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Roland Löffler Die Frage "Was soll jemand können, wenn er ausgebildet ist?" ist wichtiger als die Frage "Was soll jemand gelernt haben?".
Zur Person

Eierlegende Wollmilchsau?

Interview

öibf-Arbeitsmarktexperte Roland Löffler meint, dass die Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt steigen und sieht die Zukunft der Arbeit in modularer Berufsbildung.

Arbeit&Wirtschaft: Roland Löffler, sie sind im Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) mit dem Schwerpunkt  Arbeitsmarktforschung betraut. Wo sehen Sie die Berufe der Zukunft?

Roland Löffler: Der Arbeitsmarkt der Zukunft und die Berufe der Zukunft kommen nicht mehr ohne lebenslanges Lernen aus; das ist ja ein Trend, der sich schon seit Jahrzehnten abzeichnet. Da gibt es auch eine ganze Reihe von Initiativen auf europäischer Ebene, die das lebensbegleitende Lernen unterstützen. In Österreich haben wir im Jahr ca. 3,2 bis 3,4 Mio. unselbstständige Beschäftigungsverhältnisse und jedes Jahr werden ungefähr 1,6 bis 1,7 Mio. davon neu abgeschlossen oder beendet. Das sagt schon etwas darüber aus, wie schwierig die Situation für diejenigen ist, die Arbeit suchen, aber auch für diejenigen, die sie dabei unterstützen, sei es das AMS oder auch Bildungseinrichtungen. Parallell dazu kann man auch beobachten, dass die ArbeitnehmerInnen nicht mehr ein Leben lang einen Beruf ausüben. Schon bei den Lehrlingen sind nach zwei Jahren nach Lehrabschluss nur noch 60 Prozent in der Branche, in der sie gelernt haben, nur noch 40 Prozent im Betrieb, in dem sie gelernt haben. Bereits die Jugendlichen, die eine Berufsausbildung machen, sind ständig mit dem Wechsel konfrontiert und mit der Notwendigkeit sich neu zu orientieren. Es gibt einfach Berufsfelder, in denen die Menschen nicht ein Leben lang verbleiben können oder wollen. So scheiden Krankenschwestern oft nach zehn bis 15 Dienstjahren aus dem Beruf aus, weil sie es psychisch oder physisch einfach nicht mehr schaffen. Da gibt es Bestrebungen, das durch Maßnahmen altersgerechter Arbeitsplätze bzw. neuer Strukturen zu verändern. Nichtsdestotrotz gibt es da große Berufswechsel.
Aus unserer Sicht wird der Arbeitsplatz der Zukunft viel stärkeren Transitcharakter haben, d. h. er wird nicht nur innerhalb des Berufsfeldes öfter wechseln, sondern auch die Neuorientierung zu anderen Berufen hin nimmt zu. Die Notwendigkeit auch im Haupterwerbsalter, im fortgeschrittenen Alter, neue Berufe zu erlernen steigt. Dem muss natürlich auch das Berufsausbildungssystem Rechnung tragen.
So muss einerseits die Qualität der Erstausbildung auf jeden Fall gehalten, wenn nicht verbessert werden, da gibt es auch national und international eine ganze Reihe von Maßnahmen und Programmen, die das ermöglichen sollen. Man kann ja auch die Qualität der Ausbildung auf mehreren Ebenen versuchen zu verbessern.

Welche Ebenen wären das?

Da gibt es die Ebene der Gesetze und Verordnungen, z. B. Ausbildungsverordnungen und Lehrpläne an Berufsschulen, wenn wir die duale Ausbildung betrachten. Hier wäre ein Hinwenden in Richtung Kompetenzorientierung wichtig. Bislang war die Ausbildung eher input- also lerninhaltsorientiert. Sinnvoll wäre es, wenn sie auch outputorientiert wäre, also dass Fähigkeiten erworben werden, auf denen man aufbauen kann, die auch berufsübergreifend sind. Es werden ja in den vergangenen Jahren zunehmend in Ausbildungsverordnungen berufsübergreifende Kompetenzen wie Kundenorientierung, Teamorientierung, Kommunikation aufgenommen. Diese Fähigkeiten werden ja gerne als Schlüssel-kompetenzen bezeichnet. Wenn man Betriebe befragt, wird immer wieder betont wie wichtig das ist, man muss also auch im Ausbildungssystem berücksichtigen, dass das auch verstärkt gelehrt wird. Die Frage "Was soll jemand können, wenn er ausgebildet ist?" ist wichtiger als die Frage "Was soll jemand gelernt haben?". Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Da gibt es auch aktuell Bestrebungen, die Ausbildungsverordnungen in diese Richtung umzustellen.

Weitere Trends?

Was in den vergangenen Jahren schon verstärkt eingesetzt wurde, was sicher auch noch stärker Platz greifen wird ist die Modularisierung der Ausbildung, ich bin immer noch bei der Lehrausbildung, das betrifft aber auch zunehmend die vollschulische Berufsausbildung, also die berufsbildenden höheren und mittleren Schulen. Modularisierung in dem Sinn, dass es breitere Grundmodule in einer Ausbildung gibt, die für ein Berufsfeld maßgeblich sind, auf denen dann aufbauend Schwerpunktmodule aufgesetzt werden, die dann zu einer Diversifizierung innerhalb eines Berufsfeldes führen, aber die Möglichkeit bieten, Zusatzmodule in der Ausbildung zu absolvieren, vielleicht auch später in einer beruflichen Weiterbildung. Die ergeben dann Zusatzqualifikationen, die es ermöglichen sich zu spezialisieren, oder auch über die Grenzen eines Berufes hinauszugehen.

Dabei geht es aber eher um mehr, als weniger - das hat nichts mit den Rumpflehren zu tun, wie sie eine Zeit lang von der Wirtschaft gefordert wurden, z. B. EtagenkellnerIn?

Die Wirtschaft kommt immer wieder mit so Ideen wie "Lehre light" - das ist aus unserer Sicht sehr ambivalent zu sehen. Es sollte auf jeden Fall eine fundierte Ausbildung in einem Stammberuf geben - aber die Palette sollte von Haus aus breit angelegt werden.
Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass immer wieder Berufe, die mit großer Vehemenz verlangt wurden, weder von den Betrieben noch von den Jugendlichen nachgefragt wurden. Wir würden eher sagen: Es gibt große Stränge von Berufen. Wir haben derzeit in Österreich etwa 250 Lehrberufe, von denen aber knapp nur noch die Hälfte ausgebildet wird und davon wieder ein Teil nur mit ganz wenigen Lehrlingen - diese breite Palette, die immer wieder gefordert wird findet dann in der Realität nicht statt.
Was wir natürlich beobachten ist eine Verschiebung bei den Lehrberufen und am Arbeitsmarkt. Die Tertiärisierung, die vor mehreren Jahrzehnten begonnen hat, schreitet ja unaufhaltsam fort. Das heißt, es gibt einerseits immer noch die Notwendigkeit die klassischen Lehrberufe auszubilden, aber es geht immer mehr in Richtung vernetzte Berufe, die sowohl einen technischen Hintergrund haben wie auch einen Dienstleistungsaspekt.

Welche Berufe werden denn nicht mehr gelehrt, sterben aus?

Im klassischen Produktionsgewerbe beobachten wir in vielen Berufen, dass die gewerblichen Arbeitsplätze immer weniger werden und manche Berufe fast nur noch im industriellen Bereich eingesetzt werden, z. B. die Buchbinderei. Das traditionelle Buchbindergewerbe findet kaum mehr statt, es gibt das restaurative Buchbindergewerbe oder eben einen Buchbinderbetrieb, der an eine Druckerei und Verlag angeschlossen ist. Das Binden oder Broschieren von Büchern ist Teil eines Prouktionsablaufes und funktioniert anders als früher. Da gibt es jetzt auch Bestrebungen, das in der Ausbildung zu trennen.
Im Dienstleistungsbereich gibt es vonseiten der Wirtschaft immer wieder Bestrebungen, neue Lehrberufe einzuführen, die vor allem mit neuen Medien zu tun haben, die auch teilweise nachgefragt werden - auch von den Jugendlichen. Aber auch hier stellt sich die Frage der Spezialisierung versus Generalisierung. Ist es aber sinnvoll, einen ganz speziellen SystemtechnikerInnen-Lehrberuf zu entwickeln, wenn sich das dann nur auf Hardwarebetreuung beschränkt?
Auch im ganzen Bereich der Kommunikationstechnologien gibt es jede Menge neue Lehrberufe. In letzter Zeit entwickeln sich auch Lehrberufe in der Verwaltung, auch in der öffentlichen Verwaltung, wie BibliotheksassistentIn oder VerwaltungsassistentIn.
Was zunehmend gefordert wird, ist eine Parallelausbildung, also ein klassischer Lehrberuf in Kombination mit breiterer Allgemeinbildung.
"Lehre mit Matura" ist auf jeden Fall ein Zukunftsfeld und hält für diejenigen, die diese Ausbildungsform wählen, viele Möglichkeiten offen. Sie können sich weiter qualifizieren.

Und die Zukunft der Arbeit?

Flexibilisierung ist ein Schlagwort, dem man sich auch von ArbeitnehmerInnenseite nicht verschließen kann, weil sich auch die Anforderungen und Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt ändern. Es gibt Branchen - wie den Handel -, wo sie kaum mehr Vollzeitarbeitsplätze bekommen, wo Teilzeit auch zur Anpassung an die  Auslastungsschwankungen gefordert ist.
Andererseits glaube ich, dass der Arbeitsmarkt sich eher in die Richtung entwickeln wird, dass Menschen in verschiedenen Feldern parallel tätig sind.

Also mehrere Jobs?

Durchaus in einer Mischung aus Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit, wie jetzt schon recht verbreitet. Das erfordert von den ArbeitnehmerInnen eine Mischung verschiedener Kompetenzen und Qualifikationen, die durchaus von einer Person vereint werden können. Ich glaube, dass der Arbeitsmarkt in dieser Richtung noch offener wird.

Das heißt für mich aber auch, wir ArbeitnehmerInnen sollten zur eierlegenden Wollmilchsau mutieren?

Ja, so ist es. Die Anforderungen generell steigen. Laut den Studien von CEDEFOP werden immer höhere Qualifikationen von den ArbeitnehmerInnen gefordert. Es wird immer einen gewissen Grundstock an Arbeitsplätzen mit niedrigen Qualifikationsanforderungen geben, aber der wird tendenziell kleiner und der Anteil der Arbeitsplätze, die mittlere oder höhere Qualifikationen erfordern steigt.
Wo vor zwanzig Jahren ein HTL-Abschluss völlig ausreichend war, ist heute schon ein Fachhochschulabschluss oder Studium gefragt, wo früher HandelsschülerInnen tätig waren, werden heute HAK-AbsolventInnen oder FachhochschülerInnen beschäftigt. Weil andererseits die Anforderungen auch in technologischer Hinsicht gestiegen sind, aber auch was Präsentationstechnik, Kundenkontakt, Kommunikation betrifft. Auch die Internationalisierung trägt dazu bei. In einer globalisierten Welt gibt es kaum Arbeitsplätze, die einerseits ohne EDV, und andererseits ohne Fremdsprachen, zumindest Englisch, auskommen. Das sind Kompetenzen, die in jeder Ausbildung Platz haben sollten. Da hinkt unser Berufsbildungssystem an den berufsbildenen Schulen hintennach. Wenn ich bedenke, dass an einer HTL maximal zwei Stunden Englisch in der Woche, und das nicht unbedingt als Pflichtfach, unterrichtet wird, ist das problematisch.

Eine Bildungsreform ist also dringend notwendig?

Sicher. Einerseits geht man ja auch in den berufsbildenden und den höhereren Schulen den Weg, die Reifeprüfung neu in Richtung Kompetenzorientierung zu organisieren und das soll auch relativ bald umgesetzt werden. So in Richtung zentraler Reifeprüfung, wie es an den AHS derzeit passiert, die kompetenzorientiert ist. Das bedeutet auch eine Umstellung für die Lehrenden, weil ganz andere Dinge in der Vermittlung gefordert werden.
Darauf aufsetzend hat sich ein sogenanntes Standing Comitee entwickelt, wo derzeit mit dem AMS zukünftige Qualifikationsanforderungen diskutiert werden, mit Bildungsangeboten, die dann zum Teil über das AMS finanziert werden sollen. Es ist aber sehr schwierig, diese Qualifikationsanforderungen auch auf die große Zahl der Klein- und Kleinstbetriebe - in Österreich 75 Prozent - umzulegen.
Eines kristalliert sich heraus, dass interkulturelle Kompetenz immer mehr nachgefragt wird. Sprachen und Kommunikation sind sehr wichtige Punkte. 

Welche Rolle spielt die Genderfrage bei den Berufen der Zukunft?

Das ist ein zäher Prozess. Es gibt seit vielen Jahren und Jahrzehnten Initiativen, Mädchen für nicht traditionelle Berufe zu begeistern, und die Bereitschaft ist bei den Mädchen auch da. Auch hier hängt sehr vieles an einer guten Berufsorientierung. Wenn ich nicht gut informiert bin über das breite Spektrum an Berufs- und Bildungsmöglichkeiten, die es gibt, werde ich in den Fehler verfallen, das zu wählen, was ich kenne. So ist es nicht verwunderlich, dass 75 Prozent der Mädchen vielleicht sechs oder sieben Berufe anstreben - und bei den Burschen ist es nicht viel anders.  Da gibt es tradierte Bilder - nicht alle Eltern freuen sich, wenn die Tochter Maschinenbauschlosserin wird oder der Sohn Kindergärtner. Dabei wäre es viel besser, wenn mehr Männer als Kindergärtner oder Volksschullehrer arbeiten würden. Das ist allerdings oft auch eine Frage der Entlohnung.
Die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen ist aber deutlich sichtbar. Bei den jungen haben wir in etwa gleich hohe Erwerbsquoten wie bei den Männern. Natürlich sinkt die Frauenerwerbsquote dann, wenn sie Kinder bekommen. Und auch da werden wir ansetzen müssen, wenn es um die Zukunft der Arbeit geht. Wir können eine Gleichstellung der Frauen sowohl was die Entlohnung betrifft als auch die Karrierechancen nur erreichen, wenn wir auch die Pflichten der Kinderbetreuung gleicher auf die Geschlechter verteilen.
Ansonsten sollte am Arbeitsplatz das Geschlecht keine Rolle spielen - es muss aber genderspezifische Arbeitsbedingungen geben. Gleichstellen heißt ja nicht gleichmachen. Man muss in der Arbeit der Zukunft die unterschiedlichen Potenziale bei gleichen Chancen nutzen.
Das Gleiche gilt auch für die multikulturelle Gesellschaft und wird ja oft gemeinsam genannt. Diversity ist sicher ein wichtiges Stichwort und eine große Chance. In einem europäischen Arbeitsmarkt sollte das unbedingt ein Aspekt sein.

Sie selbst haben drei Söhne, wie sehen Sie deren Zukunft der Arbeit?

Mein Ältester ist gerade dabei, seinen Bachelor in Betriebswirtschaft abzuschließen und wird dann vermutlich seine weitere Ausbildung im Ausland absolvieren. Der Mittlere ist noch in der AHS und ebenfalls sprachenbegabt und überlegt, sein Interesse für Sprachen mit Informatik zu kombinieren.
Und der Jüngste ist in der vierten AHS, bei dem ist es noch am offensten, wo es hingehen soll. Das ist zu früh für eine Entscheidung für die Bildungslaufbahn, geschweige denn eine Berufsausbildung. Auch in Sachen Berufsorientierung wird bei uns zu wenig getan.

Wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Katharina Klee für Arbeit&Wirtschaft.

Internet:
öibf - Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung:
www.oeibf.at 
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