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Zukunftsraum statt Grenzregion? Der "Sog" aus dem Zentralraum betrifft die Regionen beiderseits der Grenzen. Auf österreichischer Seite wandern die Arbeitskräfte nach Wien und Linz, auf tschechischer Seite nach Prag oder Brünn, berichtet Vaclav Martinek, ein Kenner der Region.

Zukunftsraum statt Grenzregion?

Schwerpunkt

Keinen "Ansturm" von Beschäftigten aus dem tschechischen Nachbarland erwarten die ExpertInnen. An Fachkräften mangelt es beiderseits der Grenzen.

In Tschechien zu arbeiten sei die beste Erfahrung seines Arbeitslebens gewesen, sagt der 35-jährige Peter Hochegger. In dem halben Jahr seiner Tätigkeit in einem Budweiser Planungsbüro habe er mehr Kenntnisse gewon-nen, als während seines Studiums in Wien. Vor allem die Sprache zu erlernen sei ihm leicht gefallen. Schließlich habe er kaum Landsleute aus Österreich getroffen. 

Große Grenzregion 

Zur rund 37.000 km2 großen "Grenzregion Tschechien-Österreich" gehören Südböhmen und Südmähren, das Wald-, Wein- und das Mühlviertel, aber auch Wien und das nördliche Umland. Der österreichisch-tschechische Grenzraum ist somit nicht nur landschaftlich sehr unterschiedlich. Auch die jeweilige Wirtschaftsstruktur und -entwicklung sind äußerst heterogen. "Auf tschechischer Seite war die Entwicklung stark von den Restrukturierungsphasen in den 1990er-Jahren und dem Modernisierungsschub ab 2000 gekennzeichnet", berichten MitarbeiterInnen des Österreichischen Institutes für Raumplanung (ÖIR-Projekthaus GmbH). Auf österreichischer Seite haben vor allem (branchen-)konjunkturelle Entwicklungen und strukturelle Krisen die Entwicklung am Arbeitsmarkt beeinflusst.
Überraschend groß ist die Unkenntnis über die kommende Arbeitsmarktöffnung am 1. Mai 2011 bei den Betrieben. Fast zwei Drittel der in einer Studie des Personaldienstleisters Trenkwalder befragten Unternehmen gaben an, nicht mit den Neuerungen der ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit vertraut zu sein. Besonders in der Grenzregion zeigt sich enormer Informationsbedarf.
 

Im Sog der Städte 

An einer Veranstaltung zum Thema Arbeitsmarktöffnung der Wirtschaftskammer Freistadt etwa nahmen über 50 Unternehmen teil. Die Wirtschaft hofft auf dringend benötigte Fachkräfte. "Im Bezirk Freistadt haben wir in den nächsten acht Jahren rund 25 Prozent weniger Jugendliche, die in den Arbeitsmarkt einsteigen", berichtete Gabriele Lackner-Strauss, Obfrau der WKO Freistadt: "Zusätzlich wird der Sog aus dem Zentralraum um die Landeshauptstädte immer stärker."
Der "Sog" aus dem sogenannten Zentralraum betrifft die Regionen beiderseits der Grenzen. Auf österreichischer Seite wandern die Arbeitskräfte nach Wien und Linz, auf tschechischer Seite nach Prag oder Brünn, berichtet Vaclav Martinek, gebürtiger Brünner und Kenner der Region, der seit Jahren zwischen Brünn und Wien pendelt.
Seine Beobachtung deckt sich mit jener der ÖIR Projekthaus GmbH, die gemeinsame Trends zum Arbeitsmarkt beiderseits der Grenze statuieren:
Die "guten" Arbeitsplätze befinden sich vorwiegend in den Städten. An der Peripherie herrscht, quantitativ und qualitativ, großer Mangel. Nach wie vor bestehen, sowohl innerstädtisch als auch grenzüberschreitend, hohe Unterschiede bei den Einkommen. Zudem ist die Region bereits seit langem von "intensiven Pendlerbeziehungen" geprägt.
"Der Ansturm wird sich in Grenzen halten", meint eine Arbeitsmarktexpertin der Region Gmünd im nördlichen Waldviertel. "Viele Firmen wären froh über qualifiziertes Personal." Auch eine GfK-Umfrage zeigt, dass ein Andrang von Unternehmen und ArbeitnehmerInnen aus den Nachbarländern Anfang Mai ausbleiben dürfte. Das Institut hat Betriebe aus einschlägigen Branchen, wie Bau-, Baunebengewerbe und Reinigung, befragt. Nur für zehn Prozent der tschechischen Betriebe kommt grundsätzlich eine Tätigkeit in Österreich in Betracht. Und selbst jene, die sich prinzipiell eine Expansion ins Nachbarland vorstellen können, sind mit ihren Vorbereitungen zum Markteintritt noch nicht weit fortgeschritten, stellt GfK-Chef Rudolf Bretschneider fest.
 

"Wir Tschechen sind konservativ" 

Auch heimische Firmen suchen kaum aktiv nach MitarbeiterInnen im Nachbarland. Zwar sieht eine Mehrheit die Arbeitsmarktöffnung als Chance, doch wenige schauen sich konkret nach Arbeitskräften aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten um. Als unwahrscheinlich gilt laut besagter Studie, dass "Arbeitskräfte von sich aus nach Österreich kommen und bei den Betrieben Schlange stehen".
"Wir Tschechen sind konservativ und übersiedeln ungern. Schon gar nicht wegen der Arbeit", meint ein Unternehmer aus Budweis. Er fährt gerne in die Therme nach Gmünd, seine Tochter spricht fließend Deutsch. Aber: "English is cooler", sagt die 14-Jährige und lacht.
"Wer aus Tschechien in Österreich arbeiten will, ist schon längst dort", weiß Thomas, ein junger Tschechischlehrer aus Oberösterreich. Er hält nicht viel von Wörtern wie "grenzüberschreitend" oder "Zusammenwachsen der Regionen". Man könne sich doch einfach "in den Zug setzen und mit Leuten reden. Passt es einem nicht, fährt man zurück. Das ist Geschwätz von Technokraten".
Thomas fährt täglich eine Stunde zur Arbeit. Fahrtkosten werden nicht vergütet. Wirklich grenzüberschreitend sei eigentlich sein Lohn als Lehrer, meint der 30-Jährige sarkastisch. Er unterrichtet an Schulen in niederösterreichischen Bezirksstädten an der Grenze zu Tschechien.
 

Grenzraummonitor

Eine wichtige Informationsquelle  über die aktuelle Arbeitsmarktlage bietet der Österreichisch-Tschechische Grenzraummonitor 2010. Der von L&R Sozialforschung in Kooperation mit der Handelskammer Brünn erstellte Bericht wird jährlich durch aktuelle Indikatoren aktualisiert und zeigt eine Übersicht der laufenden Projekte zwischen Österreich und Tschechien.
Zu den wichtigsten Entwicklungen zählt nach Meinung der befragten ExpertInnen der Fachkräftemangel beiderseits der Grenze. So fehlen etwa in der tschechischen Region gut ausgebildete Köche/-innen, KellnerInnen und VerkäuferInnen, auch im Bauwesen und Maschinenbau mangelt es an Personal. Ein Trend, der sich allerdings aufgrund der Einsparungsmaßnahmen der tschechischen Regierung umkehren könnte.
Die tschechische ArbeitnehmerInnenvertretung etwa berichtet von der Tendenz, Stammbelegschaft abzubauen und neue, billigere Kräfte aufzunehmen. In Südmähren sei bereits ein Anstieg freier Stellen für BewerberInnen mit Pflichtschulabschluss und ein Mangel an technischen Berufsangeboten zu verzeichnen.
Insgesamt ist aus Sicht der im Grenzmonitor befragten ArbeitsmarktexpertInnen von keinen großen Veränderungen ab Mai 2011 auszugehen. Besagter FacharbeiterInnenmangel und Sprachbarrieren stünden der Mobilität von Arbeitskräften entgegen.
Mit der Arbeitsmarktöffnung werden tschechische Unternehmen ihre Dienstleistungen auch in Österreich anbieten dürfen. Hier sehen die ExpertInnen die größte Herausforderung. So rechnen etwa VertreterInnen des AMS Hollabrunn mit unmittelbarer Konkurrenz zur mittelständischen Wirtschaft. Für die Mehrzahl der Befragten werden all jene profitieren, die jung, mobil und gut ausgebildet sind.
Aus tschechischer Perspektive wird Braindrain, die Abwanderung gut ausgebildeter Personen, vor allem von Ärzten/Ärztinnen und KrankenpflegerInnen befürchtet. Aber auch Hoffnungen werden an die neue Situation ab Mai 2011 geknüpft. "Eine Annäherung an das Verständnis der Gewerkschaftsfunktionen könnte in Angriff genommen werden", zitiert der Grenzraummonitor 2010 einen Befragten.
In Österreich sei es selbstverständlich, sich an Kollektivverträge anzulehnen, Löhne für Branchen auszuhandeln und sich im Falle von Problemen gegebenenfalls an die Gewerkschaften zu wenden. "Theoretisch besteht diese Gewerkschaftsfunktion auch in Tschechien, aber viele Beschäftigte nutzen sie nicht." Es mangle in der Tschechischen Republik am Verständnis, dass Gewerkschaften eine legitime Vereinigung sind, die Interessen von ArbeitnehmerInnen verteidigen.
 

Ein wirksames Instrument

Mit dem Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping hat der ÖGB ein wirksames Instrument durchgesetzt, um eine Bezahlung unter dem Kollektivvertrag zu verhindern. Unterbezahlung ist nunmehr strafbar. Offen ist, ob die bei der Wiener Gebietskrankenkasse eingerichtete Stelle zur Kontrolle ausreicht, ob gesetzeskonform entlohnt wird. 

Internet:
Link zum Österreichisch-Tschechischen Grenzraummonitor 2010:
www.lrsocialresearch.at 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
gabriele.mueller@utanet.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

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