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Early School Leavers Nicht selten sind Early School Leavers äußerst intelligente junge Menschen, die sich vor allem gegen eine Anpassung an herrschende Normen und Werte - die sie in der Schule exemplarisch verorten - wehren.
Buchtipp

Early School Leavers

Schwerpunkt

60.000 junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren alt hatten 2009 in Österreich maximal einen Pflichtschulabschluss und befanden sich auch nicht in Ausbildung.

Zwei Fallbeispiele: Markus ist 25 Jahre alt und arbeitslos. Aufgrund psychischer Probleme wird er seit Jahren von einem Sozialzentrum betreut, organisiert sein Leben aber weitgehend selbstständig. Seine Erinnerungen an die Schulzeit drehen sich vor allem um das Thema Mobbing. Die Schulzeit wird von ihm als "Horror" geschildert. Wegen seiner dicken Brille und seines Übergewichtes wurde er von Mitschülern und Mitschülerinnen ständig gehänselt und gemobbt. Zu Hause ließ er sich nichts davon anmerken, aber seine Motivation in der Schule verringerte sich stetig, immerhin schaffte er aber den Hauptschulabschluss. Danach ging er verschiedene Beschäftigungsverhältnisse ein, die aber nie länger als einige Monate währten. Seine Mutter ist ehemalige Schneiderin und arbeitslos. Sein Vater war Hilfsarbeiter, hat aber seine Familie früh verlassen. Markus hat keine Wünsche an sein Leben, Fragen nach der Zukunft interessieren ihn, wie er im Interview sagt, auch nicht.
Cornelia, 20 Jahre alt, stammt aus einer Akademikerfamilie. Beide Eltern sind beruflich gut positioniert. Aktuell jobbt sie im Vertrieb einer Bank und am Abend als Kellnerin. Nach dem Besuch der Unterstufe eines Gymnasiums wechselte sie auf eigenen Wunsch in eine Modeschule. Dort musste sie aber schnell erkennen, dass ihr das Klima in der neuen Schule und die Klassengemeinschaft nicht gefallen. Nach drei Jahren verließ sie die Schule mit dem Ziel, die Matura nachzuholen. Allerdings versäumte sie die erste Anmeldefrist, da sie segeln war. Dennoch glaubt sie an eine beruflich erfolgreiche Karriere. In Zukunft sieht sie sich als Modedesignerin in einer Dachgeschoßwohnung, mit Luxuswagen und Tauchschein.

Im Fokus der Forschung

So unterschiedlich die Biografien dieser beiden jungen Menschen sind, gemeinsam ist ihnen die Zuordnung zur bildungssoziologischen Kategorie Early School Leaver (frühe SchulabbrecherIn­nen). Nach EU-Definition handelt es sich dabei um junge Menschen, die zwischen 18 und 24 Jahre alt sind und keinen mittleren Bildungsabschluss höher als ISCED-Level 3c (z. B. einjährige Haushaltungsschule) vorweisen können und sich derzeit auch nicht in ­Ausbildung befinden. Für das Jahr 2009 meldete die Statistik Austria 60.000 Personen, für die diese Beschreibung in Österreich zutrifft. Die Ergebnisse der - im Auftrag der Arbeiterkammer Wien durchgeführten - Studie "Quo Vadis Bildung" zeigen, dass die Heterogenität der Merkmale, die Vielfalt der Ursachen, und das Spektrum der jeweiligen Bewältigungsstrategien der Betroffenen noch größer sind, als man vermuten würde.
In narrativen Interviews und Gruppendiskussionen wurde Early School Leavers die Möglichkeit gegeben, über ihre ganz persönliche Entwicklungsgeschichte zu sprechen. Zusätzlich wurden Jugendliche befragt, denen ein Weg zurück in das Bildungswesen gelungen ist. Von ihnen wollten die ForscherInnen verstehen lernen, welche Ressourcen Jugendliche benötigen, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Der frühe Schulabbruch ist kein singuläres, plötzlich auftretendes Ereignis, sondern das Resultat eines langjährigen Distanzierungsprozesses von der Schule. Umso wichtiger ist es, Lehrpersonen zu sensibilisieren, erste Anzeichen von Schuldistanz (wie beispielsweise Lernverweigerung, Gleichgültigkeit gegenüber der Schule, wiederholtes Zuspätkommen, Schulschwänzen und deutliche Unterrichtsstörungen) als solche zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Maßnahmen sollten dabei an den vorhandenen Potenzialen und Ressourcen der Jugendlichen ansetzen und sowohl auf individueller (Förderprogramme) als auch institutioneller (Schulkultur, Schulorganisation) Ebene wirken. Dabei sollten Interventionen und Programme möglichst frühzeitig erfolgen, also noch bevor sich die Probleme in der Schule verfestigen. Die Realität an den österreichischen Schulen sieht oft anders aus: Der überwiegende Teil der interviewten Early School Leavers berichtete über jahrelange Eskalation des Schulschwänzens bis hin zu monatelangem Dauerabsentismus. Dringend notwendige Elterngespräche in der Schule fanden nicht oder nicht ausreichend statt. Sinnvoll wäre hier, die Schulen in ihren Ressourcen zu stärken: Zusammenarbeit mit außerschulischen Gruppen und Organisationen (z. B. Elternberatungsstätten); Einrichtung interprofessioneller Teams (Lehrpersonen, Ärzte, Gesundheitspfleger, Erzieher, Sozialarbeiter, anderen Dienstleistungsberufen); dazu bedarf es neuer Professionalisierungsmodelle am Beispiel von internationalen Good-Practices.
Die interviewten Jugendlichen thematisierten zentral die Beziehungslosigkeit zwischen Lehrpersonen und SchülerInnen. Sie bedauerten, dass ihnen zu wenig Zeit eingeräumt wurde, um vorhandene Leistungsschwächen auszugleichen. Zwischenmenschliche Probleme mit Lehrenden manifestierten sich in den Erinnerungen der Early School Leavers vor allem dann, wenn demütigende Erlebnisse damit verbunden wurden. Die Schule bleibt ihnen als Ort des Scheiterns in Erinnerung.
Anders sieht es bei den WiedereinsteigerInnen in das Bildungssystem aus. Ein persönliches Netzwerk, das als Ressource genützt werden konnte, erhöhte ihre Chancen auf einen Wiedereinstieg oder einen Berufseinstieg beträchtlich. Beziehungen zu wertschätzenden Erwachsenen (zu Lehrpersonen, Paten, sonstigen Vorbildern) und zu Gleichaltrigen, die einem Umfeld angehören, in dem Bildung eine wichtige Rolle spielt, waren in allen Fällen der entscheidende Anstoß für einen Neuanfang bzw. Wiedereinstieg. Eine Peergruppe, die sich durchgehend in derselben Situation wie der/die Betroffene befindet (früher Schulabbruch, Arbeitslosigkeit etc.), beeinflusst hingegen in den allermeisten Fällen die Jugendlichen negativ. Die jugendlichen WiedereinsteigerInnen berichteten über einen immensen psychischen Druck vonseiten der eigenen Peergruppe, die hartnäckig und wiederholt versucht, den Wiedereinstieg ihres "Ausreißers" in die Schule zu unterlaufen. Von Schmähungen bis hin zur Drohung, die Freundschaft aufzukündigen, finden sich alle Varianten von subtilem und offenem Druck.

Bewältigungsstrategien

Die These des amerikanischen Drop-outforschers Rumberer: There is no 'typical‘ drop-out gilt auch für Österreich. Es gibt eine Reihe an Risikofaktoren, die Schulabbruch begünstigen (sozioökonomisch benachteiligter, familiärer Hintergrund gepaart mit geringer Bildungsaspiration der Eltern; Klassenwiederholungen; Schulwechsel; wenig förderliche Peergruppe; Scheidung der Eltern; Mobbing; Arbeitstätigkeit neben der Schule). Dennoch gibt es vermehrt Jugendliche aus privilegierten Milieus, die über alle ökonomischen und bildungsrelevanten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schullaufbahn verfügen und dennoch scheitern. Nicht selten sind Early School Leavers äußerst intelligente junge Menschen, die sich vor allem gegen eine Anpassung an herrschende Normen und Werte - die sie in der Schule exempla­-risch verorten - wehren.

Sieben Habitustypen

Das Wiener Forschungsteam rekonstruiert sieben Habitustypen von Early School Leavers (Ambitionierte, Lern­beein­trächtigte, Orientierungslose, Realitätsflüchtige, Resignierte, Statusorientierte, Unangepasste) und legte somit einen weiteren Grundstein für die Entwicklung zielgruppenorientierter Präventions- und Interventionsstrategien. Interventionen nach Schulabbruch - und seien sie noch so zielgerichtet - können aber insgesamt immer nur als "zweite" Wahl und als Zeichen eines mangelhaften schulischen und kommunalen Präventionsangebots gewertet werden. Deshalb gilt es, bereits im Vorfeld jegliche Anstrengungen zu unternehmen, um einen frühen Schulabbruch gar nicht stattfinden zu lassen.

Internet:
Nairz-Wirth, Erna/Meschnig, Alexander/Gitschthaler, Marie (2010): Quo Vadis Bildung? Eine qualitative Studie zum Habitus von Early School Leavers. ­Projektbericht. Arbeiterkammer Wien.
Download des Forschungsberichts
tinyurl.com/studiequovadis

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erna.nairz-wirth@wu.ac.at
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