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Bildung geht weiter - stellt die Weichen neu Tatsache bleibt, dass die fehlende Kompetenz des Sinn erfassenden Lesens die Menschen ein Leben lang beim Erwerb neuen Wissens einschränkt. Das muss uns alle alarmieren.

Bildung geht weiter - stellt die Weichen neu

Schwerpunkt

Unser Schulsystem geht auf Maria Theresia zurück, höchste Zeit für Veränderung.

Die Ergebnisse von PISA 2009 haben erneut eine breite Debatte über das österreichische Bildungssystem ausgelöst. Fakt ist, dass die österreichischen 15- bis 16-jährigen SchülerInnen deutlich schlechter abschneiden als ihre gleichaltrigen KollegInnen in einer Reihe anderer Länder. Von 38 Staaten liegen nur sechs bei der Lese-Gesamtskala hinter Österreich.
Man kann jetzt natürlich ausführlich über die Aussagekraft, die Rahmenbedingungen beim Test und Stärken und Schwächen anderer Bildungssysteme debattieren. Tatsache bleibt, dass die fehlende Kompetenz des sinnerfassenden Lesens die Menschen ein Leben lang beim Erwerb neuen Wissens einschränkt. Das muss uns alle alarmieren.
Im Hinblick auf eine umfassende Reform des österreichischen Bildungswesens gehen die Ideen weit auseinander. Bewusst muss man sich dabei aber machen, dass unser dreigliedriges Schulsystem - Volksschule, Hauptschule und "Normalschule" - nahezu unverändert ist, seit Maria Theresia 1774 die "Allgemeine Schulordnung" unterschrieben, Joseph II. ein umfangreiches Schulbauprogramm initiiert und 1918 Otto Glöckel eine große Schulreform umgesetzt haben.
Womit sich das erste große Handlungsfeld eröffnet: die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen. Auch wenn bis heute die ideologischen Barrieren aus den Jahren 1926 und 1927 zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen die Diskussion prägen, wäre es die Sache wert, den Blick auf das Eigentliche zu richten: Chancengerechtigkeit ohne soziale Selektion. Es ist in unzähligen Studien belegt, dass die frühe Selektion in zwei Schultypen auch eine Selektion in soziale Schichten ist. Damit werden unterschiedliche Voraussetzungen geschaffen - und zwar nicht nach der Begabung, sondern nach der familiären Herkunft. Österreich, das sich von einem Produktions- zu einem Wissensstandort entwickelt hat und weiter entwickeln muss, kann es sich nicht leisten, auch auf nur ein einziges Talent zu verzichten.

Freude am Lernen vermitteln

Die gemeinsame Schule ist daher jener Ort, an dem soziale Integration gelebt werden muss, an dem Begabungen gehoben und gefördert werden, und wo leistungsschwächere SchülerInnen auf dem gemeinsamen Weg mitgenommen und nicht zurückgelassen werden. Wenn wir Schule nicht als Selektions- und Ausleseeinrichtung verstehen, sondern als Ort, an dem Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen mit ebenso unterschiedlichen und individuellen didaktischen und methodischen Konzepten die Freude am Lernen vermittelt bekommen, führt an der gemeinsamen Schule kein Weg vorbei.
Diese neuen didaktischen und methodischen Ansätze führen zum zweiten großen Handlungsfeld: der Aus- und Weiterbildung unserer Pädagoginnen und Pädagogen und ihrem Arbeitsumfeld. Der legitime Anspruch, nur die bes­ten und motiviertesten LehrerInnen im Klassenzimmer zu haben, setzt einerseits eine dementsprechende Ausbildung, und andererseits ein adäquates Arbeitsumfeld voraus. Ein wichtiger Moment ist, dass angehende Pädagogen und Pädagoginnen, von der Frühkindpädagogin bis zum AHS-Lehrer, schon am Beginn ihrer Laufbahn eine fundierte Ausbildung mit Karriere- und Durchstiegschancen bekommen.

Die Kompetenzen guter LehrerInnen

Das Max-Planck-Institut für Bildungs­forschung in Berlin hat mit seinem COACTIV-Projekt versucht, verschiedene Aspekte der LehrerInnenkompetenz zu erfassen, und deren Zusammenspiel zu analysieren. Schlussendlich ist man auf vier Kompetenzbündel gestoßen, die zusammen "den guten Lehrer, die gute Lehrerin" ausmachen. Erstens ein herausragendes Fachwissen mit guter Didaktik: Nur wer in der Lage ist zu erkennen, warum ein Schüler einen bestimmten Fehler macht, kann durch geänderte Didaktik darauf eingehen. Zweite wichtige Kompetenz ist die Fähigkeit, mit SchülerInnen und Eltern zu kommunizieren und den Bildungsweg zu begleiten. Die beiden letzten Kompetenzbündel umfassen einerseits die Fertigkeit, die eigene Begeisterung am Fach durch begeisternden Unterricht auch an die Schülerinnen und Schüler weiterzugeben; und dies andererseits auch mit einer gefestigten Werthaltung und Überzeugung zu tun.
Eine gemeinsame didaktische und fachwissenschaftliche Ausbildung aller angehenden Pädagogen/-innen zu der sich die besten eines Faches motivieren lassen, muss das Ziel sein. Dazu ist dem Beruf in der Öffentlichkeit ein Ansehen zu verleihen, das die LehrerInnen stolz macht, diesen Beruf gewählt zu haben. Und mit einem gemeinsamen Dienst- und Besoldungsrecht ist auch die organisatorische und finanzielle Basis dafür zu legen.

Begabungen fördern, Talente heben

Begabungen zu fördern und Talente zu heben ist auch ein Grundsatz, von dem Änderungen in der Berufsbildung getragen werden müssen. Österreich wird in absehbarer Zukunft von einem Fachkräftemangel betroffen sein, der noch nicht absehbare Folgen auf unsere Wirtschaft haben wird. Umso wichtiger ist es, dem schon heute entgegenzuwirken - indem wir die Jugend qualitativ hochwertig ausbilden. Dazu ist es dringend notwendig, endlich auch in der betrieblichen Ausbildung eine Qualitätssicherung zu etablieren, die sich prozess-, input- und outputorientiert dieser Frage nähert. Eine bloße Überprüfung am Ende der Ausbildung durch die Lehrabschlussprüfung wird diesem Anspruch bei weitem nicht gerecht.
Wesentlich ist auch die Frage der Durchlässigkeit und Höherqualifizierung, um Jugendliche für eine FacharbeiterInnenausbildung zu motivieren. Daher ist "Lehre mit Matura" flächendeckend und gebührenfrei auszubauen. Die gegenseitige Anrechenbarkeit von dualer Lehr- und berufsbildender Schulausbildung ist deutlich zu verbessern.
Um sich selbst und gemeinsam mit seinen Eltern ein Bild über die eigene Bildungs- und Berufszukunft machen zu können, ist eine qualitätsvolle Orientierung Grundvoraussetzung. Daher ist die Einführung eines eigenen Pflichtgegenstands Berufsorientierung in der 7. und 8. Schulstufe in allen Schultypen längst überfällig und so rasch wie möglich umzusetzen. Insbesondere Angebote vor einem geschlechterspezifischen und soziokulturellen Hintergrund sind zu schaffen.
Orientierung und umfassende Information über Berufs- und Bildungschancen sind auch die Voraussetzung, um sich im Berufsleben weiterzuentwickeln. Das "lebensbegleitende Lernen" ist nicht nur ein europäisches Programm, sondern wird zunehmend für viele ArbeitnehmerInnen zu einem wesentlichen Eckpfeiler beruflichen Erfolges. Hier kommt auch den BetriebsrätInnen in Zukunft eine verantwortungsvolle Rolle zu. Diese werden sich verstärkt in der Rolle von BildungsberaterInnen wiederfinden und benötigen dazu auch die entsprechenden Werkzeuge.
Aber nicht nur für ArbeitnehmerInnen lohnt sich Weiterbildung. Eine Studie der Arbeiterkammer hat die Rendite von betrieblicher Weiterbildung untersucht. Ergebnis: Jeder in Weiterbildung investierte Euro bringt dem Unternehmen 13 Euro zurück. Doch derzeit spielt Geld bei der Weiterbildung vor allem insofern eine Rolle, als dass sich die Betroffenen diese selbst bezahlen müssen. Daher sollte generell das Nachholen von formalen Bildungsabschlüssen gebührenfrei sein. Neben den Kurskosten ist oft auch die Zeit ein Hindernis, sich dem "lebensbegleitenden Lernen" widmen zu können. Hierbei ist auch die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wesentlich. Um die Teilnahme daran zu erleichtern, muss daher ein Anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz gegeben sein.

Weichen neu stellen

Der Österreichische Gewerkschaftsbund hat das Jahr 2011 unter einen Bildungsschwerpunkt gestellt. Dabei werden zu den wesentlichen Fragen Positionen bezogen, die die derzeit laufende gesellschaftspolitische Diskussion bereichern und dringend notwendige Veränderungen in unserem Bildungssystem befördern sollen. Nach Maria Theresia, Joseph II. und Otto Glöckel ist die Zeit im dritten Jahrtausend reif für neue Weichenstellungen.

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