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Das Web-2.0-Tamagotchi füttern Es gibt Social Networks und Social Media, das soll es geben und das ist auch gut so, solange das uns ermöglicht, unsere Offlinewelt, unsere Lebenswelt besser zu organisieren, zu gestalten und lebbarer zu machen.
Buchtipp

Das Web-2.0-Tamagotchi füttern

Interview

Netzwerk-Experte Harald Katzmair über Netzwerke im Web 2.0 und das Netz der Gewerkschaftsbewegung.

Zur Person
Dr. Harald Katzmair
Geb. 1969, Sozialwissenschafter und Philosoph, ist Gründer und Geschäftsführer der
FAS.research - Understanding Networks GmbH, einem internationalen Analyse- und Beratungsunternehmen im Bereich Executive Networking, Public Affairs, Campaigning, Key-Account-Management und Virales Marketing mit Standorten in Wien und New York.

Seit über 14 Jahren entwickeln Harald Katzmair und sein internationales Team Tools und Strategien für Entscheidungsträger in einer zunehmend komplexen und unter Wettbewerbsdruck stehenden Welt. FAS.research identifiziert mit ihren Mapping-Technologien spielentscheidende Erfolgsfaktoren.

Arbeit&Wirtschaft: "Die Formel der Macht" lautet Ressource x Netzwerke, schreiben Sie in Ihrem gleichnamigen Buch - Netzwerke sind auch Thema der aktuellen A&W. Sie sind Netzwerkspezialist, haben Soziologie und Philosophie studiert, wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

Harald Katzmair: Das hat in meiner Kindheit begonnen. Irgendwann bin ich als Neunjähriger im Bachbett auf einen Eisvogel gestoßen und war dermaßen fasziniert von diesem Vogel, dass ich mir von meinen Eltern ein Vogelbuch schenken ließ, um diesen Vogel zu bestimmen. Das hat dazu geführt, dass ich mich als Kind extrem damit zu beschäftigen begonnen habe. Das war eine andere, eine Nicht-Erwachsenen-Welt. Über die Vögel habe ich mich sehr bald mit ökologischen Fragen beschäftigt; da ist es sehr offenkundig, dass alles mit allem verbunden ist. Dass unsere Welt nur als System beschreibbar, verstehbar, lebbar und veränderbar ist, und dass die Dinge zusammenhängen und auch diese Wertschätzung, was Diversität anbelangt und eine gewisse Sensitivität, dass es da Mitlebewesen gibt und zwar in den unterschiedlichsten Formen, das hat mich schon früh fasziniert. Die Netzwerkanalyse war quasi dann die Entdeckung, dass es eine Möglichkeit gibt, diese Komplexität, die unsere Welt und Systeme im Allgemeinen kennzeichnet, darzustellen, zu verstehen, zu modellieren, kommunizierbar zu machen über Visualisierung. Das war  fast eine logische Entwicklung. Ich bin aber relativ spät darauf gestoßen. Systemtheorie kennt jeder, Kybernetik auch irgendwie, aber die Netzwerkanalyse hat aus vielen, vielen Gründen im deutschsprachigen Raum erst sehr spät Fuß gefasst. Als ich 1997 damit begonnen habe, hat es niemanden in Österreich gegeben, der sich damit beschäftigt hat. Man kann es auch heute noch nicht studieren. Das ändert sich jetzt.

Unser Gehirn ist für viele von uns durch Computer verständlicher geworden. Werden durch Computernetzwerke im Web 2.0 wie Facebook, Xing & Co. auch unsere sozialen Netzwerke für uns interessanter, verstehbarer?

Statt dass wir die sozialen Beziehungen, die uns in den letzten 20 Jahren aufgrund von Veränderungen in unserer Welt  - Stichwort: Neoliberalismus, Ver-Ich-AG-isierung - abhanden gekommen sind, revitalisieren, technisieren wir sie. Es gibt Social Networks und Social Media, das soll es geben und das ist auch gut so, solange das uns ermöglicht, unsere Offlinewelt, unsere Lebenswelt besser zu organisieren, zu gestalten und lebbarer zu machen. Und nicht umgekehrt, dass wir, weil wir auf dieser Welt keinen Ort haben, keine Lebenswelt, die uns erträglich erscheint, zum Avatar werden, zum User, zum "Profil". Ich kann ja nicht mein Heil als "Profil" entdecken und mir davon die Revolution oder sonst was erwarten. Nicht nur, dass das nicht passieren wird, es ist eine extreme Bindung von Energie - das sind die Web-2.0-Tamagotchis, sag ich immer. Jetzt gibt es auch noch Google+, jetzt füttern die Leute so vier, fünf Tamagotchis, damit ihr "Profil" up to date bleibt. Das ist rein energetisch ein Irrsinn.

Und die Wirkung bleibt aus …

Notwendigerweise aus vielen, vielen Gründen. Das ist auch in unserem Buch beschrieben. Weil das Web 2.0 uns nach Ähnlichkeit anordnet und nicht nach Komplementarität, weil das Web 2.0 extreme Transaktionsvolumina produziert, ohne dass eigentlich transagiert wird. Das heißt, es gibt in diesem Netzwerk keine Ressourcen. Und die Menschen vergessen eine einfache Regel: Wenn es etwas gratis gibt, bist meist du selbst das Produkt. In einer nie da gewesenen Form wirst du, wird dein Leben, werden deine Daten zum Produkt. Und man muss jetzt nicht groß moralisieren und das dramatisieren, aber wir verlieren unsere reale Lebenswelt immer mehr, wir dünnen aus, wir ziehen uns zurück, weil die Welt in der wir leben uns extrem verletzt und extrem viele Kränkungen verursacht. Die vielen, die sich zurückziehen, um sich vor Verletzungen zu schützen, gehen dann über diese sozialen Medien in Beziehungen, die "safer" sind, sicherer. Das ist verständlich.

Immerhin hat auch Harald Katzmaier ein Facebook-Profil. Wie die meisten meiner Bekannten und KollegInnen …

In einer Welt, in der sich die Ich-AG permanent zu Markte trägt und einen Wert darstellen muss, ist das ein geniales Medium, natürlich. Aber das hängt auch damit zusammen, dass wir alle glauben, wenn wir da nicht dabei sind, ist es überhaupt vorbei. Das ist ja zum Teil die nackte Angst. Es geht nicht darum, das zu skandalisieren, sondern darum, dass es in die Netzwerkökonomie passt. Mit den Ich-AGs ist das rational handelnde ökonomische Subjekt, von dem jetzt 60, 70 Jahre geschrieben und geredet wurde, endlich hergestellt und technisch realisiert, als Knoten mit einem Profil, in dem es sich darstellt, verkauft und präsentiert, seinen Wert, Selbstwert, seinen Status festlegt - es ist ein Marktmedium. Das ist postfordistische Netzwerkökonomie.

Macht das Web 2.0 Netzwerke wieder bewusster? Früher gab es ja auch Beziehungen über Netzwerke, Vitamin B, da wurde weniger darüber gesprochen.

Früher war es aber auch für 90 Prozent der Menschen nicht notwendig, sich über Märkte und Suchprozesse Arbeit zu suchen. Selbst die Angestellten-Jobs sind heute marktähnlich, die agieren mittlerweile alle wie Selbstständige, weil sie sich nnerhalb der Firma positionieren müssen. Das ist klar, wenn eine Gesellschaft aufbricht und die Menschen mobilisiert werden und Beziehungen in Marktbeziehungen aufgelöst werden, also weg vom Job im Betrieb hin zur Suche nach diesen berühmten Win-win-Konstellationen gibt es immer mehr Leute, für die Beziehungen plötzlich Teil des Suchprozesses am Markt sind. Früher hat keiner suchen müssen, da hat er ja ein Leben lang einen Job gehabt. Beziehungen  hat es immer gegeben und die hat man auch immer gebraucht - nur wir sprechen vom Phänomen des "Networkens".

Was ist überhaupt ein Netzwerk?

Ein Netzwerk ist nichts anderes als all die Interaktionen und Beziehungen, die ich in meinem Leben mit wem auch immer unterhalte. Ein Verein ist genauso ein Netzwerk, wie ein Geheimbund ein Netzwerk ist oder eine ehemalige Schulklasse. Nur haben die Netzwerke unterschiedliche Qualitäten - je nachdem wie viele Ressourcen tatsächlich in dem Netzwerk vorhanden sind, seien es diese ideelen Ressourcen von Werten und Haltungen oder seien es die ökonomischen. Es sind einfach Beziehungen, da gibt es kurzfristige und längerfristige. Man teilt ja gerne in Institutionen, Märkte und Netzwerke - das ist ein Blödsinn: Institutionen und Märkte sind genauso Netzwerke nur mit anderen Eigenschaften.

Der ÖGB war und ist ein Netzwerk?

Die gesamte Gewerkschaftsbewegung ging aus kleinen Netzwerken hervor. Da haben vier, fünf Leute gesagt, so geht das nicht mehr, wir müssen was tun. Ein Netzwerk ist keine Maschine, sondern ein Prozess, viel mehr Verb, mehr Tätigkeit als Substantiv. Netzwerke sind immer ein Drama, da passieren ja Dinge. Weil Netzwerke aus Beziehungen bestehen, sind sie genauso belebt oder unbelebt wie menschliche Beziehungen sind, und manchmal schlafen Beziehungen ein.
Und die Frage ist, wie können die Beziehungen die es gibt und die vielfältigen Beziehungen innerhalb des ÖGB revitalisiert werden. Wie kann dieses Netzwerk sich neu beleben? Absolut jedes Netzwerk hat Zyklen. Es gibt diese Euphorie des Beginns, das Wachstum, Honeymoon. Dann wird das Ganze zur Routine. Irgendwann einmal müssen wir uns fragen, wie stellen wir uns neu auf? Wir müssen uns neu erfinden, sonst gehen wir auseinander. Das ist da genauso.

Da hilft manchmal noch ein gemeinsamer Feind von außen …

Aber nicht auf Dauer. Und wir sind immer wieder auch in unserem Leben aufgerufen, uns zu orientieren, uns zu fragen, was wollen wir wirklich, bedeutet das, was wir vor zehn Jahren gemacht haben für uns heute noch das Gleiche, haben sich unsere Bedürfnisse verändert, hat sich die Welt verändert? Die Welt ist ein Prozess, kein Zustand, die Dinge sind in permanentem Wandel. Und die Beziehungsgefüge sind denselben Zyklen unterworfen. Wir haben ja diese massive Verkürzung von Produktzyklen, Lebenszyklen. Humankapital entwertet sich immer schneller. Es hat sich der Kapitalismus in den vergangenen 20 Jahren massiv verändert. Und man muss einfach sagen, dass die Gewerkschaftsbewegung extreme Schwierigkeiten hat, sich von diesem Paradigma der fordistischen Organisation der Arbeit zu lösen. Bisher hat es einen Betrieb gegeben, die Menschen haben an einem Ort gearbeitet, waren ähnlichen Lebensbedingungen unterworfen - da konnte die Gewerkschaft mit den anderen Sozialpartnern relativ stabil Makroökonomie betreiben.
Diese berühmte Steigerung der Konsumnachfrage, diese berühmte produktivitätsorientierte Entlohnungspolitik - das ist ja alles aufgebrochen. Vor allem der gemeinsame Ort, der Betrieb ist der Gewerkschaft abhanden gekommen. Und selbst, wo es den noch gibt, rotieren die Beschäftigten, es gibt Mutterkonzerne, verschiedene Standorte. Und selbst wenn sie in einem Betrieb arbeiten und nicht als Neue Selbstständige oder als Freiberufler, denken und agieren sie aber mittlerweile so als ob. Die Gewerkschaft -  auch die Sozialdemokratie im Kern - trauert über den Verlust  einer Gesellschaft, in der die Menschen durch die Erfahrung der Arbeit vorgeformt waren. Sie sind auf jemanden getroffen, der aufgrund gleicher Lebenslagen sehr ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Darauf aufzusetzen war viel einfacher.
Die Disparität der Erfahrungen, die zentrifugalen Kräfte, die damit verbunden sind, dieses Fortschreiten der Spezialisierung, dass niemand mehr jemandem erklären kann, was er eigentlich macht; das ist so verschwurbelt und so spezifisch. Und diese Verallgemeinerung von Konkurrenzbeziehungen - und Konkurrenz heißt immer, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Das heißt auch immer, dass es extrem viele Kränkungen und Verletzungen gibt, Verwundungen, die dann sehr spezifische gesellschaftliche Psychopathologien zur Folge haben, unter anderem aber auch, dass sich die Menschen zurückziehen. Ich möchte jetzt nicht den Neoliberalismus dämonisieren. Mit Neoliberalismus meine ich, dass es so viele Oligopole gibt wie noch nie.
Ich denke an die Auflösung bestimmter Regulierungsformen und die damit einhergehende Herausbildung von Oligopolen, an deren Peripherie eine Zulieferökonomie entstanden ist: die ganze Dienstleistungsgesellschaft, die da rein liefert, den vier, fünf großen Firmen, die sich das leisten können und diese Leute, die unter extremen Wettbewerbsbedingungen stehen. In Wahrheit hat die Gewerkschaftsbewegung - und die Sozialdemokratie - auf diese Form von Oligopolbildung und der damit einhergehenden krassen Machtdifferenz zwischen diesen zentralen ökonomischen Playern und der Peripherie  nie eine Antwort gefunden.
Man muss da wirklich vorsichtig sein. Man hat es da mit gesellschaftlichen kulturellen Kräften zu tun, die eine Eigendynamik entwickeln. Wenn man aber in der Defensive ist und versucht, etwas zu schützen und nicht mehr es zu gestalten, verliert man scheibchenweise.

Wie könnte die Zukunft aussehen?

Wenn die Modelle Markt, Staat und Community nicht wirklich taugen, um das Leben für möglichst viele Menschen gut lebbar zu machen, muss man sich fragen, was nun? Wir müssen an diesen Modellen dran bleiben, aber wir können nicht ausschließlich auf den Markt, den Staat oder die Community setzen, sondern wir versuchen, die Probleme, die wir in unserer Gesellschaft haben, durch diese drei unterschiedlichen Formen zu lösen - und das undogmatisch. Es haben sowohl auf den Markt bezogene als auch kommunitaristische oder staatliche Modelle ihre Berechtigung - aber nicht als Monopol. Und dazu würde für mich auch gehören, dass die Zivilgesellschaft als Sozialpartner an den Tisch geholt wird. Das würde auch die Erstarrung lösen. Wir müssen die Probleme, die wir lösen wollen und müssen, diversifizieren. Wir müssen uns hybride Politikformen überlegen. Dabei muss im Zentrum die Gesundheit, die Lebendigkeit, die Entwicklungs- und Lebensfähigkeit einer Gesellschaft - also unser aller Leben - stehen.

Eher optimistisch oder pessimistisch was die Zukunft anlangt?

Realistisch: Ich bin pessimistisch - mit gutem Grund - was dieses System, in dem wir jetzt leben, betrifft. Wir sind in einer Sackgasse. Optimistisch bin ich, weil der Mensch einen extremen Überlebenswillen hat, extrem kreativ ist. Es hat noch nie so viele kluge und gebildete und gescheite Leute gegeben wie jetzt. Es wäre vollkommen absurd zu glauben, dass wir die Potenziale, die wir haben, nicht anders organisieren können. Und realistisch in Hinblick auf die Zeitspanne, die das alles betrifft. Unsere Gesellschaft ist wie ein Patient, bei dem das Fieber noch nicht ausgebrochen ist, obwohl er sich elend krank fühlt. Das wird wohl noch einige Jahre dauern. In denen wird der finanzmarktorientierte Kapitalismus scheitern, es wird auf der Energieseite nicht mehr so weitergehen, die Ressourcen gehen zu Ende, vieles wird verdrängt, irgendwann steht die Wirklichkeit vor der Tür.

Was kann der/die Einzelne tun?

Wir dürfen nie vergessen, dass es neben der Erwerbsarbeit auch die Arbeit am anderen und die Arbeit an sich selbst geben soll. Und wenn die Erwerbsarbeit noch so schrecklich ist, müssen wir sehen, dass wir, was auch immer zu bewältigen ist, das nicht als Ich-AG schaffen werden. Wir müssen den eigenen Narzissmus zähmen. We can’t win the game, we have to change the rules - wir können nicht gewinnen, wir müssen die Regeln ändern.

Wir danken für das Gespräch.

Internet:
Harald Katzmairs Firma F.A.S.
www.fas.at 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at 

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Kommentare
Thomas Kreiml 26.09.2011 13.25 subjek > produkt Abgesehen davon, dass wir auch Produkte sein können, wenn etwas nicht gratis ist, sondern wir für etwas (Güter etc.) zahlen, hier ein Artikel über das Facebook's neues "Timeline", weil der Schlusssatz so gut passt: http://netzpolitik.org/2011/das-neue-facebook-nix-wie-raus-hier/
Also: nicht wie raus in Netz und Alternativen suchen!
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