topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Eine Zeitreise Die Transnistrische Moldauische Republik hat sämtliche Einrichtungen und Merkmale einer Eigenstaatlichkeit. Der transnistrische Rubel z. B. wird als einziges Zahlungsmittel akzeptiert.

Eine Zeitreise

Schwerpunkt

Die nicht anerkannte Transnistrische Moldauische Republik - ein zeitgenössischer Besuch in der sowjetischen Vergangenheit.

Wir verlassen die Hauptstadt der Republik Moldau, Chisinau, in Richtung Ukraine. Kaum mehr als eine Stunde später stehen wir an der Grenze, aber nicht an jener zwischen Moldau und der Ukraine. Wir warten in einer Fahrzeugschlange vor einem Grenzposten, den es auf keiner Landkarte gibt. Ein Grenzsoldat der legal nicht existenten und von keinem Land der Welt anerkannten Republik Transnistrien winkt unser Auto zur Seite. Wir müssen uns ein Visum für den Besuch dieses seit Juli 1992 abgespaltenen Teils der Republik Moldau kaufen. Rund drei Euro kostet der Eintritt in das "Disneyland des Kommunismus", wie es die MoldauerInnen bezeichnen. Noch am Grenzübergang erblicken wir das erste Mal das Hoheitszeichen des jungen, von Separatisten erfundenen, Staates: aufgehende Sonne, Hammer und Sichel, ein roter Stern, umrahmt von einem Ährenkranz mit Maiskolben und Weintrauben. Ein klassisches sowjetisches Wappen, so wie es einst alle 15 Teilrepubliken der UdSSR hatten. Die Staatsflagge entspricht jener des früheren Sowjet-Moldawiens, dem Vorgängerstaat der heutigen Republik Moldau. Überhaupt sieht sich Transnis­trien als legitimer Nachfolger der eins­tigen Sowjetrepublik. Polizei, Militär, auch andere staatlichen Symbole sind der sowjetischen Vergangenheit nachempfunden. Auch der Geheimdienst heißt hier immer noch KGB.

Die Erben des Bürgerkrieges

Hinter der Grenze durchqueren wir die Stadt Bender, die am linken Ufer des Dnestr-Flusses liegt. Das Friedensabkommen nach fast fünf Monaten Bürgerkrieg beließ die strategische Stadt als Brückenkopf in den Händen der Separatisten. Zum Krieg zwischen dem abtrünnigen Landesteil und Restmoldau kam es aufgrund der nationalistisch pro-rumänischen Regierung in Chisinau. Das slawisch geprägte rechte Ufer des Dnestr wollte einen möglichen Anschluss Moldawiens an Rumänien nicht akzeptieren und erklärte sich umgehend als unabhängig. Daraufhin begann die junge moldauische Armee - das Land war gerade ein Jahr alt - mit dem Einmarsch in die aufständischen Gebiete. Dort hatten sich Milizen gebildet, die auf die gut bestückten sowjetischen Waffenlager rund um Tiraspol, der heutigen Hauptstadt Transnistriens, zurückgreifen konnten. Der Kampf dauerte bis Juli 1992 und endete mit dem Einschreiten der auf transnistrischer Seite stehenden ehemaligen sowjetischen, damals bereits russischen Armee unter Kommando von General Lebed.
Seit Mitte 1992 wird nun die Waffenstillstandslinie zwischen Moldau und seinem widerrechtlich okkupierten Gebiet, gegen den Willen Moldaus, von "russischen Friedenstruppen" bewacht. Seither herrscht zwar nach außen hin Ruhe, allerdings führt die von Präsident Igor Smirnow in Transnistrien errichtete Diktatur zur Abwanderung der verbliebenen rumänischsprachigen Bevölkerung. Heute sind von der rund halben Mio. TransnistrierInnen nur noch ein Viertel MoldauerInnen. Der Rest setzt sich mehrheitlich aus Russen/-innen und UkrainerInnen zusammen. In einer international nicht anerkannten Volksbefragung wünschten sich 2006 über neunzig Prozent der TransnistrierInnen den Anschluss ihres Separatstaates an die Russische Föderation. Russland hat dieses Ansuchen zwar offiziell abgelehnt, dennoch orientiert sich Transnistrien klar in Richtung Moskau.

Die Hauptstadt Tiraspol

Nachdem wir Bender hinter uns gelassen haben, überqueren wir die Dnestr-Brücke und gelangen so auf das eigentlich transnistrische Gebiet. Kaum zwanzig Minuten später erreichen wir die Hauptstadt des eigenwilligen Staates. Knapp nach der Einfahrt erblickt man das neu erbaute "Sheriff"-Fußballstadion. Sheriff ist die Tankstellen- und Supermarktkette im Land, Teile des Firmenimperiums des Sohns von Staatspräsident Smirnow. Dieser residiert in einem sowjetischen Verwaltungsbau aus den 1970er-Jahren, der auf der linken Seite der großen Prachtstraße im Herzen der Stadt liegt. In der Nähe steht ein sowjetischer Panzer auf einem Sockel, davor die ewige Flamme und das Grabmal des unbekannten Soldaten. Hier wird des vermeintlich heroischen Kampfes für den Separatstaat und dessen Gründung 1992 gedacht.
Ebenfalls in Sichtweite des Präsidenten steht ein gepflegtes, stets mit frischen Blumen bedachtes Lenin-Denkmal. Am Ende des Boulevards liegt das riesige Gebäude des Obersten Sowjets, des Parlaments von Transnistrien, in dem stets die Partei des Präsidenten die Mehrheit hat. Die Transnistrische Moldauische Republik hat sämtliche Einrichtungen und Merkmale einer Eigenstaatlichkeit. Der transnistrische Rubel z. B. wird als einziges Zahlungsmittel akzeptiert. Skurril wird es, als wir beschließen, Ansichtskarten aus Tiraspol zu senden. Artig kaufen wir am Postamt transnistrische Briefmarken und übergeben die frankierten Karten der Postbeamtin. Diese nimmt sie und gibt sie in ein mit moldauischen Marken beklebtes Kuvert. Auf unser Nachfragen hin erläutert uns die Beamtin, dass transnistrische Briefmarken nur innerhalb der Republik gültig sind und im internationalen Postverkehr nicht anerkannt werden.

Bekanntschaft mit dem KGB

Unterdessen wartet der Rest unserer Reisegruppe in der Straße der Roten Armee. Dort werden die ahnungslosen ÖsterreicherInnen von zwei Geheimdienstagen­ten in Zivil zur Ausweiskontrolle gezwungen. Das Gruppenvisum befindet sich aber in Händen eines Reiseteilnehmers, der im Postamt ist. Die "Genossen" des KGB stellen daher behördlich den illegalen Aufenthalt der Restgruppe fest und beschließen diese zu verhaften. Nur dank des Verhandlungsgeschicks unserer Übersetzerin zögern die KGB-Leute damit Verstärkung anzufordern.
Nachdem die "Postgruppe" zurückgekehrt ist, lässt sich das Visumproblem schnell aufklären. Verschreckte Reisende und eine Verwarnung durch die Behörde sind die Folgen der KGB-Kontrolle. Die Lust, sich länger im Land aufzuhalten, vergeht zusehends. Nur die Aussicht auf den Kauf günstigen Cognacs besänftigt die Gemüter der Reisenden. In der Le­ninstraße 5 besuchen wir schließlich den Fabriksverkauf der berühmten Cognac-Firma Kvint. Tatsächlich hebt die Verkostung fünfzehn oder mehr Jahre alter Spezialitäten die Stimmung.

Rückkehr in die Legalität

Vor der Rückreise besuchen wir den Markt von Tiraspol und nehmen dort die Gelegenheit wahr, ein wenig mit den EinwohnerInnen des Landes zu sprechen. Richtig zufrieden scheint niemand zu sein, doch offene Kritik an Regierung und Präsidenten wird keine geäußert. Die Angst vor KGB-Spitzeln ist wohl zu groß. Das Land befindet sich international gesehen im rechtsfreien Raum. Alles hängt vom Wohlwollen des Präsidenten und seines nicht minder korrupten Umfeldes ab. Laut Analysen der EU und der OSZE stammt der Großteil der Einnahmen des Landes aus dem Schmuggel mit Waffen und dem Handel mit illegalen Drogen, Zigaretten und Alkohol.
Am zentralen Markt findet man davon nichts. Hier wird mit Früchten, Gemüse und Alltagsgegenständen gehandelt. Die meisten KäuferInnen sind älter als vierzig Jahre, wohl weil beinahe die gesamte junge Bevölkerung bereits das Land in Richtung EU oder Russland verlassen hat. Viele der zurückgebliebenen Alten allerdings fühlen sich in ihrer Miniatursowjetunion durchaus wohl. Kriegsveteranen und andere einst verdiente Kader erhalten dieselben Vorzüge wie zu Sowjetzeiten. Auch sind die Pensionen ein wenig höher als im Rest der Republik Moldau. Obwohl das Regime in Wirklichkeit mit kriminellen Geschäften sein Einkommen erwirtschaftet, und sogar die Kommunistische Partei im Land, nachKritik am Präsidenten, unterdrückt wird, zeigt man sich gegenüber der Welt, ähnlich wie Weißrussland, als Staat, in dem die besten und edelsten Traditionen der Sowjetzeit überlebt haben.
Unsere kleine Delegation ist froh, als sie eine Stunde später wieder auf das Territorium der Republik Moldau zurückgekehrt ist. So spannend der Ausflug zurück in eine 1991 untergegangene Welt auch war, so schlimm ist es, dass eine halbe Million Menschen in diesem ihnen aufgezwungenen "Disneyland des Kommunismus" leben müssen. Die internationale Staatengemeinschaft gemeinsam mit Russland wird sich in den kommenden Jahren entscheiden müssen, wie sie mit diesem Relikt der Vergangenheit, das sich selbst zur unabhängigen Republik erklärt hat, umgehen wird.

Schreiben Sie Ihre Meinung
an den Autor
marcus.strohmeier@oegb.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum