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Globale Arbeitsverhältnisse - ­gewerkschaftliche Perspektiven? So kamen BetriebsrätInnen genauso in den Uni-Hörsaal wie Studierende in die GPA-djp. Der ÖGB-Verlag lud in seine Buchhandlung und die BR-Vorsitzende der Erste Bank in die Kantine der Unternehmenszentrale zu Vorlesungen ein.

Globale Arbeitsverhältnisse - ­gewerkschaftliche Perspektiven?

Schwerpunkt

Wissenschaft und Praxis zusammengeführt mit gewerkschaftlichem Bezug.

Bildung bedeutet unter anderem, neue Wege zu beschreiten, und den eigenen Horizont durch neue Erfahrungen zu erweitern. Dies ganz allgemein formuliert kann auch als ein grundlegendes Motiv für die Kooperation zwischen dem Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien und der GPA-djp im vergangenen Wintersemester 2010/11 angesehen werden. Konkreter ging es bei der Bildungskooperation darum, einen intensiven Austausch zwischen wissenschaftlicher und gewerkschaftlicher Praxis anzustoßen. Thematisch wurde dafür die Beschäftigung mit aktuellen Problemstellungen gewerkschaftlichen Handelns, zusammengefasst unter dem Titel "Globale Arbeitsverhältnisse - gewerkschaftliche Perspektiven?", in den Mittelpunkt gerückt.

Erfahrungswelten zusammenbringen

Austausch und gemeinsamer Diskurs stellen Grundvoraussetzungen für das Ermöglichen von gegenseitigen Lernerfahrungen dar. Wissenschaft beobachtet und analysiert die mit dem gewählten Thema zusammenhängenden Entwicklungen. Indem sie Interpretationsmöglichkeiten zur deren Verständnis bereitstellt, schafft sie auch wesentliche Grundbedingungen für aktives Gestalten. PraktikerInnen gewerkschaftlicher Arbeit wiederum sehen sich mit den vielfältigen Anforderungen, Notwendigkeiten und auch Schwierigkeiten aktiven Gestaltens tagtäglich konfrontiert. Auf sie wirken sich wirtschaftliche Veränderungen und betriebliche Handlungszwänge unmittelbar aus, sodass sie ihr Agieren häufig auch als bloßes Reagieren empfinden. Das Zusammenbringen beider Erfahrungswelten erweitert daher auf beiden Seiten Perspektiven und kann so Lösungen für anstehende Fragestellungen befördern.

"Ringvorlesung" als Ringelspiel

Der Interessenlage entsprechend bestand eine besondere Herausforderung der Kooperation darin, die unterschiedlichen Zielgruppen, Studierende auf der einen und BetriebsrätInnen sowie GewerkschafterInnen auf der anderen Seite, mit einem umfassenden Veranstaltungsangebot anzusprechen. Unter anderem lag es dabei nahe, die für beide jeweils gängigen Bildungsformen von Universitäten und Gewerkschaften, nämlich Vorlesungen für Studierende und Kursangebote bzw. Veranstaltungen für BetriebsrätInnen, zu kombinieren.
Das Ergebnis war schließlich eine Vorlesungsreihe, die als "Ringvorlesung" geführt wurde, da die einzelnen Termine von immer anderen Vortragenden bestritten wurden. In insgesamt dreizehn Terminen von Mitte Oktober 2010 bis Ende Jänner 2011 waren Studierende und BetriebsrätInnen eingeladen, sich mit Fragen nach gewerkschaftlichem Handeln in einer globalisierten Welt auseinanderzusetzen. Die Vorträge kamen mehrheitlich aus dem wissenschaftlichen Kontext und wurden von GewerkschafterInnen bzw. BetriebsrätInnen kommentiert.

"Neue Wege" beschritten

Das Beschreiten "neuer Wege" wurde darüber hinaus auch bei der Auswahl der Vorlesungsorte wörtlich genommen: So kamen BetriebsrätInnen genauso in den universitären Hörsaal wie Studierende umgekehrt in die GPA-djp. Zusätzlich luden der ÖGB-Verlag in seine Fachbuchhandlung und die Betriebsratsvorsitzende der Erste Bank in die Kantine der Unternehmenszentrale zu Vorlesungen ein.
Seit den 1970er-Jahren findet eine Welle von Globalisierungsprozessen statt, die als Krisenphänomen des Fordismus interpretiert werden können. Strukturen, die die Situation in Mitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg prägten, wie zum Beispiel langfristig orientierte Unternehmenspolitiken, kontinuierliche Erwerbsbiografien und überwiegend nationale Gesetzgebung verlieren zusehends an Bedeutung. ­Dadurch geraten aber auch die in hohem Maß auf diese Bedingungen ausgerichteten Gewerkschaften unter Druck.
Die Ringvorlesung beschäftigte sich mit den verschiedenen Aspekten und Auswirkungen dieser Veränderungen, die grob in drei Blöcken zusammengefasst werden können. Neue gewerkschaftliche Strategien wurden in Bezug

  • auf Globalisierung und Krise,
  • internationale Produktion und Arbeitsteilung sowie
  • neue Arbeitsverhältnisse und Beschäftigung im Niedriglohnsektor diskutiert.

Globalisierung und Krise

Ausgehend von einer Repräsentationskrise europäischer Gewerkschaften (Mitgliederschwund) stellt sich für Klaus Dörre von der Universität Jena die Frage nach Möglichkeiten ihrer strategischen Erneuerung. Um gewerkschaftliche Organisationsmacht nachhaltig zu sichern, sind unter anderem neue Organisierungsstrategien und die Entwicklung von Alternativszenarien zum Finanzkapitalismus nötig. Dass die aktuelle Wirtschaftskrise hier eine Chance geboten hätte, die nicht optimal genutzt wurde, diskutierte James K. Galbraith (University Austin at Texas) in seinem Vortrag. Vor allem im organisatorischen wie auch im verhandlungstaktischen Bereich setzen einzelne Gewerkschaften bereits konkrete Schritte zur Neuausrichtung. So ist gewerkschaftliches Agieren im Rahmen der österreichischen Sozialpartnerschaft durch zunehmende Konfliktorientierung geprägt, wie Karl Proyer, KV-Chefverhandler der GPA-djp, anhand einiger Beispiele darlegte.
Die Verlagerung von Produktionsstätten stellt nicht nur eine regionale Herausforderung für Gewerkschaften dar. Am Beispiel der Arbeitsbedingungen in "transnationalen Produktionsketten", über die Martina Sproll (Universität Frankfurt/M.) anhand der Kontraktfertigung in der IT-Industrie in China und Brasilien berichtete, wird die Notwendigkeit internationaler Gewerkschaftsarbeit deutlich.
Als international angelegte gewerkschaftliche Arbeit wurde das "Transnational Campaigning" genauso besprochen wie der Europäische Betriebsrat (EBR). Die Vernetzung auf EBR-Ebene präsentierte Ingrid Stipanovsky, Betriebsratsvorsitzende der Novartis Pharma GmbH, als entscheidenden Faktor zur Durchsetzung von ArbeitnehmerInneninteressen in international operierenden Konzernen.

Andere ArbeitnehmerInnengruppen

Wenn sich im Zuge der Globalisierung ganze Branchen und Betriebsstrukturen verändern, hat dies auch massive Auswirkungen auf Arbeitsverhältnisse. ­Gewerkschaften sind zunehmend herausgefordert, neue ArbeitnehmerIn­nengruppen als ihre Zielgruppen anzusprechen.
Für Clarissa Rudolph (Philipps Universität Marburg) wird Interessenvertretung zunehmend präkarisierter Beschäftigtengruppen immer wichtiger. Wie diese gelingen kann, zeigte Heidi Schroth (IG BAU) anhand ihrer Studien zur Mitgliederaktivierung im Niedriglohnsektor. Ljubomir Bratic, freier Publizist in Wien, schilderte die schwierige Lage von MigrantInnen und ihrer gewerkschaftlichen Vertretung. Die GPA-djp-Interessengemeinschaft work@migration ist hier als wichtige Weiterentwicklung zu sehen.
Die abschließende Einheit bestand in einer gemeinsamen Diskussion von InitiatorInnen und TeilnehmerInnen der Ringvorlesung zur Leitfrage, wie eine strategische Neuausrichtung für mächtige Gewerkschaften aussehen sollte. Ein Schlussstrich, im Sinne von letztgültigen Antworten auf die damit verbundenen Fragen, konnte nicht gezogen werden.
Das Anstoßen dieser Diskussionen kann aber als erstes Ergebnis betrachtet werden, das ein positives offenes Ende darstellt: Es bietet den Ausblick, die bisherigen Erfahrungen und Fragestellungen wieder aufzugreifen und weiter zu bearbeiten. Selbiges gilt für die Kooperation bzw. die Bereitschaft, sie weiterzuführen.
Umfassende Informationen zu Programm, allen Vortragenden und Vorträgen inkl. Vortragsfolien und Texte stehen im Blog der Ringvorlesung zur Nachlese zur Verfügung.

Internet:
Blog zur Ringvorlesung
blog.gpa-djp.at/ringvo
GPA-djp-Interessengemeinschaft work@migration
tinyurl.com/6bfcat5

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen
thomas.kreiml@gpa-djp.at barbara.marx@gpa-djp.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

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