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"Bedarf an mehr Mobilität" Wir werden in Zukunft eine größere Durchmischung der Arbeitskräfte am europäischen Markt erleben und wir müssen sehen, wie das erleichtert werden kann, damit alle Seiten davon profitieren.

"Bedarf an mehr Mobilität"

Interview

Der EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration László Andor kam zur Abschlussveranstaltung der Konferenzreihe "Arbeitsmarktöffnung".

Zur Person
László Andor
Geboren am 3. Juni 1966 in Zalaegerszeg
Er ist ein ungarischer Ökonom und seit 2010 EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration.
Andor studierte Wirtschaftswissenschaften an verschiedenen ungarischen und europäischen Hochschulen.
Er ist außerordentlicher Professor an der Budapester Universität für Wirtschaftswissenschaften und Öffentliche Verwaltung.
Von 2005 bis 2010 saß er im Verwaltungsrat der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Er gehörte auch zum Beraterstab der Regierung unter Ministerpräsident Gyurcsány.

Arbeit&Wirtschaft: Kommissar Laszlo Andor, Sie besuchen Österreich anlässlich der 4. und letzten Arbeitsmarktöffnungskonferenz, die von der Europapartnerschaft in Zusammenarbeit mit dem ÖGB, den Gewerkschaften und der Arbeiterkammer unter Projektleitung des BMASK veranstaltet worden ist - eine sinnvolle Maßnahme zum aktuellen Zeitpunkt?

László Andor: Ja, Österreich und Deutschland sind nun auch für interessierte ArbeitnehmerInnen aus den EU 8 - Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien und Ungarn - offen. Ich glaube, dass Bewusstsein und Verständniss für die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union (EU) sehr wichtig ist. Es gab einige Bedenken im Vorfeld und ich glaube, derartige Prozesse der Beratung, Analyse, Information und des Dialogs haben diese Sorgen verringert und den Blick für die Chancen geöffnet.

Bedenken und Sorgen wurden ja von den rechtsgerichteten Parteien in Deutschland und Österreich instrumentalisiert …

Bedenken können ihre Wurzeln überall haben und sind manchmal nur im Mangel an Information begründet. Das heißt, wir müssen die Menschen mit Informationen und Analysen versorgen und zum Gespräch mit ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen bereit sein. Aber es ist natürlich wahr, dass bestimmte Gruppierungen diese Sorgen und Bedenken zu ihrem politischen Vorteil ausnutzen und so versuchen, die Errungenschaften der EU zurückzudrehen.
Meiner Meinung nach ist das nicht zu akzeptieren. Ich glaube, es ist sehr wichtig, das Gespräch mit jenen zu suchen, die auf die eine oder andere Art Schwierigkeiten sehen. Es ist nicht nur unser Job Grenzen aufzuheben, sondern auch jenen zu helfen, die damit Probleme haben. Wir müssen aber gleichzeitig den demagogischen Strömungen entgegentreten, die die Sorgen um die sozialen Bedingungen ausnutzen.

War Ihrer Ansicht nach die siebenjährige Übergangsfrist notwendig und sinnvoll?

Ich denke, dass diese sieben Jahre aus einer fast übertriebenen Angst entstanden sind, die nicht wirklich begründet war. Wie auch immer, ich glaube auch, dass Übergangssituationen geregelt gehören. Wenn ein Land oder mehrere eine stufenweise Annäherung an eine Öffnung vorziehen, sollte man das als ein Recht ansehen. Die Frage ist, auf welche vernünftigen Fristen man sich einigen kann. Es gibt nun eine Art standardisierter Praxis, die für die EU 8 genutzt wurde und nun weiter für Rumänien, Bulgarien und Kroatien, das hoffentlich 2013 beitritt, angewendet werden kann. Aber diese Regeln erlauben auch eine beschleunigte Öffnung - das hängt von den Entscheidungen der Mitgliedstaaten ab.

Helmut Kretzl (SN): Was sind die Wirtschaftsvorteile der Öffnung? Timo Baas, ein deutscher Arbeitsmarktforscher, sagt, dass der positive Netto-Effekt in den nächsten zehn Jahren 900 Mio. Euro betragen wird, halten Sie das für realistisch?

Das könnte sogar unterschätzt sein - das lässt sich aber nur sehr schwer berechnen. Die Europäische Kommission hat sich aber die wirtschaftlichen Auswirkungen auf jene Länder, die ihren Arbeitsmarkt vor Österreich geöffnet haben, sehr genau angesehen. Dort gab es keine zusätzliche Arbeitslosigkeit, die Menschen kamen, um zu arbeiten und die Sozialstandards und Löhne wurden nicht untergraben. Da waren die Lohnsteigerungen geringer, aber auch die Preissteigerungen.

SN: Haben Deutschland und Österreich, weil sie sieben Jahre mit der Arbeitsmarktöffnung gewartet haben, vielleicht nur die zweite Wahl an Arbeitskräften aus den EU 8 bekommen?

Ja, das könnte sein. Wir haben zwar keine Beweise, aber es ist möglich, dass Großbritannien, Irland und andere Länder, die ihre Arbeitsmärkte viel früher geöffnet haben, qualifiziertere Arbeitskräfte bekommen haben. Aber nun steckt Irland z. B. in der Rezession und viele Leute verlassen das Land wieder und suchen nach Chancen in Österreich oder Deutschland - vorausgesetzt sie sprechen Deutsch.

Ihr Heimatland Ungarn gehört ja zu den EU 8 - wie sehen Sie die Stimmung und die Reaktion dort?

Ich habe natürlich jetzt einigen Enthusiasmus beobachten können, schon als Ungarn 2004 der EU beigetreten ist und ich hoffe, es wird auch einigen Enthusiasmus geben, wenn Ungarn der Euro-Zone beitritt, denn das ist ein weiterer wichtiger Schritt für die Integration in die EU und ihre Errungenschaften. Das ist sehr wichtig für die einzelnen ArbeitnehmerInnen.
Gleichzeitig gab es natürlich auch eine Einschätzung der Risiken - besonders bestimmte Berufsgruppen betreffend. Manche Berufsgruppen sind mobiler nach außen und ganz oben auf dieser Liste stehen die medizinischen Berufe. Wenn ArbeiterInnen in anderen Ländern arbeiten, ist das nicht so ein Risiko für einen Staat, da profitieren alle irgendwie davon. Wenn aber zu viel ÄrztInnen und geschulte Pflegekräfte das Land verlassen, ist das schlecht.
Ich habe daher mit dem Gesundheitsstaatssekretär in Ungarn gesprochen und wir waren uns einig, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit eine gute Sache ist. Er muss aber Strategien entwickeln, um die Heimat für Gesundheitspersonal attraktiver zu gestalten um sie zu halten. Abwanderung von Schlüsselkräften ist in allen EU 8 ein Problem. Der Großteil der Risiken der Arbeitsmarktöffnung liegt nicht bei den Ländern, die Arbeitskräfte aufnehmen sondern bei denen, die sie verlieren.

Der sogenannte "Brain Drain" - die Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften - also …

Genau, akademisches Personal oder qualifizierte Fachkräfte arbeiten dann im Ausland oft in Positionen, die nicht ihrer Ausbildung entsprechen, z. B. ÄrztInnen als Pflegepersonal. Das ist eine Verschwendung der Investitionen, die in die Ausbildung gesteckt wurden. Das heißt, wir müssen weiter über die Arbeitnehmerfreizügigkeit diskutieren.

Was denken Sie über unser Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping?

Ich habe mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer, BAK-Präsident Herbert Tumpel und ÖGB-Präsident Erich Foglar darüber gesprochen. Wir waren uns einig, dass die Europäische Kommission sich das genau ansehen muss, weil es sich hier um ein Recht handelt. Es muss natürlich von den RechtsexpertInnen überprüft werden, ob das Gesetz auch dem EU-Recht entspricht.

Welche Rolle können und sollen BetriebsrätInnen und Gewerkschaften in diesem Prozess spielen? 

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man ein allgemeines Verständnis der ArbeitnehmerInnen für Trends des Arbeitsmarktes und ein Bewusstsein für die Erhaltung sozialer Rechte entwickelt.
Wir werden oft gefragt, wie wir in dieser schwierigen Zeit nach der Krise und der EU-Erweiterung soziale Rechte sichern wollen. Wir bekennen uns in allen unseren Dokumenten - vor allem in der Europa 2020 Strategie - ganz klar zu Investitionen in menschliche Ressourcen. Das ist unserer Meinung nach die Basis für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Und wir müssen uns um mehr Integration bemühen; Integration in verschiedenster Form. Ich denke da an Altersgruppen, Gender, nationale Diversity und mehr.
Wir werden dabei einige Schwierigkeiten zu meistern haben, z. B. die nationalen Ansprüche an die Systeme sozialer Sicherheit. Wir werden in Zukunft eine größere Durchmischung der Arbeitskräfte am europäischen Markt erleben und wir müssen sehen, wie das erleichtert werden kann, damit alle Seiten davon profitieren.

Und welche Rolle spielen die Euro-Betriebsräte in der Europäischen Arbeitswelt?

Das ist natürlich eine Frage des Verstehens. Wir haben in der EU 27 verschiedene Traditionen von ArbeitnehmerInnen-ArbeitgeberInnen-Beziehungen, Sozialsystemen und es existiert große Vielfalt, was die berufliche Ausbildung und Berufe an und für sich betrifft. Es besteht also Bedarf, dass die ArbeitnehmerInnenvertretungen zusammen arbeiten - an Kommunikation und einem glatten Funktionieren des Arbeitsmarkts mit dem Bewusstsein, dass die ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit uns allen nutzt.

Sie sind auch Kommissar für Integration - sehen Sie da Probleme durch die Arbeitsmarktöffnung?

Das Hauptaugenmerk meiner Aufgaben liegt bei der Integration von Menschen, die von außerhalb der EU kommen. Aber es ist wahr, dass man sich - vielleicht auch durch Einfluss einzelner EU-Mitgliedsstaaten - auch Gedanken über Volksgruppen einzelner EU-Staaten machen muss. Ich möchte da die Roma-Frage ansprechen. Die Integration der Roma war aufgrund der Größe dieser Minderheit in erster Linie ein Thema von sechs bis sieben Mitgliedstaaten. Aber in letzter Zeit hat sich diese Frage - auch aufgrund der Öffnung - zu einem europäischen Thema entwickelt. Es ist ein Anliegen der EU, die Roma besser zu integrieren. Anfang des Jahres haben wir ein europäisches Rahmenwerk dafür entwickelt, das von allen Mitgliedstaaten angewendet werden soll, auch von Österreich.

SN: In den Diskussionen vor der Arbeitsmarktöffnung wurde auch die niedrige Mobilität angesprochen. Viele wollen gar nicht ins Ausland gehen. Wie sehen Sie das? In den USA z. B. sind die Menschen viel mobiler als in Europa.

Im Vergleich zu den USA gibt es tatsächlich in der EU weit weniger Mobilität. Aber Europa ist nicht Amerika - wir haben zwei Dutzend verschiedene Sprachen und das spielt eine wichtige Rolle. Dadurch erhält sich eine gewisse Diversität und eine Trennung der Arbeitsmärkte. Ich habe gerade von Minister Hundstorfer erfahren, dass die meisten EU-Arbeitskräfte in Österreich aus Deutschland kommen. Ihr habt eine gemeinsame Sprache und im Vergleich zu den direkten Nachbarländern Ungarn, Slowakei oder Slowenien kommen hier wohl mehr Menschen aus den weiter entfernten Regionen Deutschlands.

SN: Sehen Sie darin ein Problem?

Ja tatsächlich, ich glaube, dass im Sinne der EU-Wirtschaft Platz für und Bedarf an mehr Mobilität ist - gerade was die Jugend angeht. Ich bin überzeugt davon, dass wir mehr Mobilität bei den Studierenden bräuchten. Diese sollte die Basis für mehr Arbeitskräfte-Mobilität bilden. Darin steckt ein großes Potential für die europäische Wirtschaft. In Deutschland gibt es derzeit eine Mio. freier Stellen, wenn es nicht mehr Mobilität gibt, wird es dort auch aufgrund der demographischen Entwicklung Probleme geben. Wir sehen uns die demographischen Trends in der EU auch auf Basis des Arbeitsmarkts sehr genau an und das entspricht unserer Annäherung an Europa 2020. Wir haben da das Programm "Youth on the move".  Das alles erfordert viele Entwicklungsschritte im Fremdsprachenunterricht, in der Anerkennung von Qualifikationen und vielem mehr.

SN: Die Lohnunterschiede in der EU werden immer geringer - werden sie bald in etwa dasselbe Niveau erreichen?

Nicht so schnell - ich glaube das klappt erst auf lange Sicht. In den letzten paar Jahren haben wir beobachten können, dass dieses Langzeitziel auch immer wieder Rückschläge erleidet. Die Lohnunterschiede an und für sich beeinflussen die Migrationsflüsse nicht so sehr. Migration braucht sogenannte Zug-Faktoren - wie das höhere Einkommen - und Stoß-Faktoren - wie Probleme in der direkten Umgebung. Wenn also in einem Land mit geringerem Einkommen viele gute Jobs und Möglichkeiten vorhanden sind, bietet ein höheres Einkommen nicht unbedingt einen Anreiz auszuwandern. Wenn im Gegensatz dazu das Einkommen hoch ist, der Arbeitnehmerschutz aber nieder, es keinen sozialen Dialog gibt, gehen viele, vor allem diejenigen, die produktiv sind und Karriere machen möchten.

Unser aktuelles Heft hat das Schwerpunktthema "Welt im Wandel" - was sind für Sie persönlich die größten Veränderungen der letzten 20 Jahre in Ihrer Heimat, in Europa, in der Welt?

Ganz oben steht wahrscheinlich die Globalisierung, die eine Menge umfasst, wie die freie Kommunikation auf der ganzen Welt, die Bewegung von Gütern, Dienstleistungen und Menschen und als Teil davon die Integration von West- und Ost-Europa. Die hat das Gesicht dieser Region stark verändert. Ich glaube, dass Österreich sehr stark gerade davon profitiert hat - ich komme aus einem Land, wo der Bankensektor einige prominente Österreichische Mitspieler hat. Das betrifft diese ganze Region, auch in der Bauwirtschaft und im Tourismus. Dieser Wechsel hat viele neue Gelegenheiten geschaffen.
Aber es ist auch so, dass sich manche Änderungen unerwartet entwickelt haben, schlechtes Management und Profiteure haben dafür gesorgt, dass die Kosten höher als gerechtfertigt waren.
Nach der Krise müssen wir sehen, wie diese internationalen Verbindungen verbessert werden können. Wir müssen die Errungenschaften bewahren und die Kosten niedrig halten und das Wirtschaftssystem wieder in eine Balance bringen.

Sind oder waren Sie selbst je Gewerkschaftsmitglied?

Ja - ich habe sogar nach dem Studium in einem Forschungsinstitut der ungarischen Gewerkschaft gearbeitet. Das war mein erster Job, 1989 bis Ende 1991 war ich dort angestellt, dann bin ich als Professor an die Universität gewechselt.

Wir danken für das Gespräch.

Internet:
Homepage von EU-Kommissar László Andor
ec.europa.eu/commission_2010-2014/andor
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