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Gut, sauber, fair -  und nur ein bisschen elitär "Bio" und "ab Hof" kauft, wer der Industrialisierung (und der damit einhergehenden ganzjährigen Verfügbarkeit) von Lebensmitteln entkommen will - und das dafür notwendige Geld hat.

Gut, sauber, fair - und nur ein bisschen elitär

Schwerpunkt

Slow Food ist mehr als ein hedonistischer Gourmetzirkel.

Wenn die Maus satt ist, schmeckt das Mehl bitter." Bewusster essen, gesünder essen, nur essen, was man selbst gepflückt oder geschossen hat, nur noch Pflanzen essen, nur noch "ökologisch" essen - dafür konnte sich immer nur entscheiden, wer prinzipiell genug zu essen hatte. Die erste englische Vegetarische Gesellschaft, 1847 in Manchester gegründet, war auch eine Gegenbewegung gegen die größere Leist- und Verfügbarkeit von Fleisch, und eine soziale Abgrenzung der wenigen, die immer schon Fleisch aßen, von denen, die sich auf einmal auch leisten konnten Fleisch zu essen, und sei es auch nur selten.
"Bio" und "ab Hof" kauft, wer der Industrialisierung (und der damit einhergehenden ganzjährigen Verfügbarkeit) von Lebensmitteln entkommen will - und das dafür notwendige Geld hat. Und wer mehr Zeit aufbringen kann, um dort einzukaufen, wo der Topinambur wächst und die Weinbergschnecke ihre Eier ablegt. Dort treffen die Gesunden, die Industrienahrung mit all den Zusatzstoffen meiden wollen, auf die Politischen, denen die faire Bezahlung aller an der Produktion Betei ligten am Herzen liegt - und beide treffen auch auf die Konservativen, die durch neue Rezepte und Produkte ein Stück Heimat in Gefahr wähnen. Auf Slow Food können sie sich alle einigen. Slow Food, so will es die Gründungslegende, entstand, als vor mittlerweile 25 Jahren ein Weltkonzern sich noch ein Stück weiter ausbreiten wollte: Als McDonalds sich mitten im historischen Zentrum Roms niederlassen wollte. ItalienerInnen reagierten mit einem öffentlichen Spaghetti-Essen an der Spanischen Treppe. Direkter Erfolg: Keiner, das Burger-Restaurant auf der Piazza Spagna gibt es noch heute. Indirekter  Erfolg: Slow Food hat mittlerweile mehr als 100.000 Mitglieder in 150 Ländern, natürlich auch in Österreich.

"Wissen, woher die Nahrung kommt"

Slow Food setzt sich der Tendenz zur Standardisierung des Geschmacks entgegen und verteidigt weltweit das Bedürfnis der KonsumentInnen nach mehr Informationen: Wissen, was man isst. "Ich möchte die Geschichte einer Speise kennen. Ich möchte wissen, woher die Nahrung kommt. Ich stelle mir gerne die Hände derer vor, die das, was ich esse, angebaut, verarbeitet und gekocht haben", schrieb Slow-Food-Gründer Carlo Petrini. Durch Informationsarbeit, Verkostungen, Veranstaltungen usw. versucht Slow Food, ein Bewusstsein für Qualität und Geschmack von originalen Produkten zu schaffen.
Slow Food fördert dadurch kleine Betriebe, die bodenständige Gastronomie sowie die Hersteller von regionaltypischen Lebensmitteln. Neben den weltweiten Niederlassungen der Non-Profit-Organisation entstanden auch kommerziell geführte Töchter, die Slow Food mitfinanzieren, etwa durch die Organisation von Events wie Lebensmittelmessen. Auch der Verlag, der Italiens besten Wirtshausführer "Osterie d’Italia" herausgibt, gehört zur Organisation. In den Slow Food Convivien, so heißen die lokalen Niederlassungen, finden sich um 50 Euro Mitgliedsbeitrag im Jahr sicher auch einige derer, die vor 150 Jahren in Manchester der Vegetarischen Vereinigung beigetreten wären. Weil sie gut essen wollen, oder anders gesagt: Weil sie nicht schlecht essen wollen, nicht auf einen Burger gehen  wollen und auch nicht zu einer Nudel -box vom Glutamat-Panasiaten. Aber auch, weil man mit besserem Gewissen schlemmt, wenn man damit auch gleich ein fast ausgestorbenes Gemüse rettet. Ein zusätzlicher Mehrwert, den klassische  Dekadenz mit Champagner und Kavier nicht bieten kann. "Im Leben eines Menschen, der den Genuss und die Qualität sucht, gibt es unvermeidlich hedonistische Komponenten. Aber der Hedonismus ohne jegliches Verantwortungsgefühl ist dumm", sagte dazu Petrini in einem Interview, das auf der Schweizer Slow-Food-Website zu finden ist. Was unter unmenschlichen Bedingungen produziert wurde, kann nicht zu Slow Food passen, das Motto lautet: "Gut, sauber und fair."

Slow-Food-Ursprung Kommunismus

Das verweist auch auf den Ursprung der Slow-Food-Bewegung, die nicht der elitären Spitzengastronomie entstammt, sondern der Hochblüte des italienischen  Kommunismus. Die hatten nämlich 1957 die Arci, die Associazione ricreativa culturale Italiana, Italienische Kultur- und Freizeitvereinigung, als Vorfeldorganisation gegründet, von der im ganzen Land die case del popolo betrieben wurden, die Volkshäuser. Die dienten nicht nur Versammlungen der Arbeiterbewegung, Bildungs- und Diskussionsveranstaltungen der Partei. Hier hatte das Theater von Literaturnobelpreisträger Dario Fo seine Auftritte, und man verfügte oft über gut ausgestattete Bibliotheken - und eben auch gut geführte Küchen. Arci hatte auch Unterorganisationen, darunter Arcigola (Gola heißt soviel wie Gaumen), gegründet in Bra im Piemont, 50 Kilometer südlich von Turin, von Carlo Petrini, der sich zuvor als Food-Journalist für die linke Zeitung il Manifesto und als Betreiber einer illegalen Radiostation einen Namen gemacht hatte.

Terra-Madre-Treffen

In einem weiteren Punkt unterscheidet sich Slow Food von schnöseligen Gourmetzirkeln: Man sieht sich nicht nur als Vereinigung der EsserInnen, sondern der ProduzentInnen, die aus der ganzen Welt zu Terra-Madre-Treffen zusammenkommen. Es geht auch um den Geschmack und die Vielfalt des Essens, mehr aber noch um nachhaltige Produktion. Zum ersten Treffen, 2004 in Turin, kamen 5.000 ErzeugerInnen, zwei Jahre später kamen noch 1.000 KöchInnen hinzu. Vernetzung, um den negativen Auswirkungen der Globalisierung (früher: Kolonialismus) etwas Positives entgegenzusetzen. "Diejenigen in den Vordergrund stellen, die bei der Herstellung von Lebensmitteln die wichtigste Rolle spielen, nämlich die Produzenten, Züchter, Bauern, Nomaden, aber auch die Konsumenten, die mit der gut überlegten Wahl beim Kauf eines Produkts über deren Schicksal entscheiden", sagte Petrini 2008. Außerdem gibt es lokale Terra-Madre-Treffen, zum Beispiel 2009 in Wien. Hier gibt es auch jede Woche auf dem Karmeliter- und dem Kutschkermarkt jeweils einen Slow-Food-Corner, wo ProduzentInnen aus der Umgebung ihre Produkte präsentieren.
So manche Idee von Petrini und seinen AnhängerInnen hat mittlerweile auch die Mainstream-Wirtschaft beeinflusst. Ohne die weltweite Expansion von Slow-Food-Gruppen, -Universitäten, -Messen und -Treffen wäre es wohl nicht so weit gekommen, dass jede österreichische Supermarktkette mittlerweile Bio-Wildkräuter-Töpfchen in ihre Geschäfte stellt und auch die Diskonter mit nachhaltigen Eigenmarken bei den KäuferInnen punkten. Darüber sollte man aber die positiven Veränderungen nicht vergessen, die die industrielle Lebensmittelproduktion einst mit sich gebracht hatten. Da wäre natürlich einmal die billigere Herstellung, die für Leistbarkeit sorgt. Die Industrie hat Teile der Bevölkerung erstmals satt gemacht. Heute muss sie die KonsumentInnen hungrig machen, um ihnen noch mehr verkaufen zu können. Doch auch, wenn Industrieprodukte von den Bio-Aposteln allesamt als ungesund verschrien sind: Die Industrie hat mit ihren Zusatzstoffen auch etwas zur Krankheitsverminderung beigetragen. Nur ein Beispiel nennen Utz Thimm und Karl-Heinz Wellmann in ihrem Buch "Essen ist menschlich": "Die Aussicht auf ein langes Leben hängt eben auch mit Chemikalien zusammen, die Schimmel und andere Schadpilze daran hindern, sich zu vermehren: sei es auf dem Getreidefeld, sei es im Toastbrot." Erst die in Verruf gekommenen Konservierungsmittel unterbanden wirksam die Vermehrung des Grünschimmels im folienverpackten Brot. Magenkrebs wurde als häufigste Krebsart in den Industrieländern abgelöst - weil das Essen weniger krank macht als früher.
Aber Bewegungen wie Slow Food umfassen neben denjenigen, die sich vernünftiger ernähren wollen, immer auch Menschen, die eine Ersatzreligion suchen. Alles da, was man dafür braucht: die Guten (die Bauern), die Bösen (die Industrie) und mit Gründer Petrini gibt es auch eine Art (unfreiwilligen) Messias. Der spanische Schriftsteller Montalban nennt sie eine "gastrosophische Sekte" und lässt seinen Seriendetektiv Pepe Carvalho sagen: "Mir fehlt der Glaube. Im Grunde sind diese Öko-Gastrosophen Anhänger einer Religion. Sie sind Optimisten und haben, auch wenn sie Materialisten sein mögen, die Zukunft als Religion. Sie glauben sich in der Lage, das Chianina-Rind vor der Gleichgültigkeit von Millionen Proteinvertilgern, denen die Herkunft der Proteine egal ist, ja sogar vor den Hamburger-Fabriken von McDonalds zu retten."

Internet:
Mehr Infos zu Slow Food:
www.slowfood.com 
Schreiben Sie Ihre Meinung  an den Autor
florian.kraeftner@oegb.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

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