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Wem die Stunde schlägt Kontrollierte Naturerlebnisse werden im betrieblichen Umfeld als Mittel der Entschleunigung und damit einhergehender Psychohygiene und daher auch zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit eingesetzt.

Wem die Stunde schlägt

Schwerpunkt

Mehr denn je in der Geschichte wird der Rhythmus unseres Zeitverständnisses von der Erwerbsarbeit bestimmt.

Arbeit dient in unserer Zeit nicht nur als reine Existenzsicherung, denn sie bietet gleichzeitig auch Chancen auf Selbstverwirklichung und soziale Anerkennung. Das war aber nicht immer so. Die Frage, die sich stellt, ist, wie wirkt sich diese Veränderung von Arbeit auf unser Zeitverständnis aus?
In seinem Werk über Politik schrieb Aristoteles die folgenden abwertenden Worte über fremdbestimmte Arbeit: "Als eine banausische Arbeit ... hat man jene aufzufassen, die den Körper oder die Seele oder den Intellekt der Freigeborenen zum Umgang mit der Tugend und deren Ausübung untauglich macht. Darum nennen wir alle Handwerke banausisch, die den Körper in eine schlechte Verfassung bringen, und ebenso die Lohnarbeit. Denn sie machen das Denken unruhig und niedrig." Im Gegensatz dazu ist die Tätigkeit der Freien - Philosophie, Musik, Politik -, die um ihrer selbst willen und in Muße verrichtet wird, ein hohes und erstrebenswertes Gut.

Erwerbsarbeit gibt den Takt an

Den Takt für Arbeits- und Freizeit, ja für die gesamte Lebenszeit, gibt heute, im Gegensatz zu beinahe der gesamten Menschheitsgeschichte, ausschließlich die Erwerbsarbeit vor. Unsere früheren Zeitrhythmen zum Beispiel in der Landwirtschaft oder im Handwerk, auch die Zeitrhythmen des kirchlichen Kalendariums, die andere Rhythmen als die gleichförmige Erwerbsarbeit vorgeben, sind verloren gegangen oder wurden verdrängt.

Kultur im Umbruch

Vorstellbar wird die Veränderung bei der Beobachtung des kulturellen Umbruchs, den ein großer Teil der Menschheit derzeit erlebt. Gesellschaftsgruppen außerhalb der Industrienationen sind vom Verlust traditioneller Lebensformen betroffen. In der Konfrontation mit der Modernisierung erfolgt eine umfassende Destabilisierung bisheriger sozialer Systeme, die Menschen sind dabei gezwungen, sich neue Verhaltensweisen anzueignen, die stark von der modernen zeitlichen Regulierung der Tätigkeiten geprägt sind.
In dem Artikel "Von der Sehnsucht, die Uhr zu besiegen"1 berichtet Dirk Schümer von einem Problem, vor dem Mitte des 18. Jahrhunderts britische Großgrundbesitzer standen, die in neue Techniken für Aussaat und Ernte investiert hatten: "Um die wachsenden Großstadtmärkte der keimenden Industriekultur mit Nahrungsmitteln beliefern zu können, führte man für Landarbeiter einen erhöhten Rekordlohn während der Erntezeit ein. Doch der Effekt war anders als erhofft. Anstatt nun mit modernsten Sensen und Garbenbindern bis in die Nacht zu ernten, machten die Tagelöhner schon am Mittag Feierabend. Sie hatten ihren hergebrachten Tagesverdienst beisammen und ließen darum die Ernte liegen, anstatt sich für Geld krummzulegen, das sie offenbar nicht brauchten." Offensichtlich wussten sie etwas mit dem Rest des Tages anzufangen, was sie zufriedenstellte, oder sie wussten nicht, was sie mit mehr Geld tun sollten.
Heutzutage ist das anders. Für höhere Löhne wird schnellere und effektivere Arbeit verlangt. Für mehr Geld werden Überstunden in Kauf genommen und auch aktiv angestrebt. "... die immens gewachsene Arbeitsproduktivität (hat) unser ganzes Leben unwiderruflich durchdrungen. (...) In dem Glauben, dass Geld Zeit überwiegt, folgen wir längst dem Ticken eines inneren Zeitmaßes, das sich im Tempo unserer Produktivität beschleunigt, und aus dessem Gehäuse wir nicht mehr entkommen können."

Zeit ist Geld

Arbeitszeit als Ausdruck einer abstrakten, willkürlichen Zeiteinteilung wird zum Maß für den monetären Wert von Arbeit. Zeit scheint wie Geld zu sein. Durch technischen Fortschritt "eingesparte Zeit" wird nicht in andere Lebensbereiche
weitergeleitet, sondern derselben Verwendungs- und Verwertungslogik unterworfen.
Im Unterschied zur Vergangenheit ist Arbeit heute für die meisten Menschen aber mehr, als der Zwang zur Existenzsicherung. Arbeit ermöglicht nämlich auch Selbstbestimmung und sie vermittelt soziale Anerkennung. So wollen selbst jene arbeiten, die es finanziell eigentlich nicht nötig hätten.
Das Gegenteil von Arbeit heißt nicht länger contemplatio (Muße), sondern mögliche andere Arten der Beschäftigung. Daher nimmt der geplante Erlebnischarakter der Freizeit ständig zu, und auch die wachsende Bedeutung von Events im städtischen Leben, zum Beispiel in Einkaufsstraßen, Shopping-Malls und ähnlichen Orten, ist so zu erklären. Der Takt der Arbeit strukturiert auch die Freizeit mit ihren Angeboten für Fitness, Wellness, Kultur etc. Es wird implizit angedeutet, dass nur wer daran teilnimmt, auch im Arbeitsleben bestehen kann.

Allzeit verfügbar?

Dienstleistungen werden heute rund um die Uhr angeboten und genutzt, der industriell geprägte "Normalarbeitstag" wird immer mehr vom neoliberalen Idealbild der allzeitigen Verfügbarkeit abgelöst. Die Arbeitswelt wird immer schneller, immaterieller, virtueller. Es werden hohe Mobilität und schnelle Anpassungen an die technologischen Fortschritte gefordert, währenddessen sich die Entwicklungsdauer in Technik und Forschung verkürzt. Die menschlichen Gewohnheiten verändern sich demgegen­über allerdings nur langsam. Kontrollierte Naturerlebnisse werden im betrieblichen Umfeld als Mittel der Entschleunigung und damit einhergehender Psychohygiene und daher auch zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit eingesetzt.
Flexibilisierung der Arbeitszeit bedeutet, Lage und Verteilung der Arbeitszeit kurzfristigen Schwankungen von Arbeitsanfall und Personalverfügbarkeit sowie ebenso kurzfristigen individuellen (Frei-)Zeitbedürfnissen bestmöglich anzupassen. Der betriebliche Vorteil ist, dass Verschwendung von Arbeitszeit nicht vorkommt. "Nicht mehr die Pünktlichen, sondern die Flexiblen machen Karriere." (Karlheinz A. Geißler)

Sozialleben leidet

Der Nachteil, so Peter Landgraf, Betriebsrat in der Telefonzentrale des ÖAMTC in Graz, liegt bei den Menschen. "Der Schichtbetrieb ist zwar notwendig, aber das Sozialleben des Einzelnen leidet darunter, manchmal auch extrem. Man fällt langsam, aber sicher aus dem Sozialgefüge heraus. Freunde und Verwandte haben zu anderen Zeiten Zeit, als man selbst. Als junger Mensch kann man damit noch ganz gut umgehen, aber ich habe daran schon Familien zerbrechen gesehen. Der Stress kann dann natürlich auch zu Krankheiten führen."
Die zeitliche Dimension der Arbeit verändert sich. Längere Aus- und Weiterbildung, Diskontinuitäten in der Erwerbsbiografie sind die Regel, es gibt kaum noch lebenslange Berufsprofile, sondern wechselnde Tätigkeiten an unterschiedlichen Orten. An die Stelle der Dichotomie von Arbeitszeit und Freizeit tritt die Unterscheidung verschiedener Zeitsegmente, "Erwerbs-Zeit, Bildungs-Zeit, Bürger-Zeit, Familien-Zeit und Eigen-Zeit" (Gerd Mutz).
Der Rohstoff der Zukunft heißt Information. Ihn verarbeiten die sogenannten WissensarbeiterInnen, die als Ausführende oder Kreative eine neue Art von Arbeit, mit neuem Stil, neuen Zeitmustern und Lebensbedürfnissen entwickeln und auch leben. Die herkömmliche Unterscheidung von Berufs- und Privatleben ist bei ihnen nicht anwendbar; mit Allgegenwart des Internets und den beinahe uneingeschränkten Möglichkeiten der Telekommunikationsmedien können sie jederzeit und an jedem Ort arbeiten.
Was aber passiert mit den "aus dem System Gefallenen", also zum Beispiel Arbeitslosen, älteren Menschen, Einkommensschwachen, die Marginalisierten? Auf der Seite der SeniorInnen zeigen sich Tendenzen des Rückzugs in die eigenen vier Wände, Fernsehen wird alleiniger Zeitvertreib, viel Wissen und Möglichkeiten liegen als ungenutztes Potenzial brach.

Die jungen Ausgegrenzten

Pessimismus kennzeichnet die Stimmung unter den jungen Ausgegrenzten, die sich hierin von den integrierten Gleichaltrigen unterscheiden. Nachdem diese noch stark spaßorientiert waren, dominiert nunmehr der Pragmatismus als Weltsicht. Die jungen Ausgegrenzten ziehen sich jedoch nicht zurück wie einst ihre Eltern, sondern reagieren mit einer provokativen Besetzung der öffentlichen Räume.

Mehr Infos unter:
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