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Konservativ führt Alle Staaten müssen ihre Haushalte konsolidieren, doch wenn alle gleichzeitig auf die Bremse treten, werden sie vor allem eines zum Stehen bringen: die Konjunkturerholung.

Konservativ führt

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Während der Krise misstrauten auch konservative und liberal geführte Regierungen den Kräften der freien Marktwirtschaft. Jetzt läuft es wieder wie früher.

Mit Logik lässt sich wahrlich nicht alles erklären. Sagenhafte Spekulationen stürzten Börsen, AnlegerInnen und damit die gesamte Wirtschaft weltweit in eine Krise - massenweise Kündigungen, Banken, die gerettet werden mussten und multiple Firmenpleiten waren die Folge. Plötzlich wusste beinahe jeder Mensch: Fannie Mae und Freddie Mac sind keine possierlichen Disney-Figuren. Einzig, weil die unter Zugzwang stehenden Staaten enorme Geldsummen in Banken und Konjunktur investierten, konnte die Wirtschaftskrise gemeistert werden. Dass nun politische Parteien, die schon seit jeher dem freien Spiel des Marktes misstrauen, die Stimmen der WählerInnen einheimsen, lag nahe. Allein, das europäische Wahlverhalten sorgte deutlich für das Gegenteil: gewählt wurden ausgerechnet konservative oder wirtschaftsliberale PolitikerInnen. In der Europäischen Union sind derzeit 21 konservative oder liberale Regierungschefs an der Macht.

"Lieber Staat, rette mich!"

"Genau jene, die jahrzehntelang 'Weg mit dem Staat‘ gerufen haben, die alles privatisieren und liberalisieren wollten, waren auch die ersten, die 'Lieber Staat, rette mich‘ schrien", sagt Georg Kovarik. Leiter des Referates für Volkswirtschaft des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Auch Konservative vertrauten plötzlich nicht mehr dem Spiel der unregulierten Finanzmärkte. In der Krise machten sie sich Rezepte des britischen Ökonomen John Maynard Keynes zunutze, den konservative Kräfte über Dekaden hinweg als Urvater des Schuldenmachens verteufelt hatten. Und auch sie betrieben Deficit Spending: Neue Schulden aufnehmen, um etwa Konjunkturprogramme zu initiieren. Eigentlich klassische sozialdemokratische Politik. Freilich haben die gigantischen staatlichen Rettungsmaßnahmen die Staatshaushalte schwer belastet. Mit den notwendigen  Sanierungsmaßnahmen steigt die Gefahr, dass wiederum nach allzu bekannten Mustern gestrichen wird: geringe Steuern für Unternehmen und im Gegenzug Kürzung der öffentlichen Ausgaben.
Für diese Sanierungspolitik ist Irland ein gutes Beispiel. Dort wurde im Februar die führende konservative Partei Fianna Fáil (übersetzt "Soldaten des Schicksals") von den BürgerInnen abgewählt und durch eine andere konservative Partei, die Fine Gael (übersetzt "Familie der Iren"), ersetzt. Noch vor wenigen Jahren mit "Tiger Europas mit den höchsten Wirtschaftszuwachsraten" umschrieben, präsentiert sich Irland nun recht zahnlos. Das Land ist auf Kredite der Europäischen Finanz-Stabilitäts-Fazilität (EFSF), wie das Europäische Rettungspaket offiziell heißt, angewiesen und die Arbeitslosenquote liegt bei 14 Prozent. Erste Reden des neuen irischen Premierministers Enda Kenny beschworen deshalb ein aggressives Arbeitsbeschaffungsprogramm, das neue Arbeitsplätze schaffen soll. Außerdem versprach Kenny: "Eine Haushalts- und Finanzpolitik, die unser System fairer macht und die Steuern niedrig hält." Das Europäische Rettungspaket will der Premierminister noch einmal nachverhandeln, er hofft  auf eine Zinssatz-Senkung. Denn Irland muss für die Kredite einen Durchschnittszins von 5,8 Prozent zahlen - die für einen Staat relativ hohen Zinsen werden als Zumutung empfunden. Um die marode Wirtschaft zu sanieren, wurde noch unter der alten Regierung ein Sparpaket beschlossen. Sparen auf Kosten der Ärmeren, die weniger Kindergeld und eine höhere Mehrwertsteuer verkraften müssen. Erstmals in der europäischen Wirtschaftsgeschichte wurde auch der Mindestlohn gesenkt! Bestand hat jedoch der Steuersatz auf Unternehmensgewinne: mit 12,5 Prozent einer der geringsten in der gesamten EU. Bereits in den 1990er-Jahren haben die Iren mit ihren geringen Steuern internationale Unternehmen angelockt, aber auch andere europäische Staaten dazu motiviert, die Steuern auf Gewinne zu senken. Diesen Steuersatz will auch Enda Kenny nicht verändern.

Überall wird gespart

Auch in den anderen europäischen Staaten werden rigorose Sparmaßnahmen beschlossen und verwirklicht. Ziel ist es, die Defizite der einzelnen Staaten bis 2013 wieder unter die - von der EU erlaubten - drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken. Gespart wird bei den Abfindungszahlungen staatlicher Unternehmen, gekürzt werden Anspruchszeitraum auf Arbeitslosengeld, Kindergeld und Entwicklungshilfe. Gehälter von Staatsbediensteten werden eingefroren oder sogar gekürzt, die Mehrwertsteuer wird erhöht und Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen. Frankreich etwa friert seine Staatsausgaben bis 2013 ein. Jede zweite frei werdende Stelle im öffentlichen Dienst wird nicht mehr besetzt. Auch Ausgaben für den Staatsbetrieb sollen binnen drei Jahren um zehn Prozent verringert werden. Alle Staaten müssen ihre Haushalte konsolidieren, doch wenn alle gleichzeitig auf die Bremse treten, werden sie vor allem eines zum Stehen bringen: die Konjunkturerholung. 

Blinder Sparkurs

"Ein blinder Sparkurs wird die wirtschaftliche Erholung abwürgen, die Steuereinnahmen werden sinken und auch die Arbeitslosigkeit wird steigen. Und letztlich wird dann auch die Verschuldung steigen", erklärt Georg Kovarik. Zudem ist eine rein ausgabenseitige Budgetsanierung ungerecht und hätte zur Folge, dass die Kapitalgeber der Banken nichts dazu beitragen müssen. "Die Banken wurden vom Staat rausgeboxt und die Aktionäre der Banken hatten kein Risiko zu tragen. Warum sollen nur die ArbeitnehmerInnen die Lasten tragen?", fragt sich Georg Kovarik. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren oder mussten auf Kurzarbeit umstellen, gleichzeitig wurde ihr Geld zur Rettung der Banken verwendet. "So ist es nur fair, die Lasten gerechter zu verteilen. Immerhin wurden ja die Vermögenswerte der Bankaktionäre gerettet. Hätte der Staat nicht geholfen, wären diese Werte der Bankaktionäre verloren gegangen." Auch Banken wie Aktionäre sollten bei der Sanierung des Budgets ihren Beitrag leisten.
In Österreich wurde eine Bankenabgabe und eine Besteuerung von Aktiengewinnen eingeführt. Stiftungen müssen seit Jahresbeginn 2011 einen höheren Steuersatz zahlen. Ebenso wurden ein paar Steuerlücken geschlossen und Steuerbetrug wird stärker bekämpft. Georg Kovarik: "Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung." Dennoch, es besteht weiter großer Reformbedarf. Der ÖGB fordert: Normalbesteuerung von Stiftungen, die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die Reform der Gruppensteuer, bei der die Verluste von ausländischen Tochtergesellschaften nicht abgezogen werden dürfen. Erbschaftssteuer und Schenkungssteuer auf große Vermögen müssen eingeführt werden und Managergehälter über 500.000 Euro dürfen für die Unternehmen nicht von der Steuer absetzbar sein.
Doch für viele Menschen sind die großen wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht nachvollziehbar. Leicht zu erfassen ist, was den Menschen hautnah betrifft. Das Einsparen von Ausgaben - besonders, wenn andere Gesellschaftsgruppen davon betroffen sind - ist ein positiv besetzter Begriff, Schulden gelten in jedem Fall als negativ. "Wenn Unternehmen und Banken wanken, wählen viele Menschen wieder diejenigen, bei denen sie Wirtschaftskompetenz vermuten. Die Krise macht konservativ", schreibt etwa der deutsche Journalist Ulrich Schulte in der "taz".
Karl Schwarzenberg, tschechischer Politiker und Mann von Adel, nutzte diese Gedankengänge für seinen letztjährigen Wahlkampf. Er schickte jedem Haushalt einen Erlagschein über 121.000 Tschechische Kronen (rund 4.761 Euro), um die Pro-Kopf-Verschuldung des Landes zu veranschaulichen. Laut der Tageszeitung "Mlada fronta Dnes" musste deshalb eine 77-jährige Pensionistin psychiatrisch behandelt werden. "Sie hat immer wieder wiederholt, dass sie nichts getan hat, dass der Exekutor kommt, und dass wir das Haus verlieren", erklärte der Sohn der Pensionistin in der Zeitung. Karl Schwarzenberg hat mit seiner Schuldenkampagne den Nerv der Menschen getroffen und ihre Angst geschürt. Seine liberal-konservative Partei "Top 09" kam, obwohl sie überhaupt zum ersten Mal bei Wahlen angetreten ist, auf 16,71 Prozent der Stimmen und wurde damit drittstärkste Partei.
 

Internet:
Georg Kovarik
tinyurl.com/69huvf8
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