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"Arbeitslose auf Bewährung" Im 20. Jahrhundert gab es klare Verbote und Regulierungen, die ständig zu Leistung und Gehorsam zwangen. Heute ist an die Stelle des ehemaligen "Gehorsamssubjekts" das "Leistungssubjekt" getreten, das aus sich heraus produktiv ist.
Buchtipp

"Arbeitslose auf Bewährung"

Schwerpunkt

Aus Angst den Job zu verlieren oder auf dem Arbeitsmarkt nicht bestehen zu können, tappen immer mehr ArbeitnehmerInnen in die Falle der Selbstausbeutung.

In früheren Zeiten war die überwiegende Anzahl der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe der Industrie angesiedelt. Dort gab es ein relativ enges und demzufolge auch monotones Aufgabenspektrum für die einzelnen ArbeiterInnen zu absolvieren. Denkt man an die Charlie-Chaplin-Filme wird deutlich, weshalb diese Arbeitsplätze in der Retrospektive mehrheitlich zu Recht als nicht erstrebenswert angesehen werden.
In der heutigen Arbeitswelt gibt es dieses eng definierte Tätigkeitsfeld kaum mehr. Moderne Angestellte sind heutzutage vielmehr oft UnternehmerInnen in eigener Sache. Dies hört sich zunächst verlockend an, da damit auch viele Freiheiten verbunden sind.

Allzeit bereit

Viele Berufstätige machen Überstunden, aber nicht immer stellen sie diese auch in Rechnung. In der wenigen Freizeit, die ihnen bleibt, machen sie sich fit für den nächsten 14-Stunden-Tag. Der Job steht im Mittelpunkt, und so sind manche Beschäftigten rund um die Uhr für die Firma erreichbar. Dieses Phänomen, dass man immer mehr und härter arbeitet ohne es als Problem zu empfinden, nennt man Selbstausbeutung. Man ist nicht etwa froh, wenn die Arbeit um 17 Uhr getan ist, nein, Arbeit macht ja Spaß, und deshalb darf das auch kein Problem darstellen. Arbeit bedeutet ja bekanntermaßen neben Mühsal auch Selbstverwirklichung. Aber natürlich gibt es da sehr wohl Probleme. Eines dieser Probleme ist zum Beispiel, dass immer mehr Angestellte für den Beruf auf ein erfülltes Privatleben verzichten. In dem Moment, in dem das "konkrete" Leben mit der Vorstellung von einem "gelungenen" Leben kollidiert, stimmt etwas nicht. Hinweise können psychische Krankheiten sein, die infolge von Stress auftreten, wie beispielsweise das Burn-out-Syndrom.
Der Ursprung der Selbstausbeutung liegt in den freien Berufen - bei den WerberInnen, ArchitektInnen, freien JournalistInnen. Doch setzt sich das Prinzip der Selbstausbeutung auch immer mehr durch, etwa bei BeraterInnen, Scheinselbstständigen. Das liegt daran, dass die Arbeitszeit nicht mehr kontrolliert wird. Für die ArbeitnehmerInnen gilt: Macht, was ihr wollt, aber seid profitabel.
Je mehr Freiheiten und Selbstbestimmung wir in unserem Arbeitsumfeld bekommen, desto mehr handelt man wie ein Unternehmer, eine Unternehmerin im Unternehmen. Das ist einerseits freiwillig, weil es unter Umständen Spaß macht, andererseits entstehen ganz neue Zwänge. Wenn am Arbeitsplatz zum Beispiel alle bis 21 Uhr bleiben, bleibt man selbst eben auch bis 21 Uhr. Man ist kein passiver Angestellter mehr, sondern UnternehmerIn der eigenen Arbeitskraftausbeutung. Die genaue Trennung zwischen Arbeit und Freizeit gibt es praktisch nicht mehr. Die Leute wissen durchaus, dass ihnen etwas fehlt und Arbeit nicht alles ist. Doch der Arbeitsmarkt hat sich verschärft, schreibt Jakob Schrenk in seinem Buch "Die Kunst der Selbstausbeutung". "Weil die Konkurrenz größer ist, haben Angestellte Angst, ihren Job zu verlieren. Sie sind Arbeitslose auf Bewährung." Weil das "Leistungssubjekt" an die Stelle des "Gehorsamssubjekts" getreten ist, droht der Mensch an der Unendlichkeit seiner Möglichkeiten zu scheitern. Mit seinem Essay "Müdigkeitsgesellschaft" liefert der Philosoph Byung-Chul Han einen spannenden Beitrag zur Kultur der Selbstausbeutung.

Alles ist Herausforderung

Neuronale Erkrankungen wie Depression, ADHS und Burn-out sind Han zufolge darauf zurückzuführen, dass wir in unserer globalisierten Leistungsgesellschaft nichts mehr als verboten, fremd oder unterdrückend begreifen, sondern ganz im Gegenteil alles als Herausforderung verstehen. Anstatt sich vor einer wie auch immer gearteten äußeren Macht zu fürchten, kollabiere der Mensch des 21. Jahrhunderts an der Unendlichkeit seiner Möglichkeiten.
Im 20. Jahrhundert gab es klare Verbote und Regulierungen, die ständig zu Leistung und Gehorsam zwangen. Heute ist an die Stelle des ehemaligen "Gehorsamssubjekts" das "Leistungssubjekt" getreten, das aus sich heraus produktiv ist. Das Leistungssubjekt, so Han, leidet nicht mehr an der Negativität von Verboten, sondern seine Krankheit resultiert gerade umgekehrt aus einem Übermaß an Positivität: Es kann, bis es nicht mehr können kann. Der depressive Mensch, schreibt der Philosoph, "ist jenes animal laborans, das sich selbst ausbeutet, und zwar freiwillig ohne jede Fremdzwänge".

Generation Praktikum

Barbara Kasper von der Bundesjugendabteilung der GPA-djp, sagt: "Wenn junge ArbeitnehmerInnen keinen anderen Ausweg sehen, nehmen sie schlecht bezahlte Praktika an, wo es zum Beispiel 500 Euro für einen 40-Stunden-Job gibt. Man nimmt es aus verschiedenen Gründen in Kauf, sei es wegen angeblich mangelnder Berufserfahrung, sei es aus Mangel an 'echten‘ Jobs." Aus diesem Teufelskreis auszubrechen, ist oftmals illusorisch. Geködert wird man oft durch das Versprechen, nach dem Praktikum fix aufgenommen zu werden. Dies ist in der großen Mehrzahl der Fälle eine Lüge, um den SelbstausbeuterInnen eine Möglichkeit zur Zweckrationalisierung zu bieten. Es kommt auch vor, dass man in einem, für die ArbeitgeberInnen günstigeren Kollektivvertrag angemeldet ist, der unter dem eigenen Fähigkeits- und Lohnniveau liegt, man aber aus Angst vor Jobverlust und in der vagen Hoffnung auf Besserung nichts dagegen tut. "Wenn keine arbeitsrechtlichen Verordnungen gebrochen werden und nach Kollektivvertrag bezahlt wird, kann die Gewerkschaft leider nicht viel machen. Die ArbeitgeberInnen sind da ziemlich schlau."
Wilfried Leisch sitzt im Bundesausschuss der IG work@flex, einer Vertretung "atypisch" Beschäftigter in der GPA-djp, und meint, dass es sich für Menschen, die von der Problematik der Selbstausbeutung betroffen sind, jedenfalls auszahlt sich an work@flex zu wenden. "Man kann sich organisieren, und dort, wo man arbeitet etwas erreichen. Wir bieten da Unterstützung an. Aber das Ziel muss sein, dass es einen einheitlichen ArbeitnehmerInnenbegriff gibt, dass es einheitliche Arbeitsverträge gibt, und dass es nicht billiger ist, Leute "atypisch" zu beschäftigen, weil man nicht unter dem Kollektivvertrag entlohnt werden kann. Man kann und sollte die Rahmenbedingungen ändern, und Einfallstore ins Prekariat - wie freie DienstnehmerInnen und neue Selbstständige - abschaffen."

Wer strebsam ist, ist erfolgreich

Die heutige Gesellschaft nimmt nach Aussage des Soziologen Oskar Negt jedoch noch widerstandslos hin, dass der Mensch in doppelter Hinsicht umdefiniert wird. Es gibt einerseits das Vorbild des Unternehmers nach dem Motto: Wer strebsam ist, ist erfolgreich. Dadurch entstehen euphemistische Bezeichnungen wie beispielsweise die sogenannten "Ich-AGs". Andererseits muss der Mensch nach dieser Umdefinition allzeit verfügbar im Marktgeschehen zu sein - so als wäre das Marktgeschehen die Natur. Diese leistungsbewussten MitläuferInnen sind gefährlich für die Demokratie, erläutert Negt und plädiert für eine Gesellschaftsstrategie der Gewerkschaft, die sich Gedanken darüber macht, wie ein Leben aussehen soll. Gewerkschaftliche Strategien müssten um ein - wie Negt es nennt - kulturelles Mandat erweitert werden. Es geht in einem umfassenden Sinne um die Lebensverhältnisse der in Abhängigkeit lebenden Menschen.

Anhängsel des Marktes

Und Negt warnt: "Der sozialdarwinistische Überlebenskampf ist heute mit derartigen Ängsten besetzt, dass ein Großteil der Lebensenergie dafür gebraucht wird, sich in als unhaltbar betrachteten Zuständen überlebensfähig zu halten. Depressive und in ihrem Handeln gelähmte Menschen sind jedoch strukturell konservativ. Es ist eine angstbesetzte Wahl, die sie treffen: Da ihnen die Auswege aus dem Bestehenden verbarrikadiert erscheinen, entscheiden sie sich für diejenigen, die ihnen gegenüber als mächtig erscheinen. Eine Gesellschaft, die zum bloßen Anhängsel des Marktes und der Aktionäre degeneriert, bedeutet kollektives Unglück."

Internet:
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