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Soziales Europa vor dem Aus? Griechenland hatte Mitte Mai 2010 als erstes Land Finanzhilfen der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Millionenhöhe erhalten. Nun mehren sich die Zweifel, ob das Mittelmeerland in der Lage sein wird die enorme Summe zurückzuzahlen.
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Soziales Europa vor dem Aus?

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Die von Merkel und Sarkozy vorgeschlagene Wirtschaftsregierung sorgt vor allem bei den ArbeitnehmerInnenvertretungen für heftige Debatten und Kritik.

Die Eurozone befindet sich in einer Schuldenkrise. Ein "Pakt" der Euro-Länder soll den Euro krisenfest machen und die Eurozone aus der Schuldenkrise führen: Das ist der Plan der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Nikolas Sarkozy. Beim EU-Gipfel in Brüssel Anfang Februar schlugen sie ihre Pläne für eine EU-Wirtschaftsregierung vor. Die Schuldenbremse nach deutschem Vorbild ist nur ein Punkt des Paktes, weiters sollen die Steuern angepasst und das Pensionsantrittsalter in der Eurozone angehoben werden. Ein Punkt, der nicht nur in Österreich für Unmut sorgte, ist der geplante Eingriff in die Lohn- und Sozialpolitik. Geht es nach Merkel und Sarkozy, sollen Lohnerhöhungen von der Inflationsentwicklung entkoppelt werden, wie das zum Beispiel in Belgien und Portugal der Fall ist. Die beiden Regierungschefs wollen also all jene Themen der Wirtschaftspolitik unter einen Hut bringen, die bisher in der Zuständigkeit der einzelnen 27 Mitgliedsstaaten liegen.

Rettungsschirm der EU

Griechenland hatte Mitte Mai des vergangenen Jahres als erstes Land Finanzhilfen der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Millionenhöhe erhalten. Nun mehren sich die Zweifel, ob das Mittelmeerland in der Lage sein wird, seinen Verpflichtungen nachzukommen und die enorme Summe zurückzuzahlen. Obwohl auch weitere Länder mit der Finanzkrise zu kämpfen haben, wird die Kredithilfe aus dem Rettungsfonds der EU und des IWF nach Griechenland nur an ein weiteres Land fließen: Irland. Das wurde im November 2010 bekannt. Anfangs gab es große Spekulationen über einen irischen Hilfsantrag und es schien, als würde Irland die Hilfe regelrecht aufgezwungen. Doch die EU begründete die Entscheidung mit der Sicherung der Finanzstabilität in der Europäischen Union und im Euroraum. Beide Länder mussten sich zu harten Sparmaßnahmen verpflichten. Anfang 2011 wurden dem Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) seitens der Gewerkschaften in Irland und Griechenland bedenkliche Entwicklungen bei der konkreten Umsetzung der Rettungspakete in beiden Ländern bekannt gegeben.
Die Gewerkschaften in Irland und Griechenland berichten, dass Kommissionsbeamte die Rolle des Sozialen Dialogs und der Kollektivvertragsverhandlungen ignorieren und direkt in die Lohnpolitik eingreifen. Neben Kürzungen bei Mindestlöhnen und Pensionen sollen auch die Arbeitsmärkte "flexibilisiert" werden. Im Fall Irland geht die Kommission sogar einen Schritt weiter und verlangt, dass die Löhne "Marktbedingungen" widerspiegeln sollen. Der EGB und auch ÖGB-Präsident Erich Foglar kritisieren diese Vorgangsweise heftig: "Die Idee der Europäischen Union war nicht ein Lohnwettbewerb nach unten. Die angedachten Eingriffe in die Arbeitsbeziehungen stehen im krassen Widerspruch dazu, wie in die Finanzwirtschaft, die der Ausgangspunkt der Krise war, nur sehr zögerlich eingegriffen wird, und wie man dabei zuschaut, wie die Kurse und Bonuszahlungen wieder steigen." Der ÖGB wandte sich damals bereits an die heimische Bundesregierung mit der Aufforderung, sich in der EU klar und deutlich gegen derartige Einmischungen auszusprechen.

Wettbewerbspakt

Merkels Plan löste heftige Debatten aus. Für die Gewerkschaften ist dieser Vorschlag ein weiterer Angriff auf die nationale Lohnpolitik und ein massiver Eingriff in die Tarifautonomie der Sozialpartner. Auch die von den überschuldeten EU-Ländern erhoffte Ausweitung des Euro-Rettungsschirmes wäre zukünftig an noch härtere Gegenbedingungen geknüpft. Auch Bundeskanzler Werner Faymann meldete sich zu Wort und unterstützte die Sozialpartner: "In Österreich fahren wir sehr gut damit, dass die Tarifverhandlungen Sozialpartnerverhandlungen sind." Die Diskussion finde er grundsätzlich richtig, in Lohnverhandlungen einzugreifen falsch. Der EGB reagierte scharf auf die Vorschläge zum Thema Wirtschaftsregierung: "Wettbewerbsfähigkeit darf nicht als Alibi benutzt werden, um in die Kollektivvertragssysteme in ganz Europa einzugreifen." Im EGB fürchtet man, dass Lohnkürzungen nur der Anfang eines Prozesses wären, der zu einer Aushöhlung der unterschiedlichen nationalen Systeme des sozialen Dialogs führen würde. "Das ist kein Pakt für Wettbewerbsfähigkeit. Das ist vielmehr ein Pakt für einen niedrigeren Lebensstandard, mehr Ungleichheit und mehr prekäre Arbeit", sagt EGB-Generalsekretär John Monks.
Von einer ganz neuen Qualität der Euro-Zusammenarbeit sprachen jedoch Merkel und Sarkozy, als sie ihren "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" präsentierten. Man wolle der Welt demonstrieren, dass "wir politisch zusammenwachsen wollen, zu enger wirtschaftlicher Kooperation", sagte Merkel.

Klare Worte dagegen

Mehrere Regierungschefs äußerten deutliche Vorbehalte gegen die vorgeschlagene Wirtschaftsregierung. Luxemburg und Belgien etwa lehnen eine Abkehr von der Praxis von Lohnerhöhungen, die sich an der Inflation orientieren, ab. Genauso wie der spanische Arbeitsminister Valeriano Gómez: "Wir haben sehr gute Erfahrungen mit der Anpassung der Löhne an die Inflation gemacht, die Übernahme des ,deutschen Modells‘ würde für unser Land einen sehr radikalen Wandel bedeuten."

Gegen Eingriffe ins Pensionssystem

Faymann stellt sich auch gegen Eingriffe beim Pensionsalter: "Ich persönlich halte das nicht für möglich, da es viele unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Ländern gibt." Beim Thema Pensionen gibt es auch ein klares Nein von der slowakischen Regierungschefin Iveta Radic?ová, die als einzige Regierungschefin Griechenland die Finanzhilfe verweigerte. "Wir können unsere Probleme nur lösen, wenn wir unsere Haushalte konsolidieren. Wenn es aber den Vorschlag gibt, in allen EU-Staaten ein einheitliches Pensionsalter einzuführen, dann muss ich Nein sagen", sagt Radi?ová in einem Interview mit der Zeitschrift "Die Zeit" und begründet das Nein erstens mit der niedrigen Lebenserwartung in der Slowakei und zweitens damit, dass das Pensionsalter in dem Land bereits schrittweise bis 2014 von 58 auf dann 62 Jahre angehoben wird. Auch Italien rebelliert gegen die geplante Schuldenbremse. Die italienische Regierung will sich nicht vorschreiben lassen, in welcher Höhe sie die Staatsschulden abbauen soll.
Beim Neujahrsempfang des ÖGB und der Arbeiterkammer (AK) in Brüssel kritisierte Foglar die Einmischung von VertreterInnen der Europäischen Kommission in die Tarifautonomie von Gewerkschaften, beispielsweise in Irland. "Die europäischen Gewerkschaften werden dagegen gemeinsam massiv auftreten. Wir stehen Schulter an Schulter, wenn es um eine Politänderung geht. Das gilt auch für die geplante Europäische Wirtschaftsregierung, denn damit darf keinesfalls die neoliberale Politik der vergangenen Jahre fortgesetzt werden", sagte Foglar. AK-Präsident Herbert Tumpel führte Gespräche mit VertreterInnen verschiedener Fraktionen im Europäischen Parlament und der einhellige Tenor lautete: "Regulierungsbedarf für die Finanzwirtschaft ist angesagt." "Es kann aber nicht sein, dass die Finanzwirtschaft, die zulasten der ArbeitnehmerInnen und der Wirtschaft eine Krise verursacht hat, und die mit viel Aufwand gerettet wurde, die Situation jetzt umdeutet und behauptet, die Menschen hätten über ihre Verhältnisse gelebt, so wird´s nicht gehen", so Tumpel. Auch László Andor, EU-Kommissar für Soziales, Beschäftigung und Integration, nahm Stellung zum deutsch-französischen Plan: "Wir brauchen einen stabilisierenden Mechanismus, und er muss permanent sein - er muss aber auch Wohlstand für alle bringen."

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