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Europa muss mehr für den Arbeitsmarkt tun Notwendige Spielräume können sich auch durch eine Reform der gemeinsamen Agrarpolitik ergeben, die angesichts sinkender Bevölkerungs- und Beschäftigtenzahlen im Agrarsektor und steigender Agrarpreise unerlässlich ist.

Europa muss mehr für den Arbeitsmarkt tun

Internationales

Wie das EU-Budget den ArbeitnehmerInnen in Zukunft mehr nutzen soll!

Anfang März wurden neueste Ergebnisse des APA/OGM-Vertrauensindexes, in welche Organisationen die ÖsterreicherInnen das größte Vertrauen haben, veröffentlicht. Besonders negativ wurde dabei die EU bewertet. Dafür gibt es viele Gründe. Die Menschen wissen oft nicht, wofür das gemeinsame Europa steht. In erster Linie tritt die EU als Wirtschafts- und Währungsunion auf. Die Vorteile, die sie Unternehmen bringt, sind größer und auch deutlicher erkennbar als jene für ArbeitnehmerInnen. So haben sich in den letzten 20 Jahren Einkommen aus Besitz und Unternehmen um 51 Prozent vermehrt, Einkommen der ArbeitnehmerInnen jedoch nur um 38 Prozent. Die europäische Wirtschaftspolitik muss endlich erkennen, dass Verteilungsfragen nicht nur eine individuelle Präferenz eines Staates sind, sondern elementar für das Gelingen einer Europäischen Union. Für eine Weiterentwicklung in Richtung soziales Europa ist es daher höchste Zeit. 

Startschuss im Oktober 2010 

Der Anlass, dieses Ziel gerade jetzt intensiv zu verfolgen, ist der Startschuss zu den Budgetverhandlungen für den mehrjährigen Finanzrahmen der EU. Dieser fiel mit der Vorlage der Halbzeitbewertung des derzeitigen EU-Budgets (Budget Review) im Oktober 2010. Die neue Finanzperiode beginnt 2014 und soll das EU-Budget für mindestens fünf Jahre festlegen, Verhandlungen werden sich bis knapp davor erstrecken.

Gerade jetzt ein soziales Europa

Der Problemdruck auf den europäischen Arbeitsmärkten ist hoch und vielfältig:

  • Arbeitslosigkeit: Im Jänner waren laut Eurostat im EU-Gebiet 23,048 Mio. Menschen arbeitslos, das ist eine Arbeitslosenquote von 9,6 Prozent. Obwohl sich die Wirtschaftslage seit der Krise langsam erholt, haben sich die Arbeitslosenzahlen seit 2010 im Europadurchschnitt nur unwesentlich verbessert und bewegen sich nach wie vor auf einem Niveau, das deutlich über den Zahlen des Jahres 2000 liegt.
  • Integration Jugendlicher: Die Arbeitslosenquote junger Erwachsener zwischen 15 und 24 Jahren lag in der EU-27 im Jänner bei 20,6 Prozent. Besonders dramatisch dabei ist, dass etwa 15 Prozent der Zwanzig- bis Vierundzwanzigjährigen der sogenannten NEET-Gruppe angehören. Das sind Jugendliche, die weder in einer schulischen noch einer sonstigen Ausbildung stehen, aber auch nicht beschäftigt sind. Für sie müssen spezifische Angebote entwickelt und forciert werden, damit ein völliges Abdriften und das Entstehen einer "verlorenen Generation" verhindert wird.
  • Gleichstellung: Die Benachteiligung von Frauen ist nach wie vor evident. Ganz massiv zeigt sie sich im Unterschied zwischen den Erwerbseinkommen von Frauen und Männern, aber auch bei der Erwerbsbeteiligung. Beträgt die Beschäftigungsquote für Frauen zwischen 25 und 54 Jahren ohne Kinder EU-weit noch 75,8 Prozent, sinkt sie auf unter 70 Prozent mit zwei Kindern, auf beinahe die Hälfte bei drei oder mehr Kindern, während die Beschäftigungsquote der Männer mit der Anzahl der Kinder steigt. Maßnahmen zum Abbau der geschlechtsspezifischen Segregation sind daher mehr als angesagt.
  • Armutsbekämpfung: 113,8 Mio. Menschen sind in der EU-27 von Armut oder Ausgrenzung bedroht. Neben einkommensergänzenden Hilfestellungen müssen Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verstärkt werden.
  • Integration: Allein 40 Mio. internationale MigrantInnen leben im Gebiet der EU-27, das sind etwa 8,3 Prozent der europäischen Gesamtbevölkerung. Viele sind von Diskriminierung betroffen, können nicht in dem im Herkunftsland erlernten Beruf arbeiten. Hier braucht es innovative Herangehensweisen zur Anerkennung formaler und nicht formaler Kompetenzen.
  • Qualifikation: Etwa 80 Mio. Menschen gehören zur Gruppe der gering Qualifizierten. Während die Arbeitsplätze für hoch Qualifizierte zunehmen, wird das Angebot für jene mit lediglich Grundqualifikationen drastisch kleiner werden. Allein daher müssen sowohl das Erwerben einer guten Grundausbildung als auch das lebenslange Weiterbilden im Zentrum einer gemeinsamen EU-Politik stehen.

Im Juni 2010 wurde die "Europa-2020-Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum" beschlossen. Kernprioritäten im sozialen Bereich sind Erhöhung der Beschäftigungsquote, Verringerung der SchulabbrecherInnenquote und Erhöhung des Anteils der HochschulabsolventInnen sowie Verringerung von Armut. Ergänzt werden die Zielvorgaben durch Leitinitiativen in den Bereichen Jugend, Armutsbekämpfung, Beschäftigung und Qualifikation, die weiterreichende Maßnahmenkataloge enthalten. Obwohl die neue Strategie Defizite vor allem in den Fragen des Abbaus der geschlechtsspezifischen Diskriminierung, der Integration und Fragen der Verteilungsgerechtigkeit aufweist, ist EU-2020 die Basis, um die Weiterentwicklung zu einem sozialen und wissens-basierten Europa voranzutreiben.
Die Beschäftigungs- und Armutsbekämpfungsziele dürfen nicht Lippenbekenntnisse bleiben, sondern müssen sich auch als Prioritäten im EU-Haushalt deutlich niederschlagen. Der Europäische Sozialfonds (ESF) ist das wichtigste beschäftigungspolitische Finanzierungsinstrument der EU. Bereits in dieser Finanzperiode werden damit vorrangig Maßnahmen zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit sowie Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt finanziert. So trägt der ESF dazu bei, dass Arbeitsplätze geschaffen werden, unterstützt Menschen durch Qualifizierungen mit dem Ziel, dass sie eine berufliche Perspektive haben. Allerdings beträgt der Anteil des ESF am Gesamthaushalt der EU derzeit lediglich 8,7 Prozent.
 

Forderungen für 2014+ 

Für die Zeit nach 2014 braucht es  daher einige Reformen, um das soziale Europa in die Tat umsetzen zu können:
Der ESF muss als zentrales Instrument im Bereich Beschäftigung und soziale Inklusion wesentlich gestärkt werden, sodass sein Anteil am EU-Budget zukünftig zumindest 20 Prozent ausmacht. Betrachtet man die derzeitigen Budgets der Fonds, aus denen Österreich Mittel lukrieren kann, wird die Notwendigkeit einer Veränderung deutlich: Das österreichische ESF-Budget beträgt nur knapp die Hälfte des EFRE (Regionalfonds), der gemeinsam mit dem ESF die Kohäsionspolitik der EU abwickelt. Das Verhältnis des ESF zum ELER (Fonds zur Entwicklung der ländlichen Regionen) beträgt gar nur 1:10.
Nimmt man die Bindung des ESF an die EU-2020-Ziele und den Zugang zum ESF für alle Mitgliedsstaaten ernst, müssen diese auch weiterhin an der gemeinsamen Kohäsionspolitik teilhaben. Darüber hinaus müssen auch Budgetverteilungskriterien angepasst werden. Derzeitige Verteilungsindikatoren wie BIP, Arbeitslosenquote oder Bevölkerungsdichte reichen weder aus, um die aktuelle Arbeitsmarktlage umfassend zu beurteilen, noch zeigen sie wie groß die Bemühungen sein müssen, um die EU-2020-Ziele zu erreichen. Daher müssen diese Ziele (wie Beschäftigungsquote Älterer, Gender-Pay-Gap, Weiterbildungsquote, Situation der Personen mit Migrationshintergrund und Zahl der UniversitätsabsolventInnen) als zusätzliche Indikatoren bei der Budgetverteilung herangezogen werden. Notwendige Spielräume können sich auch durch eine Reform der gemeinsamen Agrarpolitik ergeben, die angesichts sinkender Bevölkerungs- und Beschäftigtenzahlen im Agrarsektor und steigender Agrarpreise unerlässlich ist. Zudem muss die sog. zweite Säule, die der "ländlichen Entwicklung" (ELER-Fonds) dienen soll, umstrukturiert werden und tatsächlich für den gesamten ländlichen Raum und insbesondere auch den ArbeitnehmerInnen zur Verfügung stehen.
Schließlich haben alle Fonds der Kohäsionspolitik zur Erreichung der sozio-ökonomischen Zielsetzungen in den Bereichen Beschäftigung, Bildung und Verminderung der Armut sowie sozialer Ausgrenzung beizutragen. Der neue EU-Finanzrahmen sollte daher vorsehen, dass mindestens 25 Prozent der EFRE- und der ELER-Mittel für beschäftigungsfördernde Maßnahmen reserviert werden. Hiermit soll sichergestellt werden, dass die soziale Dimension als übergeordnetes Ziel in alle Fonds prioritär aufgenommen wird.

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