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Katharina Klee Katharina Klee, Chefredakteurin

Standpunkt | Vor dem Mahl

Meinung

Ich denke oft an ein Tischgebet aus dem Zen-Buddhismus, über das ich vor ein paar Jahren gestolpert bin: "Ich prüfe, ob ich daran denke, woher dieses Essen gekommen ist und mache mir bewusst, wie es zustande kam.

Ich prüfe für mich weiter, ob ich genug Gutes getan habe, um berechtigt zu sein, diese Speise essen zu dürfen.
Ich bringe meine Gier zum Stillstand und esse nur aus dem Grunde, meinen Hunger zu stillen.
Ich verwende dieses Essen als Medizin, damit mein Körper nicht verdorrt und weiterleben kann. (…)"

Ich prüfe ...

Aber was dieses alte Gebet fordert, ist nicht so einfach. Längst ist es nicht mehr klar ersichtlich, woher das kommt, was wir auf dem Teller, im Glas haben. Dass Bio draufsteht, bedeutet noch lange nicht, dass das Obst und Gemüse nicht um den halben Erdball gereist ist. Unser täglicher Kaffee kommt in jedem Fall von einem anderen Kontinent. Und auch die Geschichte der Schokolade ist eng mit der blutigen Geschichte der Kolonialisierung verbunden. Da will man sich nicht immer Gedanken darüber machen, wie diese Lebensmittel zustande gekommen sind. Denn allein wenn man die Verbreitung von Zucker und Salz historisch betrachtet, stellt man schnell fest, wie viel Leid sie auch über produzierende Länder gebracht haben. Und allzu oft vergesse ich die Menschen, die in der Produktion, auf den Feldern und Meeren, in den Fabriken und Küchen für meinen Genuss arbeiten.
Habe ich genug Gutes getan, wenn ich zu fairen Produkten greife, wenn ich Fleisch aus Tierfabriken meide und nur Eier von frei laufenden Hühnern kaufe, wenn ich im Winter auf Erdbeeren verzichte und Gemüse saisonal am Bio-Bauernmarkt kaufe, wenn ich sonntags nicht einkaufe und Supermärkte meide, die ihr Personal schlecht behandeln? Oder müsste ich nicht viel mehr Gutes tun, um berechtigt zu sein, all das Gute und Feine essen zu dürfen, das ich so genieße? Und ich kann es mir leisten, mir darüber Gedanken zu machen, andere nicht.
Und die Gier: Nur aus dem Grunde zu essen, um den Hunger zu stillen - das kenne ich nicht wirklich. Ich habe mein Leben lang nie Hunger gelitten. Sicher weiß ich, wie sich Hunger anfühlt, und es gab Tage, an denen ich wenig bis nichts gegessen habe; weil ich vergessen habe, aus Diätgründen, aus Fastengründen, aus Faulheit oder im bewussten Verzicht. Doch ich hätte immer essen können. Und ich bin Genussesserin geblieben, ich gebe gerne Geld für gutes Essen und feine Getränke aus. Manchmal werfe ich Brot weg oder ein abgelaufenes Joghurt - und ich bin damit nicht allein. Etwa ein Viertel der von den EU-Haushalten gekauften Speisen und Getränke landen im Müll, oft ori ginalverpackt.

Den Appetit verderben

Das Essen als Medizin zu verwenden ist gar nicht so einfach, wie es sich die  japanischen Zen-Meister vorgestellt haben. Denn Essen hat keinen Beipack zettel. Auch wenn die EU-Lebensmittelkennzeichnung in einer neuen Verordnung leichte Verbesserungen bringen wird, die Lebensmittelindustrie hat mächtige Lobbys. Und so wird es wohl weiter keine Nährwertampel geben, die uns vor der Überdosis Zucker, Fett oder Salz warnt. Die Etiketten allerdings  müssen lesbar gedruckt werden; Analogkäse und Klebefleisch als solche gekennzeichnet.
Das alles kann einem ganz schön den Appetit verderben - und falls das noch nicht ausreicht: Mehr als eine Millarde Menschen hungert derzeit und alle fünf Sekunden stirbt ein Kind unter fünf Jahren. Mahlzeit.

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