mehr abschalten. Früher war das eine sogenannte Managerkrankheit. Aber auf Manager ist das heute nicht mehr beschränkt, das zieht sich durch die Arbeitswelt. Und das führt dazu, dass die Menschen ausbrennen. Mit den 40 Wochen Arbeitszeit im Jahr sollte man Maßnahmen dagegen setzen, zur Festigung der Gesundheit, zur Regenerierung, vielleicht auch regelmäßige Kuren.

Reicht denn der gesetzliche Urlaubsanspruch für all das nicht aus?

Wir haben derzeit Anspruch auf fünf Wochen Urlaub, wenn man länger im Betrieb beschäftigt ist, sind es sechs. Aber die Fluktuation in der Arbeitswelt hat so weit zugenommen, dass immer weniger Leute diesen Anspruch erwerben, weil sie keinen fixen Job auf Dauer haben.
Übrigens: Das Urlaubsgesetz wurde das letzte Mal vor mehr als 25 Jahren reformiert, daher bin ich der Meinung, dass es höchste Zeit ist für sechs Wochen Mindesturlaub für alle - und nicht nur für die, die das Glück einer Langzeitbeschäftigung haben.

40-40-40 bezieht sich aber nicht nur auf die Jahresarbeitszeit - da gibt es ja noch zwei 40er. In einem geht es um die Wochenarbeitszeit - haben wir in Österreich nicht schon längst die 40-Stunden-Woche?
Das wurde auch intern kritisiert, weil einige gemeint haben, wir waren doch schon bei einer 35-Stunden-Woche und haben über die 30-Stunden-Woche diskutiert. Der Ansatz ist aber der, dass wir von der tatsächlichen Wochenarbeitszeit ausgehen. Da geht es also um Überstundenabbau und um andere Arbeitszeitmodelle, wie wir sie ja in fast allen Kollektivverträgen verhandeln und versuchen entsprechend umzusetzen.

Da werden aber nicht alle Mitglieder damit einverstanden sein - immerhin setzen wir in ÖGB und AK uns seit Jahren auch für eine gerechtere Verteilung der Arbeitszeiten ein und leben dennoch in einem Land der ÜberstundenkaiserInnen …

Warum leisten die Menschen Überstunden? Weil sie damit mehr Geld verdienen. Das hat doch auch mit dem Einkommen für die Normalarbeitszeit zu tun. Klar wird es trotzdem immer Überstunden geben. In der Industrie hängt das z. B. mit Produktionsschwankungen zusammen. Die Frage ist nur, wie geht man mit den kontinuierlichen Überstunden um? Und wie geht man mit jenen Arbeitszeitmodellen um, bei denen Überstunden gar nicht mehr aufgezeichnet werden? Stichwort: All-in-Verträge und manche Formen von Flexibilität, wie sie sich die Industriellenvereinigung und einige ihrer Mitgliedsbetriebe so vorstellen. Diesem Wildwuchs müssen wir endlich einen Riegel vorschieben.
Es geht den KollegInnen ja oft gar nicht so ums Geld. Wenn man alles zusammenzählt, was an Überstunden geleistet und nicht im Verhältnis eins zu eineinhalb in Geld oder Zeit abgegolten wurde, kommen wir auf einen Betrag von weit über einer Milliarde Euro, der den ArbeitnehmerInnen vorenthalten wurde, und einen Betrag in der Höhe von zig Millionen, der der Sozialversicherung vorenthalten wird.

Das waren jetzt Argumente zur Jah­resarbeitszeit und zur Wochenarbeitszeit - und der dritte 40er in diesem Konzept?

Da geht es um die Lebensarbeitszeit, das knüpft auch am Thema Gesundheit von vorhin an: Schön wäre, wenn die Menschen nach 40 Jahren Arbeit noch gesund wären und dann selbst entscheiden könnten, ob sie in Pension gehen oder weiter arbeiten wollen. Wenn man die Lebenserwartung steigert, wird auch das Pensionsantrittsalter steigen. Das geht aber nicht, wenn man nicht gleichzeitig Maßnahmen zur Stabilisierung und
Festigung der Gesundheit setzt und die Arbeitswelt so gestaltet, dass die Beschäftigten auch bei bester Gesundheit alt werden können.
Und dann braucht es natürlich auch entsprechende sehr flexible Formen wie "altersgerechtes Arbeiten", gleitender Übergang in die Pension. Menschen können weder physisch noch psychisch mit 60 Jahren dieselbe Leistungsfähigkeit haben wie mit 30 Jahren. Sie haben aber trotzdem noch einen wichtigen Stellenwert in der Arbeitswelt und dazu braucht es unterstützende Maßnahmen in der unterschiedlichsten Form. Das zu entwickeln haben wir uns auf den Weg gemacht.

Du selbst hast ja 1971 zu arbeiten begonnen, sprich die 40 Jahre Lebensarbeitszeit wären 2011 für dich erledigt. Könntest du es dir vorstellen, jetzt in Pension zu gehen?

Dass ich ganz daheim sitze und nichts mehr mache, kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich muss etwas arbeiten. Aber daran, dass ich nicht mehr alles machen muss, arbeite ich ernsthaft. Es gibt ja Sachen, die man tun muss, weil sie zum Job gehören, und Sachen, die man nicht tun müsste, die man aber tut, weil man sie gerne tut. Und das in einer gewissen Balance und Harmonie zu halten ist das Ziel.

Ich kenne genug Leute, die gar nicht in Pension gehen möchten …

Das mag schon sein, aber wie viele von denen möchten das Verhältnis zwischen dem, was sie machen müssen, und dem, was sie gerne machen, neu gewichten. Die Frage ist nur, inwieweit das möglich ist.

Es gibt eine Gruppe von ArbeitnehmerInnen - und stetig werden es mehr -, die von all dem nicht betroffen ist, weil diese atypische Beschäftigungsverhältnisse haben. 40-40-40 ginge an denen völlig vorbei.

In diesem Bereich haben wir zumindest Teilerfolge. Es ist uns in manchen Bereichen - wie Erwachsenenbildung oder Callcentern - gelungen, die Quote freier DienstnehmerInnen zu senken. Vieles läuft unter dem Oberbegriff prekär oder atypisch. Da muss man branchenspezifische Maßnahmen treffen.
Wichtig für alle ist, über ihre Arbeitszeiten Buch zu führen. Da braucht es aber eine massive Nachschärfung der arbeitsrechtlichen Bedingungen - Arbeitsrecht und der ArbeitnehmerInnenschutz müssen für alle gelten.

Wie sieht dein persönliches Zeitmanagement aus? Wie viele Stunden hat dein Arbeitstag?

Normalerweise hat mein Arbeitstag schon zwölf Stunden, manchmal weniger, oft mehr. Aber ich versuche zumindest in den vergangenen Jahren - man wird nicht jünger -, die Sonntage komplett frei zu halten und auch viele Samstage. Ich schaue, dass ich die beiden Tage in der Woche für mich habe.

Bist du fähig, das Handy auch einmal abzuschalten?

Nein, das geht nicht, noch nicht …

Wir danken für das Gespräch.

Mehr Infos unter:
www.gpa-djp.at
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at

Download der Broschüre unter: www.gpa-djp.at/wirtschaftundsoziales

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