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Netzwerke gegen "die da oben" Historisches Schild der Tuchmacher-Gesellenherberge im deutschen Neumünster. Die Wandergesellen entwickelten Geheimcodes, um über Gefahren oder gute Aussichten zu informieren.

Netzwerke gegen "die da oben"

Historie

Die Gesellenherbergen waren Stützpunkte für überregionale Streikorganisation und die Verbreitung verbotener revolutionärer Ideen.
Vor etwa 500 Jahren wurde es für Handwerksgesellen Pflicht, einige (zumeist drei) Jahre auf Wanderschaft zu gehen. Es war die Zeit des Frühkapitalismus, der beginnenden modernen Wirtschaft, und man war an qualifizierten Fachkräften mit neuen Erfahrungen interessiert. Gleichzeitig sollte damit ein Problem gelöst werden: Obwohl die Ausbildung im zünftischen Gewerbe noch immer "Meisterlehre" hieß, hatten immer weniger Gesellen die Chance, als selbstständige Meister einen Betrieb zu führen. Die meisten blieben unselbstständig und waren oft von Arbeitslosigkeit betroffen. Im 18. Jahrhundert bezeichnete man sie - als Ausdruck ihres niedrigen Standes und ihrer Rechtlosigkeit  - als "Knechte". Aber das Konzept, durch die Wanderpflicht die Arbeitslosigkeit über Europa zu verteilen und damit "Unruheherde" zu verhindern, ging nicht auf.
Mit Hilfe der wandernden Kollegen bauten die Gesellen ihre Bruderschaften - zunächst in erster Linie Arbeitsvermittlungs- und Sozialeinrichtungen - zu Kampforganisationen für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen aus, die über Landesgrenzen hinweg in einem Solidaritätsnetzwerk verbunden waren. Als wirkungsvollstes Kampfmittel erwies es sich, jene Meister, die die Forderungen ablehnten, unter Arbeitsboykott zu stellen. Eine Versammlung in der Gesellenherberge "schimpfte" feierlich diese Meister. Der Streikbeschluss galt nicht nur für Ortsansässige, sondern für alle Mitglieder der Bruderschaft, wo immer sie herkamen. Er wurde den Kollegen in Form von "Schimpfbriefen", die die Herbergen der Bruderschaft zuverlässig in ganz Europa erreichten, bekannt gemacht. So gut wie niemand wagte es, bei "geschimpften" Meistern als Streikbrecher zu arbeiten. Er wäre ja mit Schande aus der Bruderschaft gejagt worden und hätte seinen sozialen Rückhalt vollständig verloren.
Obwohl die Regierungen fast immer auf der Seite der Meister standen, kam es im Deutschen Reich noch bis etwa zur Zeit der französischen Revolution zu großen - zum Teil erfolgreichen - Streikbewegungen. Im heutigen Österreich, dem direkten Herrschaftsgebiet der Habsburger-Kaiser, hatten die Bruderschaften damals schon durch den absoluten Staat die meisten ihrer Rechte verloren, sie konnten kaum an Widerstand denken. Im 19. Jahrhundert, nach den Kriegen mit dem revolutionären Frankreich und Napoleon, folgten die anderen Staaten im "Deutschen Bund" diesem Beispiel. 1835 sprach der "Deutsche Bund" zunächst ein Wanderverbot für die Schweiz und Frankreich aus, um der Infiltration mit revolutionären demokratischen Ideen einen Riegel vorzuschieben, 1840 folgte dann das vollständige Verbot der Bruderschaften.
Aber im Untergrund bestanden die Netzwerke noch weiter und transportierten die Ideen der ersten sozialistischen Denker. So kamen auch die Ideen des "Bundes der Gerechten", der Keimzelle der sozialdemokratischen ArbeiterInnenbewegung, zuerst von Paris und dann von London erstmals in den deutschsprachigen Raum. Die verbotene Agitationsschrift des Schneidergesellen Wilhelm Weitling vom "Bund der Gerechten" fand so zu ihren Lesern. Sie hatte den Titel "Die Menschheit. Wie Sie ist und wie sie sein sollte".
Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at 
 

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