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Lehrreich? Die Betriebe klagen, dass Lehrlinge schlecht ausgebildet, dumm oder faul und zu teuer seien. Demgegenüber stehen gestiegene Lehrlingsförderungen für Firmen und die "Liberalisierung" des Lehrlingsmarktes zum Nachteil der Jugendlichen.

Lehrreich?

Schwerpunkt

Eine Lehrlingsinitiative jagt die nächste. Gut so. Doch während Unternehmen Förderungen kassieren, leben Lehrlinge unter der Armutsgrenze.

Ende 2010 gab es in Österreich knapp 130.000 Lehrlinge.1 Etwa 10.700 davon absolvieren ihre Lehre laut Sozialminister Rudolf Hundstorfer in überbetrieblichen Lehrwerkstätten. WKÖ-Chef Christoph Leitl freut sich, dass die Lehrstellen in den vergangenen Jahren wieder mehr geworden sind. Doch der Schein trügt: Gab es im Jahr 1980 noch 194.000 Lehrlinge, waren es 2005 nur noch 122.000. Der Zuwachs seitdem ist mehr als mager und erreicht gerade 60 Prozent des Niveaus von 1980. Zudem sind derzeit 46.100 Jugendliche bis 24 Jahre arbeitslos, und den 5.144 Lehrstellensuchenden stehen nur 2.960 offene Lehrstellen gegenüber. In Wien ist das Verhältnis offene Lehrstellen (258) zu Lehrstellensuchenden (927) gar 1:3.2

"Ausbildungsgarantie"

Nach der Pflichtschule soll jeder Jugendliche eine weitere Ausbildung absolvieren. Um dies zu ermöglichen, stellt die Bundesregierung für Jugendliche bis 18 Jahre, die keine Lehrstelle gefunden haben, 14.000 Ausbildungsplätze zur Verfügung. "Die hohe Zahl der Lehrlinge in überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen zeigt klar, dass die Unternehmen zu wenige Jugendliche ausbilden. Wer nicht ausbildet, soll einzahlen", fordert Jürgen Michlmayr, Vorsitzender der ÖGJ.
Viele Betriebe greifen auf die in außerbetrieblichen Einrichtungen ausgebildeten Jugendlichen zurück, oder nehmen lieber MaturantInnen sowie länger Lehrstellensuchende, die einerseits besser qualifiziert, andererseits nach einer langen Wartezeit vielleicht "williger" sind. Dies hat dazu geführt, dass die Lehrlinge immer älter werden. In Wien etwa gibt es überhaupt keine Lehrlinge mit 15 Jahren im 1. Lehrjahr. Im 3. Lehrjahr sind nur 29 Prozent im 18. Lebensjahr, fast 59 Prozent 19 Jahre oder älter.
Die Betriebe klagen, dass Lehrlinge schlecht ausgebildet, dumm oder faul und zu teuer seien. Demgegenüber stehen die in den vergangenen Jahren gestiegenen Lehrlingsförderungen für Firmen und die "Liberalisierung" des Lehrlingsmarktes zum Nachteil der Jugendlichen.
2009 flossen für die Lehrlingsförderung 343 Mio. Euro, davon 158 Mio. in den betrieblichen und 123 Mio. in den überbetrieblichen Bereich.3 2010 wurden für die betriebliche Lehrlingsausbildung rund 155 Mio. Euro ausgegeben: Neben der Basisförderung von bis zu drei Lehrlingsgehältern waren das 2.000 Euro Zuschuss für neu geschaffene Lehrstellen, 250 Euro für ausgezeichnete Lehrabschlussprüfungen, bis zu 1.000 Euro für Ausbildungsverbünde oder 3.000 Euro für einen positiven Ausbildungsnachweis zur Mitte der Lehrzeit (Praxistest).4
Im Februar 2011 hat Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner das Aus für den Praxistest erklärt. Von Gewerkschaftsseite wurde dieser von Beginn an abgelehnt, weil die Förderung nur als Vorwand diente, an staatliche Mittel für die Lehrlingsausbildung zu gelangen.5 Die Arbeiterkammer hat errechnet, dass etwa ein Lehrling im Einzelhandel den Betrieb in der dreijährigen Lehrzeit rund 29.000 Euro an Entschädigung und Sozialversicherungsbeiträgen kostet. Dem stehen nicht nur die Arbeitsleistungen des Lehrlings gegenüber, sondern der Staat fördert diese Lehrlingsausbildung noch mit maximal 8.500 Euro. Damit übernimmt die Allgemeinheit fast 30 Prozent der Lohnkosten.6

Arme Lehrlinge

Lehrlinge im Wiener Handel beziehen nach einer Umfrage der GPA-djp durchschnittlich ein Nettoeinkommen von 500 Euro im Monat, in überbetrieblichen Ausbildungsstätten bloß 240 Euro im ersten und zweiten bzw. 555 Euro im dritten Lehrjahr. Mehr als die Hälfte gibt an, dass sie regelmäßig finanziell von den Eltern unterstützt wird. Kein Wunder: Lehrlinge leben unter der Armutsgrenze, die bei monatlich 951 Euro für einen Einpersonenhaushalt liegt. "Während ständig nach mehr Eigenverantwortung der Jugendlichen gerufen wird, wird ihnen dies real nicht ermög­licht. Deshalb braucht es die Einführung einer Mindestlehrlingsentschädigung über alle Branchen hinweg, die sich am Mindestlohn orientieren muss: 60 Prozent im ersten, 80 Prozent im zweiten und 100 Prozent im dritten Lehrjahr", verlangt Christoph Peschek, GPA-djp-Regionaljugendsekretär in Wien.
Die von der ÖVP/FPÖ-Regierung durchgesetzte Verlängerung der Probezeit von zwei auf drei Monate, die Verkürzung der Behaltefrist von vier auf drei Monate oder die Ausdehnung der Arbeitszeit im Gastgewerbe von 22 Uhr auf 23 Uhr, wurde auch von den folgenden SPÖ/ÖVP-Regierungen nicht aufgehoben. Wie mit den Lehrlingen umgesprungen wird, zeigen beispielsweise die Zahlen aus Wien: Von den insgesamt 18.800 Lehrlingen verloren knapp 3.000 ihren Job. Von den 6.907 im Jahr 2009 neu geschlossenen Lehrverträgen wurden 1.346 gleich aufgelöst und nach der verlängerten Probezeit haben 1.112 Jugendliche ihre Lehrstelle verloren.

Chancen für die Jugend?

Auch sonst sind die Bedingungen und die  "Chancen für die Jugend", wie gerade jetzt in den Medien beworben, nicht gerade rosig. Laut GPA-djp-Lehrlingsumfrage leisten 69 Prozent Überstunden, 42 Prozent sogar freiwillig - zum Teil ohne Bezahlung. Denn fast jeder zweite Lehrling hat Angst, seine Stelle zu verlieren, obwohl 55 Prozent nicht ihren Wunschberuf lernen. 36,7 Prozent haben Ärger mit dem Chef, wenn sie krank sind, und 28 Prozent Probleme bei ihrer Urlaubseinteilung. 72,2 Prozent erhalten nichts von der Förderung bei einem positiven Lehrlings-Praxistest. 84,8 Prozent haben entweder nur außerhalb der Arbeitszeit oder gar keine Chance an der Berufsmatura teilzunehmen. 63,9 Prozent sind mit der Lehrlingsentschädigung (= Gehalt) unzufrieden.
Ebenso beunruhigend ist, dass die Zahl der nicht bestandenen Lehrabschlussprüfungen von 2005-2009 von 967 auf 1.619 gestiegen ist. Für die GPA-djp hat das folgende Gründe: Einerseits den Qualitätsverlust der Ausbildung, weshalb es eine Qualitätssicherungsstelle in Wien braucht, andererseits lassen viele Betriebe Jugendliche nicht am Deutsch-Förderunterricht teilnehmen, da dies Arbeitszeit wäre und sie nicht im Betrieb wären.

Ausbildungsqualität prüfen

Für den Vorsitzenden der GPA-djp-Jugend, Rene Pfister, wurden "die mit der Lehrlingsförderung angestrebten Ziele nicht erreicht. Es gibt immer noch mehr Lehrstellensuchende als offene Lehrstellen. Und wir brauchen ein Benchmark­system, das die Ausbildungsqualität und somit auch die Betriebe prüft". Daran schließt Alexander Prischl, Leiter des ÖGB-Referates Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik, an: "Neben der inhaltlichen Qualität der Berufsbilder steht für uns auch die Qualität der Ausbildung im Betrieb selbst im Vordergrund. Es ist längst an der Zeit, dass wir die Ausbildungsqualität prozesshaft begleiten und rechtzeitig  Korrekturen vornehmen können. Es nützt den Jugendlichen wenig, wenn man am Ende der Lehrzeit bei der Lehrabschlussprüfung feststellt, dass ihm nichts beigebracht wurde, dann ist es leider zu spät."
Besonders wichtig ist Christoph Peschek von der GPA-djp ein echter Berufsausbildungsfonds mit spürbaren Beiträgen von verantwortungslosen Betrieben. Weiters braucht es eine Ausdehnung der Berufsschulzeit auf zumindest zwei Tage pro Woche in allen Lehrjahren, eine Beschränkung auf maximal acht Unterrichtseinheiten pro Berufsschultag, die Senkung auf maximal 25 SchülerInnen in den Berufsschulklassen, eine laufende Modernisierung der Ausstattung, Bewegung und Sport als verbindliche Übungen in den Berufsschulen sowie mehr Unterrichtsstunden zur Erweiterung der Allgemeinbildung. Insgesamt sollte das Mehr an Unterrichtszeit die Chance zur Entwicklung von Sozialkompetenzen für Lehrlinge verbessern. Notwendig sind auch höhere Lehrlingsentschädigungen, die Anrechnung der Berufsmaturakurse als Arbeitszeit oder die Neugestaltung der Finanzierung zur Höherqualifikation oder zur Berufsreifeprüfung, die derzeit die FacharbeiterInnen selbst bezahlen müssen.

Internet:
Berufskompass des AMS
www.berufskompass.at/lehrlingskp3
Kümmer-Nummer der Stadt Wien
www.kuemmer-nummer.at
AMS-Arbeitszimmer
www.arbeitszimmer.cc

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oder die Redaktion
aw@oegb.at

1 Lehrberufslexikon: www.bic.at/downloads/at/broschueren/lehrberufslexikon2010.pdf
2 wko.at/statistik/jahrbuch/Lehrling9.pdf
3 Die Presse, 16. März 2009
4 Der Standard, 28. Jänner 2011; portal.wko.at/wk/startseite_dst.wk?angid=0&dstid=8631
5 GPA-djp: Presseaussendung, 2. Februar 2011; APA-OTS0052    2011-02-02
6 www.arbeiterkammer.at Unternehmer müssen mehr ausbilden, 13. August 2010

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