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Heeresdebatte Wehrpflicht oder Berufsheer? Was steckt hinter der Heftigkeit und der Eile der Debatte? Warum soll Österreich auf einmal ein Berufsheer brauchen?

Heeresdebatte

Gesellschaftspolitik

Wehrpflicht oder Berufsheer? Was steckt hinter der Heftigkeit und der Eile der Debatte? Warum soll Österreich auf einmal ein Berufsheer brauchen?

Ständig wird seitens der Regierung beteuert, dass für Bildung, Gesundheit, Soziales oder öffentlichen Verkehr (z. B. PendlerInnen) wegen Sanierung der Staatsfinanzen nicht genug Geld vorhanden sei. Gleichzeitig aber wird über die Einführung eines Berufsheeres diskutiert, das bis zu doppelt so viel als das bisherige Bundesheer mit Wehrpflicht und Miliz, nämlich drei bis vier statt bislang zwei Mrd. Euro kosten soll. Ganz abgesehen von den Zusatzkosten für die Anwerbung von Berufssoldaten, die Bereitstellung von Katastrophenschutzaufgaben oder des Zivildienstes, der als Wehrersatzdienst gilt und im Falle eines Berufsheeres ersatzlos wegfallen würde. Würde man die dzt. rund 13.000 Zivildiener durch mäßig entlohnte Angestellte ersetzen, kostet das laut Rotem Kreuz jährlich zusätzlich mindestens rund 351 Mio. Euro.2 

Rekrutierungsprobleme

Kaum erwähnt wird, dass viele Länder mit Berufsheer (z. B. Holland, Großbritannien, Deutschland) ein Rekrutierungsproblem haben: Das von Verteidigungsminister Norbert Darabos bevorzugte Modell sieht vor, dass jährlich 2.000 Soldaten für ein Berufsheer ausgebildet werden sollen. ExpertInnen meinen, dass man drei bis fünf Bewerber pro Stelle benötigt, um einen qualifizierten Kandidaten zu finden. Eine Anzahl an Freiwilligen, die sich "auf dem Arbeitsmarkt so schnell nicht finden lässt", meint dazu IHS-Chef Bernhard Felderer. Er schlägt zudem - sicher nicht billige - Werbekampagnen vor, damit ein Berufsheer nicht zum "Auffangbecken für Niedrigqualifizierte" wird.1 
Noch im Juni 2010 hat Verteidigungsminister Darabos erklärt: "Es wird mit mir als Verteidigungsminister keine Abschaffung der Wehrpflicht geben ..."2 Nun tritt er vehement für ein Berufsheer ein und präsentiert sein Modell auf einmal als gleich oder nur wenig teurer wie das Bundesheer. Auch in den Medien wird kaum noch über die Kostenseite oder die anderen angeführten offenen Fragen gesprochen. Möglicherweise liegt der Grund darin, dass durch die einseitige Diskussion immer weniger ein Berufsheer wollen.
Ganz verschwiegen in der bisherigen Debatte und nicht erklärt wird, warum es jetzt auf einmal so dringend sei, ein Berufsheer einzuführen. Auch der Oberbefehlshaber des Österreichischen Bundesheeres, Bundespräsident Heinz Fischer, stellt fest: "Wer hetzt uns? Die internationale Lage nicht, das Ausland nicht, der Nationalrat auch nicht."3 Und: "Meines Wissens ist die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht nicht im Regierungsprogramm enthalten."4
Seit 1995 kooperiert Österreich im Rahmen der "Partnerschaft für den Frieden" militärisch mit der NATO - einem internationalen Militärbündnis. Mit dem 1999 von der SPÖ/ÖVP-Koalition geänderten Artikel 23f der Bundesverfassung verpflichtet sich Österreich, auch die sogenannten "Petersberg-Aufgaben", u. a. Kampfeinsätze zur "Friedensschaffung" der EU voll mitzutragen - ausdrücklich auch ohne UNO-Mandat. Im Kosovo stehen 500 Bundesheer-Soldaten im Rahmen der KFOR unter NATO-Kommando. Österreichische Soldaten, auch Panzer, wurden nach Afghanistan verlegt. Zuletzt ging es sogar in den Tschad. 2001 beschloss die ÖVP/FPÖ-Regierung die NATO-Option, 2004 die Teilnahme an den aufzubauenden EU-Kampftruppen (Battlegroups). Ab 2011 und in den kommenden Jahren beteiligt sich Österreich aktiv mit mehreren Hundert Soldaten an den EU-Battlegroups.
 

EU-Militärstrategie

Schon 1999 hat die EU die Entscheidung gefällt, eine EU-Eingreiftruppe, in Form von Kampftruppen für globale Krisen- und Kriegseinsätze, verharmlost als "Frieden schaffende Maßnahmen" bezeichnet, aufzustellen. Zehn Jahre danach hat die EU schon 22 Einsätze, bei denen insgesamt schon ca. 70.000 Mann in verschiedenen Ländern stationiert wurden. Im Endausbau soll diese Kriegstruppe 360.000 Mann ausmachen. Das Ziel der EU beschreibt der frühere Leiter der EU-Sicherheits- und Außenpolitik, J. Solana, in der öffentlich kaum bekannten EU-Militärstrategie-Studie für 2020 ganz klar: "Die EU hat sich zu einem Akteur mit globalem Machtanspruch entwickelt und muss dazu die militärischen Mitteln bereitstellen ... Wir müssen über das Personal und die Kapazitäten, sowohl zivil als auch militärisch verfügen, diese politischen Ambitionen zu verwirklichen ... Die USA und EU müssen in ihren Plänen gemeinsam vorgehen ... Jedoch in den Fällen, in denen die USA die NATO nicht zum Krisenmanagement einsetzen will, brauchen die Europäer die Kapazität, allein zu handeln ... Die OECD-Staaten ... müssen mit den transnationalen Konzernen, das sind die 1.000 größten Vermögen, eine symbiotische Beziehung finden ... sie haben größere Macht als je zuvor. Doch sie brauchen den Staat und der Staat braucht sie ... Die Nr.-1-Priorität der EU ist der Schutz des globalen ... ökonomischen Flusses ... sie muss den Fluss der transnationalen Ströme sichern und gegenüber den Staaten, die sich dem entgegenstellen, kann es zur direkten militärischen Konfrontation kommen ..."5
Seit dem EU-Vertrag von Lissabon können diese Kampftruppen sogar für Militäreinsätze im Inneren der EU eingesetzt werden.6
 

Vorleistung Eurofighter

Wer glaubt, dass dies alles nichts mit Österreich zu tun hat, dem sei der unter der ÖVP/FPÖ-Regierung erfolgte und unter SPÖ-Minister Darabos vollzogene Eurofighter-Kauf in Erinnerung gerufen: Gesamtkosten auf 20 Jahre zwischen fünf und sechs Mrd. Euro. Wofür? Der Eurofighter ist ein Kampfbomber für offensive globale EU-Militäreinsätze. Generalmajor Günter Höfler, Streitkräftekommandant des Bundesheeres: Die Eurofighter dienen dazu, für "Kampfeinsätze im Europäischen Verbund", mit einem Einsatzradius "Westbalkan bis hinunter nach Afrika, dem Nahen Osten und dem Kaukasus" zur Verfügung zu stehen.7
Da 80 Prozent der ÖsterreicherInnen für die Beibehaltung der Neutralität sind, wird jetzt in der neuen Sicherheitsdoktrin behauptet, dass ein Berufsheer und die Teilnahme an EU-Kampfeinsätzen mit der Neutralität vereinbar seien. "Nennen wir uns halt neutral", empfiehlt auch Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter der Politik, um aus ihrem Dilemma herauszukommen und trotzdem an der "verstärkten Zusammenarbeit der europäischen Armeen" teilnehmen zu können.8 Es ist dies de facto eine Einbindung Österreichs in die EU-Militarisierung. Dies macht Österreich nicht sicherer. Im Gegenteil: Es macht Österreich zu einem Kriegsteilnehmer und somit auch zum Angriffsziel. Genau dies ist aber mit der Neutralität grundsätzlich nicht vereinbar.9
In seinen Statuten hat der ÖGB die Erhaltung und den Ausbau der Neutralität festgeschrieben. In seinem Grundsatzprogramm 2009 forderte der ÖGB eine "aktive Neutralitätspolitik" und "die Revision der sicherheits- und rüstungspolitischen Teile des Vertrags von Lissabon". Er verlangt "angesichts des Ausbaus der EU-Rüstungsindustrie die Rücknahme der Novellierungen des Kriegsmaterialien- und des Truppenaufenthaltsgesetzes von 2001, d. h. unter anderem die Wiederaufnahme des Neutralitätsvorbehalts und eine strikte Bindung an Beschlüsse des Weltsicherheitsrats". Weiters betrachtet der ÖGB die "EU-Battlegroups, die nicht an ein Mandat des UN-Sicherheitsrats gebunden sind, als Ausdruck einer neutralitätswidrigen und militarisierten Außenpolitik und lehnt eine Teilnahme Österreichs an diesen daher ab".10
 

Gefährliche Irreführung

Die BefürworterInnen eines Berufsheeres im Rahmen der EU sagen, sie stünden auf der Seite der Jugend und geben ein "Aus für die Wehrpflicht" als Abrüstung aus. Vor dem Hintergrund des Geschilderten entpuppt sich das als zynisch und fahrlässige Irreführung der arbeitenden Menschen. Ein Berufsheer wird zudem gerne als "Freiwilligenheer" bezeichnet und damit so getan, als ob es heutzutage keine Wahlfreiheit bezüglich der Wehrpflicht gäbe. Doch kein junger Mensch in Österreich wird zum Waffendienst gezwungen. Jeder kann auch Zivildienst leisten. Das heißt, ein Freiwilligenheer gibt es bereits. 

Internet:
Bundesministerium für Landesverteidigung
www.bmlv.gv.at 
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
w.leisch@aon.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

1 Presse, 6. 2. 2011
2 Beim Festakt "50 Jahre Österreichische Offiziersgesellschaft", tinyurl.com/6z8tsut 
3 Kleine Zeitung, 21. 1. 2011
4 Standard, 15./16. 1. 2011
5 tinyurl.com/mn6v7k
6 Vgl. Vertrag von Lissabon, Amtsblatt der Europäischen Union, 17. 12. 2007, Seiten C 306/34 ff, insb. Artikel 28
7 Kleine Zeitung, 13. 12. 2005, ORF MJ, 6. 6. 2010
8 Kurier, 26. 2. 2011
9 Vgl. Bundesverfassung Art. 9; Neutralitätsgesetz Artikel I.(1) tinyurl.com/6a8ps43
10 Grundsatzprogramm, S 58 - 17. ÖGB Bundeskongress 2009

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