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Familie 2.0 Der rechtliche Rahmen soll es Frauen und Männern ermöglichen, ihre Form von "Familie" so zu definieren, wie es ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht - sei es als Ein-Eltern-, neue Form der Groß-Familie oder in ganz anderen Konstellationen.

Familie 2.0

Schwerpunkt

Vater-Mutter-Kinder - die klassische Kleinfamilie wird immer seltener. Höchste Zeit, dass Familienpolitik neue Formen des Zusammenlebens berücksichtigt.

Vater, Mutter, Kind. Dazu ein Haus mit Schrägdach, Rauchfang, davor ein Baum und dahinter blauer Himmel. Das Familienbild in unseren Köpfen ist oft noch stark von der Idylle aus Kinderbüchern geprägt. Dass die Wirklichkeit eine andere ist, wissen die meisten aus Erfahrung. Der Trend zur Ehe ist beständig im Abnehmen, und Kinder wachsen in unterschiedlichsten Zusammenhängen auf. So ist etwa bereits jede zehnte Familie "Patchwork", das heißt, die Kinder stammen aus einer früheren Beziehung einer (oder beider) PartnerInnen. Weitere geschätzte 5.000 Kinder leben in "Regenbogenfamilien", also mit gleichgeschlechtlichen Eltern, oft stammen diese Kinder aus früheren Beziehungen. Familienformen sind also sehr viel bunter geworden.

Abschied von der Klein-Familie

Die zunehmende Auflösung der traditionellen Klein-Familie muss einen dabei nicht traurig machen. Unsere Gesellschaft bietet in einem bisher nicht gekannten Ausmaß die Möglichkeit, das eigene Leben individuell zu gestalten. Zudem hat der steigende Wohlstand und die immer höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen dazu geführt, dass Paare nicht aus rein wirtschaftlichen Gründen zusammenbleiben oder bleiben müssen. Diese neuen Freiheiten werden genutzt, das zeigen auch die Zahlen: Lebten 1971 noch 30 Prozent der Männer und 27 Prozent der Frauen in einer Ehe mit Kindern, so gingen diese Anteile bis 2010 um mehr als ein Fünftel zurück. Es ist eben viel normaler geworden, ohne Trauschein zusammenzuleben oder aber auch, sich zu trennen und eine neue Beziehung zu finden. So entstehen neue Familienformen.

Seit 2010 eingetragene Partnerschaft

So schnell sich die Wirklichkeit verändert, so schleppend werden die rechtlichen Rahmenbedingungen an die neuen Gegebenheiten angepasst. Nach vielen Jahren der Diskussion wurde erst 2010 die Möglichkeit der "eingetragenen Partnerschaft" geschaffen. Damit wird es den schätzungsweise fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung, die gleichgeschlechtlich orientiert sind, endlich ermöglicht, ihre Beziehung auch rechtlich absichern zu lassen. Übermäßig fortschrittlich ist das Gesetz jedoch nicht: Weder dürfen Lesben und Schwule eine Ehe eingehen, noch können sich heterosexuelle Paare für eine eingetragene Partnerschaft entscheiden. Die gemeinsame Adoption von Kindern ist auch eingetragenen PartnerInnen weiterhin verwehrt.
Umgekehrt ist die Diskussion über den Anspruch auf Pflegeurlaub für Stiefeltern der erste zögerliche Ansatz, auch den LebenspartnerInnen von Eltern Rechte zu gewähren. Denn obwohl sie häufig mit den Kindern im gleichen Haushalt leben und damit im Alltag gefordert sind, Betreuungsaufgaben zu übernehmen und Zuwendung geben, haben sie bislang keinerlei rechtlichen Ansprüche, die ihnen die Übernahme von Verantwortung erleichtern würden.
Die fehlenden Rechte abseits von Ehe und leiblicher Elternschaft machen vielfältige Probleme, nicht zuletzt an der Schnittstelle zwischen Familie und Beruf. Ist die Vereinbarkeit beider Welten an sich oft schwierig, wird die Aufgabe ohne Ansprüche auf Karenz, Pflegeurlaub, Elternteilzeit, Kinderbetreuungsgeld usw. umso schwieriger. So können Stiefeltern oder gleichgeschlechtliche PartnerInnen auch beim besten Willen ihren Beitrag zur Betreuung nur eingeschränkt leisten, wenn etwa der Betrieb ihnen keine Reduktion der Arbeitszeit gewährt. Einen rechtlichen Anspruch darauf gibt es für sie nämlich nicht. Da ist schon der Alltag nicht einfach, wenn zusätzliche Schwierigkeiten wie eine Krankheit dazukommen, wirds dann wirklich turbulent.

Wo Menschen füreinander da sind

Das müsste nicht so sein. Aber durch die starren Strukturen entspricht das österreichische Familienrecht immer weniger dem gelebten Alltag vieler Familien. Anstatt mündigen Menschen rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zu geben, die ihren Bedürfnissen entsprechen, werden Rechte nur eingeschränkt zugestanden. Dabei könnten viele Probleme gelöst werden, wenn die Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen dem einfachen Grundsatz folgt: Familie ist, wo Menschen füreinander da sind. Wer Verantwortung für andere übernimmt, soll auch Rechte bekommen - egal in welcher Form des Zusammenlebens.
Soll dieser Grundsatz zum Leben erweckt werden, braucht es eine völlig andere Betrachtungsweise des Familienbegriffs. Das könnte etwa so ausschauen: Familie bedeutet, dass Menschen - für eine bestimmte Lebensphase oder auf Dauer, allein oder in einer Gemeinschaft - Verantwortung für andere Menschen übernehmen. Es soll allen ermöglicht werden, diese Verantwortung, vor allem für andere Generationen (Kinder und Ältere), auch tatsächlich zu leben - und zwar unabhängig von Haushalt und Verwandtschaft, der sexuellen Orientierung und Identität, aber auch von sozialer und ethnischer Herkunft.

Familie, die wir meinen

Der rechtliche Rahmen soll es demnach Frauen und Männern ermöglichen, ihre Form von "Familie" so zu definieren, wie es ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht - sei es als Ein-Eltern- oder als neue Form der Groß-Familie oder in ganz anderen Konstellationen. Damit muss auch eine Umgestaltung der sozialen Systeme einhergehen, damit sichergestellt wird, dass die Existenz unabhängig von der gewählten Lebensform abgesichert ist. So sollte etwa der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld auch Personen zustehen, die das Kind betreuen, jedoch nicht leiblich mit ihm verwandt sind. Wird das jetzt schon in der Charta der Menschenrechte verankerte Recht auf Familienleben ernst genommen, wird außerdem kein Weg an einer Umgestaltung des sogenannten "Fremdenrechts" vorbeiführen.
Familienpolitik muss aber auch auf die Übergänge zwischen verschiedenen Konstellationen Rücksicht nehmen. Denn die Übernahme von Verantwortung beinhaltet auch im Falle der Trennung, die für alle Beteiligten bestmöglich zu gestalten. Dazu gehört, dass Kinder auch weiterhin ein Recht auf für sie wichtige Bezugspersonen haben und auch die finanzielle Absicherung aller Familienmitglieder. In diesem Sinne ist Familienpolitik auch die Gestaltung von Veränderungsprozessen, wo auch Unterstützungsangebote wie Mediation gefragt sind.
Will man diesen Zielsetzungen näherkommen, muss sowohl das Familien- als auch das Arbeits- und Sozialrecht völlig neu diskutiert werden. So könnten die bestehenden Rechtsinstitute wie Ehe und eingetragene PartnerInnenschaften zu neuen Formen von "Partnerschafts- und Familienverträgen" weiterentwickelt werden, die allen Menschen unabhängig von der sexuellen Orientierung und Identität offenstehen. Diese bedürfen auch eines neuen Zugangs zu Fragen wie Unterhalt und Obsorge im Falle der Trennung, die auf das Wohlergehen aller Beteiligten und den Schutz der Schwächsten ausgerichtet sind.

Schutz der Schwächsten

Es mag irritieren, sich solche Pakte auch für NachbarInnen oder mehr als zwei erwachsene Menschen vorzustellen, aber bei Licht betrachtet spricht nichts dagegen, das ebenso zuzulassen. Wenn Familie heißt, dass Menschen füreinander da sind, ist es letztlich Sache der daran Beteiligten, für wen und in welcher Form sie Verantwortung übernehmen wollen. Der Schutz der Schwächsten muss da-bei ebenso gewährleistet sein wie individuelle Rechte auf soziale Absicherung und soziale Dienstleistungen, also qualitätsvolle Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtung sowie professionelle Pflege. Diese Dienstleistungen sind gerade für verletzliche Gruppen wie Alleinerziehende unverzichtbar. Echte Freiheit braucht eben auch existenzielle Sicherheit, um wirklich gelebt werden zu können.

Ein neuer Anlauf

Von all dem ist die österreichische Wirklichkeit noch Lichtjahre entfernt, aber das soll kein Hindernis sein, erste Schritte zu tun. Frauenministerin Heinisch-Hosek unternimmt derzeit wieder einen Anlauf für den einen oder anderen Modernisierungsschritt im Familienrecht. Dafür kann man ihr nur viel Erfolg wünschen.

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