topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Zeit für neue Arbeitszeiten! Es kann aber nicht sein, dass der einzige Maßstab für "moderne" Arbeitszeit die möglichst grenzenlose betriebswirtschaftliche Nutzung von "Humanressourcen" ist und Arbeitgebervertreter ein Interpretationsmonopol haben, was Modernität ist.
Buchtipp

Zeit für neue Arbeitszeiten!

Schwerpunkt

Gerade im Bereich Arbeitszeit sind Reformen dringend notwendig, dabei werden Kollektivverträge eine wichtige Rolle spielen.

Die Diskussionen zum Thema Arbeitszeit stehen nicht am Anfang, sondern finden an den verschiedensten Stellen innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften bereits seit einigen Jahren statt. Deshalb ist es wichtig, dass die Gewerkschaften dabei klare inhaltliche Positionen einnehmen. Für uns bleibt der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen ein Hauptziel. Während es in der auslaufenden Krise vorrangig um die Sicherung der vorhandenen Arbeitsplätze ging, muss jetzt im Aufschwung die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze wieder Priorität genießen.
Die künftige Gestaltung der Arbeitszeit hat selbstverständlich enorme ökonomische Bedeutung - sowohl für die einzelnen ArbeitnehmerInnen als auch für die gesamte Volkswirtschaft. Idealerweise geht daher eine Umgestaltung der Arbeitszeitrealitäten Hand in Hand mit einem Anstieg des Anteils der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen.

Eine Frage der Lebensqualität

Was die Menschen arbeiten, wann und wie viel sie arbeiten, ist aber nicht nur eine ökonomische Frage, sondern auch eine Frage der Gesundheit und der Lebensqualität. Anzustreben ist eine Verringerung der berufsbedingten Erkrankungen und Arbeitsunfälle durch eine Reduktion der körperlichen und geistigen Belastungen der ArbeitnehmerInnen. Dafür wird es neben der generellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen notwendig sein, die effektive Arbeitszeit - bestehend aus Normalarbeitszeit plus Mehr- und Überstunden - zu verringern. Hier muss an beiden Hebeln angesetzt werden, bei der Länge der Normalarbeitszeit und bei den Mehr- und Überstunden.
In der Krise ist in vielen Betrieben das Arbeitsvolumen deutlich zurückgegangen. Damit einhergehend sind die Überstundenexzesse der vergangenen Jahre für viele ArbeitnehmerInnen vorbei. Es ist vielleicht daher gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, die Verringerung der tatsächlichen Arbeitszeit voranzutreiben. Dafür stehen viele verschiedene Ansatzpunkte zur Verfügung. Entscheidend ist dabei, dass Mehr- und Überstunden für die ArbeitgeberInnen im Verhältnis zu Neueinstellungen wesentlich früher unattraktiv werden, als es derzeit der Fall ist. Darüber hinaus müssen wir sicherstellen, dass die ArbeitnehmerInnen nicht aus finanziellen Gründen selbst möglichst viele Überstunden anstreben. Das beste Mittel dagegen sind entsprechend attraktive Grundlöhne und Gehälter. Mit dem während der Normalarbeitszeit erzielten Einkommen müssen die Beschäftigten auch vernünftig leben können.
Besonders am Beispiel der Kurzarbeit während der zu Ende gegangenen Krise wird deutlich, dass das Teilen von Arbeit dazu beiträgt, Arbeitsplätze zu sichern. Kurzarbeit ist nichts anderes, als eine - mit Mitteln der Arbeitslosenversicherung unterstützte - befristete Arbeitszeitverkürzung. Diese Lösung ist wesentlich klüger als die brutalste Form der Arbeitszeitverkürzung, die Arbeitslosigkeit! Die Erfahrungen rund um Kurzarbeit machen aber auch deutlich, dass der Zugewinn an Freizeit und damit Lebensqualität bei vielen ArbeitnehmerInnen einen wesentlich höheren Wert darstellt, als das vielfach angenommen wird.

Stillstand seit 30 Jahren

Seit Ende der 1980er-Jahre ist in Österreich die Verkürzung der Normalarbeitszeit auf kollektiver Ebene bis auf wenige Ausnahmen de facto zum Stillstand gekommen, während gleichzeitig die Produktivität insbesondere in der Sachgütererzeugung geradezu explodierte. Teile dieses Produktivitätsfortschrittes flossen in die Löhne und Gehälter der (verbliebenen) Beschäftigten, die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft hat sich stark verbessert und die Kapitaleinkommen stiegen überproportional.
Die Schattenseiten dieser Entwicklung sind offensichtlich: permanent steigender Arbeitsdruck und viele verlorene hochwertige Arbeitsplätze. Historisch war die Antwort der Gewerkschaften auf Rationalisierung die Arbeitszeitverkürzung; aus Gründen der Humanisierung der Arbeit, der Partizipation der arbeitenden Menschen am Produktivitätsfortschritt und zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen.

Fragen der Zukunft

Dass umgekehrt Rationalisierung auch stattfindet, wenn keine Arbeitszeitverkürzung größeren Ausmaßes erfolgt, beweisen die letzten rund 20 (!) Jahre in aller Deutlichkeit. Die gewerkschaftliche Debatte dreht sich um die Frage, welche Antworten vor dem derzeitigen Hintergrund als richtig erscheinen. Arbeitszeitverkürzung wird ohne Zweifel mit dabei sein!
Eine der wesentlichen Fragen der Zukunft liegt darin, nach welchen Mechanismen die Länge, die Lage und die Verteilung der Arbeitszeit festgelegt wird, und in welchem Ausmaß unterschiedlichen Interessen der ArbeitnehmerInnen und der ArbeitgeberInnen entsprochen wird. Interessanterweise sind die gleichen ArbeitgeberInnenvertreter, die permanent von der Wichtigkeit von Flexibilität reden, selbst äußerst unbeweglich, wenn es darum geht, Flexibilität im Interesse der Beschäftigten zu ermöglichen. Notwendigkeiten gäbe es dafür viele: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Zugang zu Aus- und Weiterbildung, lebens- und alternsgerechte Arbeitszeitverteilung, verträglichere Schichten, Angebote für vollzeitnahe Teilzeit und so weiter.
Die Arbeitszeitrealität ist vielfältig und wird in Zukunft noch wesentlich differenzierter werden. Entscheidend sind Faktoren wie die ausgeübte Tätigkeit, die Betriebsgröße, die Qualität der kollektiv(vertraglich)en Regulierung, aber auch Alter, Geschlecht, Qualifikation, Branche, Region und noch vieles andere mehr.
Die Qualität neuer, moderner Arbeitszeitregelungen wird zweifelsfrei daran zu messen sein, ob sie im geeigneten Ausmaß die Komplexität der heutigen und zukünftigen Arbeitswelt widerspiegelt.

"Moderne" Arbeitszeit

Es kann aber nicht sein, dass der einzige Maßstab für "moderne" Arbeitszeit die möglichst grenzenlose betriebswirtschaftliche Nutzung von "Humanressourcen" ist, und ArbeitgeberInnenvertreter ein Interpretationsmonopol darauf haben, was Modernität sein soll. Modern sind für uns auch gesicherte Rechte der ArbeitnehmerInnen in Gesetzen, Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen, mit denen die Beschäftigten als Kollektiv und/oder der/die Einzelne entscheidend mitbestimmen, wann und wie viel gearbeitet wird. Und es sollte auch wieder modern werden, dass sich das Leben der ArbeitnehmerInnen nicht nur darum zu drehen hat, wann im Betrieb welche zu leistende Arbeitszeit gefordert wird.
Entgegen vieler Annahmen wird das Instrument Kollektivvertrag bei der Gestaltung der Arbeitszeit auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Gerade durch Kollektivverträge kann den Besonderheiten in den verschiedenen Branchen am besten entsprochen werden, und es können gemeinsame Ziele auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Manche Herausforderungen sind aber durch Kollektivverträge nicht oder nicht zufriedenstellend zu lösen. Einerseits ist der Gesetzgeber aufgefordert, seine Beiträge für eine Verbesserung des Arbeitszeitrechtes und einer wirksamen Kontrolle seiner Einhaltung zu leisten, und andererseits müssen viele Änderungen auf der betrieblichen Ebene ansetzen.
Der Erfolg gewerkschaftlicher Arbeitszeitpolitik wird schließlich auch davon abhängen, ob es uns gelingt, für die verschiedenen Verhältnisse jeweils die passenden Antworten zu finden. Innerhalb der Industriegewerkschaft PRO-GE werden wir in den nächsten Monaten gemeinsam mit den BetriebsrätInnen und den Mitgliedern viel Zeit in die Suche nach Antworten auf diese komplexen
Fragen und in die Aufrechterhaltung gewerkschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten investieren.

Mehr Infos unter:
www.proge.at/arbeitszeit
FORBA-Forschungsbericht Arbeitszeitverkürzung zur Umverteilung von Arbeit:
tinyurl.com/6ak6ekk
Schreiben Sie Ihre Meinung
an den Autor
peter.schleinbach@proge.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum