topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Billige Tomaten hier -  moderne Sklaverei dort Auch die Wohnsituation ist erschütternd. Zwischen den Gewächshäusern und den Müllhalden tauchen sie plötzlich auf - die Chabolas (dt. Baracken). Aus Holzpaletten, Kartons und alten Plastikfolien entstehen ganze Siedlungen.

Billige Tomaten hier - moderne Sklaverei dort

Schwerpunkt

weltumspannend arbeiten berichtet aus dem Plastikmeer von Almería.

Es ist Sommer. Die Saison für Wintergemüse aus Spanien ist zu Ende. Doch der nächste Winter kommt bestimmt. Tomaten, Gurken, Paprika, Melanzani, Zucchini, Fisolen - was das Herz begehrt. Zu jeder Jahreszeit ist jede Gemüsesorte in unseren Supermärkten zu bekommen. Aber zu welchem Preis?
Zwischen der Sierra Nevada im Norden und der Küste im Süden erstreckt sich auf einer Anbaufläche von insgesamt 40.000 Hekar das Plastikmeer von Almería. Gewächshäuser so weit das Auge reicht. Drei Mio. Tonnen an Treibhausgemüse werden dort jährlich für den europäischen Lebensmittelmarkt produziert. Die Bedingungen für den Anbau von Obst und Gemüse sind gut. Die Temperaturen sinken im Winter kaum unter 20°C. Die Gewächshäuser kommen im Unterschied zu denen in Österreich das ganze Jahr über ohne umweltschädigende Beheizung aus.

Tagesverdienst höchstens 25 Euro

Viele Kleinbauern, die meist nur ein bis zwei Hektar Land bewirtschaften, leben von der Obst- und Gemüseproduktion. Doch reich werden die Bauern in Spanien dabei nicht. Für ein Kilo Tomaten, welches in Österreich für drei Euro verkauft wird, bekommt der bäuerliche Kleinproduzent in Spanien gerade mal zwischen fünf und 35 Cent. "Das rentiert sich nicht mehr für uns", sagt ein Landwirt, den wir zwischen den Gewächshäusern treffen. "Wir Bauern sind die Opfer des Systems." Dass die Bauern den Preisdruck auf die ArbeiterInnen weitergeben, liegt auf der Hand. Viele können, manche wollen ihre ArbeiterInnen nicht nach spanischem LandarbeiterInnenkollektivvertrag bezahlen, welcher 44 Euro für acht Stunden pro Tag vorschreibt. "Wer 25 Euro am Tag verdient, gehört zu den Glücklichen", erzählt uns Spitou Mendy von der LandarbeiterInnengewerkschaft Andalusiens (SOC). Einen Arbeitsvertrag haben die Wenigsten. Viele von ihnen haben keine Papiere und sind dadurch den ArbeitgeberInnen völlig ausgeliefert. Ihre Anzahl allein im Plastikmeer von Almería wird auf 100.000 bis 150.000 geschätzt. Die meisten von ihnen stammen aus Marokko, Senegal, Burkina Faso, Mali. Sie alle drängen auf den Arbeitsmarkt und versuchen Geld in Europa zu verdienen. Im Heimatland gibt es keine Perspektive, politische Konflikte und vor allem keine Arbeit. Die Not und der Hunger sind groß und alle Hoffnung wird auf Arbeit in Europa gesetzt.
Die MigrantInnen haben die spanischen LandarbeiterInnen längst ersetzt. Obwohl Spanien von der Finanz- und Wirtschaftskrise extrem getroffen wurde, eine Gesamtarbeitslosenrate von 21 Prozent und sogar 51 Prozent Jugendarbeitslosigkeit existiert, will kein Spanier unter dem Plastikmeer arbeiten. Grund dafür sind die miesen Arbeitsbedingungen in den Gewächshäusern: extreme Hitze - im Sommer kann es schon 60 Grad unter den Folien haben, Hungerlöhne, Ausbeutung und verbale aber auch sexuelle Übergriffe durch die Arbeitgeber. Auch die Wohnsituation ist erschütternd. Zwischen den Gewächshäusern und den Müllhalden tauchen sie plötzlich auf - die Chabolas (dt. Baracken). Aus Holzpaletten, Kartons und alten Plastikfolien entstehen ganze Siedlungen. Die Einrichtung kommt vom Sperrmüll. Weder Wasser noch Klo. Strom wird illegal abgezweigt. Es stinkt unerträglich.

Illegalität 

Doch die MigrantInnen haben keine andere Wahl. Um nach Europa zu gelangen haben sie mehrere Möglichkeiten. Die meisten dieser Möglichkeiten sind nicht legal. "Ich bin seit zehn Jahren in Spanien", sagt eine marokkanische Arbeiterin. "Für 6.000 Euro habe ich mir damals einen Arbeitsvertrag gekauft. Heute musst du schon 13.000 Euro hinlegen."
Das Ganze hat System. Eine legale Einreise ist nur mit einem gültigen Arbeitsvisum möglich, und das bekommt man nur, wenn man einen Arbeitsvertrag vorweisen kann. Die Männer und Frauen verkaufen ihre Seele an einen Vermittler, der ihnen einen spanischen Arbeitsvertrag besorgt. Dafür werden enorme Schulden im Heimatland gemacht. Dort wartet nun die Familie auf Geld aus Europa, doch unter den geschilderten Bedingungen kann keines nach Hause geschickt werden.
"Die meisten von uns arbeiten vier oder fünf Tage im Monat. Mehr Arbeit gibt es nicht", sagt der 24-jährige Joseph. Sein Schicksal hat uns besonders berührt. Im marokkanischen Tanger hat er sich mit einem Gürtel unter einen Lastwagen gebunden, während der Lkw-Fahrer gerade in einer Tankstelle war. Unbemerkt ist er so nach Spanien gekommen. Andere kommen mit Booten und landen nachts an den Sandstränden Andalusiens. Tagelang auf offenem Meer unterwegs, ohne Wasser und Essen. Viele sterben in den Booten.

Gefangen im Plastikmeer

Gerade genug Geld um sich etwas zu Essen zu kaufen. Die Konkurrenz auf dem ArbeiterInnenstrich ist enorm. Jeden Morgen zwischen drei und sieben Uhr früh dasselbe Schauspiel. Tausende ArbeiterInnen stehen an den Einzugsstraßen nach El Ejido, San Isidro und Almería und bieten ihre Arbeitskraft an. Wer Glück hat, der darf mit und für einen Tag in ein Gewächshaus, um dort für jeden noch so niedrigen Lohn zu arbeiten. Arbeitsvertrag gibts in der Regel keinen.
Um die Sozialabgaben zu sparen, werden Lohnzettel vom Arbeitgeber gefälscht. Für eine Familienzusammenführung muss man aber 320 Euro pro Person und Monat verdienen und regelmäßige Arbeit vorweisen können. Dies wird somit zu einem unmöglichen Vorhaben.

Krank durch Arbeit

Durch Pestizideinsatz in der industriellen Landwirtschaft klagen die ArbeiterInnen über Kopfschmerzen, Hautausschläge und Erbrechen. Manche sterben an den Folgen von Vergiftungen. Abertausende Gewächshäuser stampfen Europas Bedarf an Obst und Gemüse aus dem malträtierten Boden. Bevor hier etwas angebaut werden kann, muss zuerst kräftig desinfiziert werden. Schutzkleidung beim Auftragen der Pestizide, Düngemittel und eine fachgerechte Entsorgung der Gifte kosten Geld und das haben die Bauern nicht. Problematisch ist auch die Bewässerung. 4/5 des Wasserverbrauchs in der Provinz Almería werden durch die landwirtschaftliche Produktion verbraucht.
Sämtliche Produktionskosten sind in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Eine Entwicklung, welche die Kleinbauern in existenzielle Schwierigkeiten bringt. Setzlinge müssen teuer von holländischen Saatgutkonzernen erworben werden. Spritz- und Düngemittel sind auf das Saatgut abgestimmt und ebenfalls teuer. Der Schuldenberg der Landwirte wird immer größer. Das Geld bleibt nicht in der Region. Der einzige Faktor, der nicht teurer geworden ist, ist die menschliche Arbeitskraft.
Kein Geld also, um es nach Hause zu schicken, keine Perspektive in Europa. Doch zurück nach Hause können die Leute nicht. Zu groß ist einerseits die Schande vor der ganzen Familie, würde man sich ein Scheitern eingestehen. "30 Familienmitglieder in meiner Heimat haben ihre ganze Hoffnung auf mich gesetzt und warten auf Geld aus Europa", erzählt Joseph. Es sind auch die unbezahlbaren Schulden, die eine Rückkehr ins Heimatland unmöglich machen.
Die örtlichen Gewerkschaften stehen vor einer großen Herausforderung. "Die ArbeiterInnen haben Angst ihren Job zu verlieren, wenn sie Rat und Unterstützung bei der Gewerkschaft suchen", so Spitou Mendy. Doch auch die großen spanischen Gewerkschaften CCOO und UGT stehen diesen Problemen zum Teil ratlos gegenüber. Illegale können nicht bei Betriebsratswahlen antreten und würden dies oft auch nicht wollen. Die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber AusländerInnen wächst. Mit unserem Besuch wurden die Beziehungen zwischen den großen Gewerkschaften und der autonomen SOC wieder aufgefrischt und eine zukünftige Kooperation eingeleitet.
Für Gewerkschaften muss auf jeden Fall eins klar sein: Jede/r, die/der in Europa arbeitet, muss nach den gleichen sozialen und arbeitsrechtlichen Standards behandelt werden!
 

Internet:
Mehr Infos unter:
www.weltumspannend-arbeiten.at
Schreiben Sie Ihre Meinung  an die Autorin
claudia.schuerz@oegb.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Info&News
Die spanische Landarbeitergewerkschaft SOC (Sindicato de Obreros del Campo) vertritt LandarbeiterInnen in Spanien. In der Region Almería besteht sie fast ausschließlich aus MigrantInnen. Sie ist Anlaufstelle für die (illegal) Beschäftigten und versucht, ihnen durch Musterprozesse zu ihrem Recht zu verhelfen.
Über die Reise entsteht eine Dokumentation - die Filmpräsentation findet am 6. Oktober 2011 in der AK Oberösterreich statt.

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum