topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Lebensstandard, Wachstum, Verteilung Dies war die Situation, in der die konservativen Kräfte in Großbritannien nach dem Wahlsieg der Tories 1979 und wenig später nach dem Wahlsieg der Republikaner 1980 in den USA die Gelegenheit ergriffen, eine "neoliberale" Wende einzuleiten.

Lebensstandard, Wachstum, Verteilung

Schwerpunkt

Anfang der 1980er kam es zur neoliberalen Wende - seitdem profitiert die Bevölkerung nicht mehr vom Wirtschaftswachstum. Es ist höchste Zeit umzudenken.

Im Februar dieses Jahres wurde in den USA von seinen Fans der 100. Geburtstag Ronald Reagans gefeiert, der als 40. Präsident der USA von 1981 bis 1989 regierte. Sein Name wird wie kaum ein anderer mit dem Begriff der "Wende" - in Wirtschaft und Weltpolitik - verbunden. 

Die neoliberale Wende 

Am Beginn der 1980er-Jahre war die Lage der Weltwirtschaft vor allem in großen Ländern wie USA, Großbritannien, Frankreich, Italien durch die "Stagflation", also das gleichzeitige Auftreten von hoher Inflation und hoher Arbeitslosigkeit bei schwachem Wirtschaftswachstum geprägt. Dies war die Situation, in der die konservativen Kräfte in Großbritannien nach dem Wahlsieg der Tories unter Margret Thatcher 1979 und wenig später nach dem Wahlsieg der Republikaner 1980 in den USA die Gelegenheit ergriffen, eine "neoliberale" Wende in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik einzuleiten. Die neoliberale Ideologie trat mit dem Versprechen an, durch eine massive Zurückdrängung des Einflusses von Staat und Politik die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und auf einen Pfad des Wohlstands zurückzuführen. Konkret gefordert wurden vor allem eine Demontage des Sozialstaats durch Privatisierung von möglichst vielen Systemen der sozialen Sicherung, Verzicht auf aktive Wachstums- und Beschäftigungspolitik, gezielte Schwächung der Gewerkschaften, insbesondere in ihrer Funktion bei der kollektivvertraglichen Lohnbildung, Deregulierung des Arbeitsmarktes, Beseitigung oder Lockerung der Fesseln, die die Unternehmer und die freien Marktkräfte an ihrer vollen Entfaltung hindern. Krönung dieses Marktfundamentalismus war die Finanzmarktideologie, die die Wirtschaftspolitik von immer mehr Ländern dominierte. Ihr Grundgedanke besteht darin, dass der Finanzsektor dem neoklassischen Ideal des "perfekten Marktes" am nächsten kommt. Durch eine forcierte Deregulierung der Finanzmärkte würde in allen Bereichen der Produktion die Effizienz und Dynamik der gesamten Wirtschaft nachhaltig verbessert, Wachstum und Beschäftigung gesteigert. 

Die 1980er- und 1990er-Jahre 

Die Orientierung an den neoliberalen Konzepten der Wirtschaftspolitik war in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedlich: am stärksten in den USA und in Großbritannien1, in viel geringerem Ausmaß in den kontinentaleuropäischen EU-Ländern, von denen Deutschland einige bemerkenswerte Annäherungen machte. Unter dem geänderten Regime konnte das Inflationsgespenst in den  1980er-Jahren gebannt werden, es kam wieder zu einem moderatem Wirtschaftswachstum, die Beschäftigung nahm zu, die Arbeitslosigkeit ging zurück, wenn auch in Europa nur in sehr bescheidenem Ausmaß. Die beträchtlichen Fortschritte der Technik - PC, Mobiltelefon, Internet - wurden seit den 1990er-Jahren zunehmend im Produktionsbereich, im Arbeits- und auch im Alltagsleben wirksam und ließen auch eine fortschrittsoptimistische Stimmung aufkommen. 

Bevölkerung profitierte nicht

Einen grundlegenden Unterschied der letzten 30 Jahre (1980-2010) zu den ersten drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt jedoch unübersehbar: Der überwiegende Teil der Bevölkerung hat keinen oder nur noch einen geringen Anteil an der durch technische Fortschritte ermöglichten Zunahme der Produktivität bzw. an dem dadurch erzielten Wirtschaftswachstum.
Das durchschnittliche Realeinkommen pro Beschäftigten lag in den USA 2010 um zwei Prozent unter dem Stand von 1979. In den meisten europäischen Ländern haben die Reallöhne in den letzten 20 Jahren weitgehend stagniert oder sind sogar gesunken. Dies ist der Grund für die zunehmende Skepsis breiter Bevölkerungsschichten gegenüber technischem Fortschritt und Wirtschaftswachstum. Parallel dazu hat die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungleichheit massiv zugenommen. Dies manifestiert sich einerseits an enormen Vermögenszuwächsen der Superreichen und exzessiv steigenden Managerbezügen, andererseits an einem fast durchgängigen Fall des Lohnanteils am Volkseinkommen und einem Zurückbleiben der Einkommen am unteren Ende der Skala. Trotz aller Beteuerungen in vielen EU-Programmen hat der soziale Zusammenhalt abgenommen. Auch von einer (beginnenden) Erosion der Mittelschicht ist die Rede. Zweifellos haben die Dominanz der Finanzmärkte und der Einfluss der neoliberalen Ideologie die weltwirtschaftliche Entwicklungsdynamik der letzten drei Jahrzehnte maßgeblich geprägt. Der Finanzsektor hat zunehmend die Dominanz über die Realwirtschaft, d. h. die wohlfahrtsrelevante Produktion von Gütern und Dienstleistungen, erlangt. Der anhaltende, massive Druck zur Erzielung hoher und steigender Renditen in allen Bereichen hat auf die Löhne gedrückt, wobei die Konkurrenz auf den Arbeitsmärkten der Industrieländer durch steigende Migration zusätzlich verschärft wurde. Aber letztlich ist dieses Wachstumsmodell des Neoliberalismus nicht an der zunehmenden Ungleichheit gescheitert, sondern an seiner Instabilität und mangelnden Nachhaltigkeit.
 

Niemand hat Krise vorausgesehen

Das Wachstum der Kernländer des Finanzkapitalismus (USA, Großbritannien) war in hohem Maße angetrieben von immer weiter steigender, privater Verschuldung und von spekulativen Blasen der Finanzmärkte. Gleichzeitig entstanden internationale Leistungsbilanzungleichgewichte von immer größeren Dimensionen. Dass diese zu Krisen und Rezessionen führen müssen, hatte sich schon 2001 gezeigt. Den kurzfristigen Totalzusammenbruch des Finanzsystems 2008 hatte allerdings in dieser Form niemand vorhergesehen, ebenso wenig wie die schwerste Rezession der Weltwirtschaft seit 1930. Nur durch eine Rückkehr zu einer keynesianischen Wirtschaftspolitik, d. h. Stabilisierung der Wirtschaft durch massiven Einsatz staatlicher Mittel bzw. durch Aufnahme beträchtlicher Staatsschulden, konnte verhindert werden, dass die große Rezession 2008/09 sich zu einer jahrelangen Weltwirtschaftskrise nach dem Muster der 1930er-Jahre verschärfte. Nach Überwindung der Krise bleiben immer noch beträchtliche Nachwirkungen zu bewältigen (Schuldenkrisen einiger EU-Länder), darüber hinaus muss es mittel- und langfristig zu einer grundlegenden Neuorientierung der Wirtschaftspolitik kommen. Diese beinhaltet zum einen eine tiefgreifende Reform der Finanzmarktregulierung, welche die Finanzmärkte wieder auf eine der Realwirtschaft dienende Funktion reduziert und ihr Störpotenzial durch Auferlegung viel engerer Rahmenbedingungen für ihre Geschäftstätigkeit so weit wie möglich ausschaltet.
Zum anderen brauchen wir ein neues Modell der wirtschaftlichen Entwicklung und des gesellschaftlichen Fortschritts, das die Fehler der letzten 30 Jahre korrigiert und den veränderten weltwirtschaftlichen und -politischen Gegebenheiten Rechnung trägt. In ökonomischer Sicht ist statt der einseitigen Betonung von Profitabilität und Rentabilität eine ausgewogene Entwicklung anzustreben, bei der in Zukunft die Einkommen der arbeitenden Bevölkerung an der steigenden Produktivität der Wirtschaft, mit der wir auch in Zukunft rechnen können, partizipieren. Dies ermöglicht eine allmähliche weitere Verbesserung von Lebensstandard und Wohlstandsniveau, wobei ein Teil des Wohlstandszuwachses auch für die sozialen Sicherungssysteme verwendet werden sollte. Auch bei steigenden Reallöhnen besteht ausreichend Spielraum für eine Erhöhung der Unternehmensgewinne, die in Zukunft weniger in Finanzanlagen und mehr in Maschinen und Ausrüstung investiert werden sollten. Damit wird auch die Motivation der Arbeitskräfte gestärkt, von denen hohe Leistungsbereitschaft, Flexibilität und Mobilität erwartet wird, und die Akzeptanz des Gesellschaftsmodells verbessert.

Ressourcen werden knapp

Gleichzeitig müssen wir dieses Modell daraufhin adaptieren, in den kommen-den Jahrzehnten eine zunehmende Knappheit bei natürlichen Ressourcen sozial verträglich zu bewältigen und zu verarbeiten. Die "Modernisierung" dessen, was wir unter "Fortschritt" verstehen, darf nicht mehr von den Finanzmärkten vorgegeben werden.


Internet:
Homepage Günther Chaloupek
www.chaloupek.eu 
Schreiben Sie Ihre Meinung
an den Autor
guenter.chaloupek@akwien.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

1 Am Rande sei hier auf das bis zum Totalabsturz 2010 von vielen gepriesene Modell des "keltischen Tigers" Irland verwiesen, an dem sich die Absurditäten des Neoliberalismus besonders krass zeigen. 

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum