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Tansania: Demokratie und Armut Die Mütter- und Säuglingssterblichkeit steigt genauso wie die Zahl der HIV-Infizierten, die Lebenserwartung dagegen ist in den vergangenen Jahren stark gesunken.

Tansania: Demokratie und Armut

Internationales

"Ich glaube, die Philosophie der Industrienationen ist: Was wir besitzen,teilen wir nicht, was die Entwicklungsländer besitzen teilen wir mit ihnen." Benjamin Mkapa, Präsident Tansanias 1995 bis 2005

Trotz jahrzehntelanger Abstinenz von Stammesfehden und lokalen Kriegen und einer friedlichen Entwicklung hin zu einer Demokratie zählt der ostafrikanische Küstenstaat zu den ärmsten Ländern der Welt. Demokratie und Frieden allein können offenbar keinen Wohlstand zu den Menschen vor Ort bringen.

Multiethisch und multireligiös

Tansania ist in jeder Hinsicht eine multiethnische und multireligiöse Gesellschaft. Bei der bis jetzt letzten offiziellen Volkszählung im Jahr 1967 erklärten sich 32 Prozent dem Christentum, 30 Prozent dem Islam und 37 Prozent der Bevölkerung afrikanischen Religionen zugehörig. Aktuellere offizielle Zahlen dazu gibt es nicht. Schlafende Hunde lieber ruhen lassen, lautet hier offenbar die Devise der tansanischen Regierung, denn mittlerweile scheint sich eine klare moslemische Mehrheit herausgebildet zu haben. Die meisten, selbst die kleinsten Orte verfügen über eine Moschee genauso wie über eine Kirche. Von den Schuluniformen gibt es oft die christliche und die muslimische Variation mit dazu passendem Kopftuch nebeneinander. Zuerst den Ruf des Muezzins und gleich anschließend die Kirchenglocken zu hören, gehört in Tansania zum Alltag. Die religiösen Feiertage beider Konfessionen werden eingehalten und Konversionen sind in beide Richtungen möglich und üblich. Doch der Schein trügt, die Ausgewogenheit zwischen den Religionen, die auch von den offiziellen veralteten Zahlen suggeriert wird, täuscht. In der Realität der tansanischen Gesellschaft sind die Muslime, obwohl vermutlich in der Mehrheit, klar im Nachteil. Obwohl Präsident Kikwete ein Muslim ist, dominieren die Christen - vor allem Katholiken - klar im Staatsdienst und im Bildungswesen.
Maximal ein Fünftel der Studierenden sind Muslime. Seit 2005 gibt es in Morogoro zwar eine muslimische Universität, doch diese hat massive personelle Probleme. Weil zu wenige muslimische Professoren zur Verfügung stehen sind 90 Prozent der Lehrenden dort Christen. In einem Land, in dem alle Ressourcen knapp und die meisten arm sind, schmerzt jede Ungerechtigkeit besonders stark. Spannungen zwischen Christen und Muslimen sind an der Tagesordnung. In beiden Gruppen profitieren davon die fundamentalistischen Strömungen, die in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen sind.

1.100 Jahre arabische Herrschaft

Vor den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts hat es Tansania als zusammenhängendes staatliches Gebilde überhaupt nicht gegeben. 1.100 Jahre lang hatten Araber über das Territorium geherrscht und mit Sklavenhandel große Profite erzielt, bevor die deutsche Kolonialmacht das heutige Staatsgebiet Tansanias mit Ruanda und Burundi zur Kolonie Deutschostafrika vereinigte. Die Deutschen herrschten mit unbeschreiblicher Brutalität: Dörfer wurden niedergewalzt, Nahrungsmittel konfisziert, um durch Hungersnöte die einheimische Bevölkerung zu dezimieren.
Nach der Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg wurde Tansania Teil des britischen Imperiums. Doch die Briten waren eher an der Entwicklung des benachbarten Kenia interessiert und investierten kaum in ihr neues Territorium.

Unabhängig seit 1964

Am 26. April 1964 erlangte Tansania als erstes ostafrikanisches Land schließlich seine Unabhängigkeit. Der 39-jährige Sozialist Julius Nyerere wurde erster Präsident und initiierte sogleich eine Reihe an Reformmaßnahmen. Racheaktionen und Übergriffe auf weiße Siedler, wie sie in manch anderen afrikanischen Staaten von Algerien bis zum Kongo während der Phase der Unabhängigkeit vorkamen, sah man in Tansania nicht.
Erfolgreich war Nyerere vor allem in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Die Alphabetisierungsrate wurde innerhalb kürzester Zeit auf ein afrikanisches Rekordlevel von 91 Prozent angehoben, Gesundheitsdienste wurden bis in die entferntesten Regionen des Landes entsandt. Schulbildung und medizinische Versorgung wurden gratis angeboten, und Millionen von Menschen hatten zum ersten Mal in ihrem Leben Zugang zu Sozialleistungen.
Weniger gute Karten hatte Nyerere allerdings mit seiner sozialistischen Kollektivierungspolitik. Die afrikanischen Bauern konnten mit kollektiver Agrarwirtschaft nichts anfangen, und die Produktionsergebnisse waren folglich mehr als dürftig. Die Armut hielt weiter an. Nyerere war jedoch einer der wenigen afrikanischen Staatschefs der ersten Generation, die ihr Amt freiwillig abgaben und einen Demokratisierungsprozess zuließen. Vielleicht gerade deswegen ist er in der tansanischen Bevölkerung bis heute hoch angesehen. Zahlreiche Nyerere-Portraits und Büsten, in Vorgärten, Restaurants und an öffentlichen Plätzen, zeugen vom Stolz der TansanierInnen auf ihren Staatsgründer.

1995: Erste freie Wahlen

1985 trat Nyerere als Staatspräsident zurück. 1992 endete das Einparteiensystem und 1995 fanden erstmals freie Wahlen statt, die aber in der Praxis wenig veränderten. Der Opposition fehlte es sowohl an Ressourcen als auch an politischer Einigkeit und neuen Themen. Die meisten Oppositionsparteien bestanden aus ehemaligen Mitgliedern der Einheitspartei, die weiterhin dieselben politischen Parolen und Slogans verwendeten. Für viele WählerInnen waren daher die Unterschiede nur schwer zu erkennen. Auch das tansanische Wahlsystem, das nach dem Motto "the winner takes it all" der regierenden Partei überproportional viele Parlamentssitze ermöglicht, wirkt in dieselbe Richtung. Entsprechend einfach war es unter diesen Voraussetzungen für die ehemalige Partei Nyereres CCM (Chama Chama Mapinduzi) nicht nur die ersten, sondern auch alle weiteren Wahlen seither für sich zu entscheiden. Tansania blieb daher bis heute ein Einparteienstaat mit Mehrparteiensystem.
Nachdem die Wirtschaftspolitik Nyereres nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt hatte, versuchte es sein Nachnachfolger Benjamin Mkapa, obwohl einst selbst Minister in der Regierung Julius Nyereres, mit der lange Zeit verweigerten Umsetzung der Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Staatliche Betriebe wurden großräumig privatisiert. Es traf die Telekommunikation ebenso wie die Energie- und Wasserversorgung. Kleine Erfolge konnten im Kampf gegen die Korruption erzielt werden.
Der große wirtschaftliche Aufschwung und die nachhaltige Reduktion der Armut lassen aber weiterhin auf sich warten. Im Gegenteil, obwohl das Wirtschaftswachstum seit der Jahrtausendwende über fünf Prozent liegt, kommt bei der Bevölkerung kaum etwas davon an. Tansania ist nach wie vor zu beinahe 100 Prozent von ausländischen Gebern abhängig. Auch die erfolgreiche Tourismusindustrie wird fast ausschließlich von ausländischen Geschäftsmännern und -frauen aus Europa geleitet, von italienischen Strandressorts auf der Insel Sansibar bis zu deutschen Junglecamps für Luxusreisende.
Für dringend notwendige Investitionen fehlen dem Staat die Steuereinnahmen. Steigende Gebühren für den Schulbesuch führen zu einem erneuten Ansteigen des Analphabetismus - beinahe 30 Prozent der Bevölkerung können heute in keiner Sprache lesen und schreiben. Die Mütter- und Säuglingssterblichkeit steigt genauso wie die Zahl der HIV-Infizierten, die Lebenserwartung dagegen ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Zugang zu Strom und Gas haben nur diejenigen, die dafür zahlen können und das sind am Land nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Mehr als 50 Prozent der ländlichen Bevölkerung müssen auch ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser auskommen.

Generationenwechsel lässt warten

Auch ein Generationenwechsel in der tansanischen Politik lässt auf sich warten. Die Mehrheit der Politiker ist mittlerweile zwischen 60 und 80 Jahre alt und gehört nach wie vor der ersten Generation nach der Unabhängigkeit an. Seit 2005 ist Jakaya Kikwete Staatspräsident, er wurde 2010 wiedergewählt, musste aber erstmals schmerzhafte Stimmenverluste hinnehmen. Seine Partei erreichte nur noch 60 Prozent der Stimmen, ein historisches Tief und womöglich ein Hinweis, dass der Generationenwechsel und der Übergang zu einer echten Mehrparteiendemokratie nicht mehr lange hinausgezögert werden kann.

Internet:
Mehr Info über Tansania:
de.wikipedia.org/wiki/Tansania
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