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Netzbürgerschaft Ziele sind die Schaffung digital-öffentlicher Räume für alle EinwohnerInnen, die Förderung von Online-Journalismus und anderer Nutzungsformen des Internet.
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Netzbürgerschaft

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Wie kommt der öffentliche Raum ins Netz? Von selber nicht. Das zeigen die vielen Projekte für den freien Zugang.

Die Zeit des Staunens über die Potenziale an Freiheit und Möglichkeiten des Internet ist allmählich auch bei jenen, die nicht schon als Kleinkind mit Onkel Fritz in Australien skypten, neuen Einsichten gewichen. Etwa jener, dass auch der Cyberspace per se kein freier Raum ist, in den man beliebig Botschaften verschiedenster Art entsenden kann und umgekehrt.

Kraken fressen Raum und Zeit

"Die anhaltende Professionalisierung und Kommerzialisierung des Internet, der Trend zu 'professionellem‘ Bloggen, das sich durch Werbung oder Spenden finanziert, und Datenkraken wie Facebook, Google und Amazon räumen mit dem Konzept des Internet als großer, freier öffentlicher Raum auf", so Laura Kepplinger und Josef Zehetner in ihrem Beitrag "Öffentlicher Raum im Netz: Blogs, Wikis & Co."1
Fragen um Netzneutralität, Zugang zu freier und offener Software und die Herausforderung, den öffentlichen Raum ins Netz zu bringen, beschäftigen immer mehr Menschen. Was das Internet eigentlich ist, scheint eine Frage des Blickwinkels zu sein. Während es BenutzerInnen eher als Raum wahrnehmen, der allen gehört, sehen AnbieterInnen großer Internet-Dienste vor allem zwei Facetten: erstens die riesige Werbefläche und zweitens eine Struktur, die der Kontrolle unterliegt. Und zwar ausschließlich ihrer. Ähnlich ist der Fall beim Marktführer "Microsoft", wie es der Betriebssystemexperte Richard M. Stallmann, auf der Konferenz Wizards OS 1999 illustrierte. Mit einem Notebook als Bibel und der PC-Magnetplatte als Heiligenschein sagte er: "Ich verkündige euch die Freiheit! Ihr sollt kein anderes Betriebssystem auf eurem Laptop haben neben meinem!"

Eigentumsfrage 

Gerne kehrten die VerfechterInnen freier Netze zurück zu den Anfängen, um den öffentlichen Internetraum auch in Zukunft zu sichern. Protokolle und andere Grundlagentechnologien des Internet-Vorläufers wurden dazumals von der WissenschafterInnengemeinschaft veröffentlicht. Tim Berners-Lee, der das WWW-Protokoll und die Auszeichnungssprache HTML am europäischen Forschungszentrum CERN entwickelt hatte, erklärte sie ausdrücklich für gemeinfrei. Er setzt sich seither gegen alle Versuche einer Privatisierung im Rahmen des World-Wide-Web-Consortiums ein.  Als eines der großen politischen Manifeste des 20. Jahrhunderts wird von Fachleuten die von Richard Stallmann geschriebene urheberrechtliche Lizenz (GPL) bezeichnet. Als das deutsche Telekom-Unternehmen AT&T 1984 den Monopolstatus verlor, vermarktete es das Betriebssystem Unix, dessen Bestandteile weltweit von den WissenschafterInnen beigesteuert worden waren. Stallmann baute Unix nach, um es zur freien Entwicklung zu erhalten. Um dies auch rechtlich abzusichern, schrieb er die "General Public Licence", deren letzte von vier Freiheiten aus einer Bedingung besteht: "Die Freiheit, deiner Gemeinschaft zu helfen, i.e. die Freiheit, veränderte Versionen zu veröffentlichen und zu verbreiten (...) vorausgesetzt, dass du deine Veränderung unter denselben Bedingungen freigibst."

Shared Space

ProgrammiererInnen, die sich der freien Software-Gemeinschaft anschließen, verzichten weitgehend auf Urheberrechte. "Das unscheinbare Instrument einer Lizenzvereinbarung, die auf rechtssichere Weise das Copyright in ein Copyleft verkehrt", schreibt der Medienforscher Volker Grassmuck in seinem Aufsatz "Die Welt als Shared Space"2, "erzeugt eine Wissensallmende, und das mitten im Kernbereich der weiterhin kapitalistisch verfassten Informationsgesellschaft, der Software-Industrie." Mittlerweile wurden die Software-spezifischen Bedingungen über "Creative Commons"-Projekte auf Inhalte jeder Art übertragen (creativecommons.org). Freilizenzen schaffen einen Wissensraum, der kooperativ weiterentwickelt werden kann. Heute sei das Netz Infrastruktur und ökonomisch-organisatorische Grundlage für das Funktionieren einer Volkswirtschaft, meint der Finanzwirt Uwe Hochmuth im Aufsatz "Demokratisches und Ökonomisches Potenzial des Web 2.0". Das werfe die Frage nach gesellschaftlicher Aufsicht und Bereitstellung als öffentliches Gut auf.

Public Space Server

Der öffentliche Raum im Cyberspace ist bis dato ziemlich rar, meinen die BetreiberInnen des Projekts "Public Space Server", das 2009 in Linz gestartet wurde. Alle LinzerInnen haben dadurch Anspruch auf ein Gigabyte Webspace zur freien Verwendung und ohne Volumensbeschränkung beim Datenverkehr. Ziele sind die Schaffung digital-öffentlicher Räume für alle EinwohnerInnen, die Förderung von Online-Journalismus und anderer Nutzungsformen des Internet (pssinfo.public1.linz.at). Unter dem Titel "Open-Commons-Region Linz", (erstellt von der Johannes-Kepler-Universität Linz in Kooperation mit dem städtischen IT-Dienstleister), wurde im Juli 2010 eine Studie mit Vorschlägen für den freien Zugang zu Daten und Wissen im Netz präsentiert. Das offene Archiv "Lentiana", eine Open-Commons-Messe und ein geplanter Lehrstuhl für Open-Commons-Forschung im Rahmen eines Studiums der Webwissenschaften sind nur drei der zahlreichen Projekte, die aus der Studie abgeleitet und - wie der Open Public Server - zum Teil bereits umgesetzt sind. Ein Problem spricht Mitinitiator Gregor Kratochwill an, nämlich dass sich physischer "öffentlicher Raum" eben nicht 1:1 in die virtuelle Welt übersetzen lässt. Elegant hat die Stadt Linz das Problem gelöst, Datenmissbrauch vorzubeugen. Die Daten liegen auf einem eigenen Server, den die Stadt Linz bei einem externen Provider angemietet hat. "Das ist gerade im Fall Wikileaks eine politische Lösung", meint Kratochwill. "Wir können mit den gesamten Daten jederzeit problemlos migrieren und haben als 'Stadt‘ ein anderes Gewicht als individuelle Privatkunden/-innen." 2006 hatte das US-Magazin Times "die Gemeinschaft der Internetnutzer" zur Person des Jahres erklärt. Begründung: "Dafür, dass Sie die Zügel der globalen Medien übernommen, die neue digitale Demokratie begründet haben, für umsonst arbeiten und die Profis in ihrem eigenen Spiel schlagen." Unter der Spiegelfolie am Titelblatt war zu lesen: "You. Yes, you: You control the Information Age".
"Ich? Du? Und was ist mit den anderen?", fragt der Soziologe und Medienforscher Oliver Grassmuck. Mit der Web-2.0-Floskel "User Generated Content" skandalisiere die Industrie, dass Menschen ohne besonderen Ausweis ihrer Befähigung etwas "generieren" und in ein Territorium einbrechen, das die Medienkonzerne für sich reklamieren. "Durch das Netz versucht eine bislang vollkommen unterdrückte Klasse, die Masse selbst, die Nutzer oder Konsumenten nennen, am politischen Leben teilzuhaben, indem sie über das hinausgehen, was wir repräsentative Demokratie nennen", meint der Medienexperte Peter Weibel über die enormen Veränderungen durch digitale Medien. Tatsächlich bringt das Netz Öffentlichkeit hin, wo sonst keine ist. Schon 2006 schätzte Julian Paine, Mitarbeiter der Organisation "Reporter ohne Grenzen", die Blogs als "die neuen Vorboten freier Meinungsäußerung ein. In Mexiko etwa, wo seit 2006 über 30 JournalistInnen getötet wurden und ebenso viele vermisst werden, berichtet "el blog del narco" anonym über den Drogenkrieg. Er ist einer der unzähligen "Gegenöffentlichkeiten" weltweit, mit der sich "Media-Blackouts", Regionen über die nicht berichtet wird, Gehör verschaffen können. Das Internet ist durch Blogs, Wikis und soziale Netzwerke zu einer Plattform für Öffentlichkeit abseits medialer Konzentration geworden. Würden wir das Netz als öffentlichen Raum betrachten, meinen das junge Autorenduo Kepplinger und Zehetner, wären wir alle NetzbürgerInnen mit Rechten und Pflichten. Das bedeute aber auch, dass moderne Demokratien ihren Anspruch zur Gestaltung öffentlicher Räume auch auf das Internet auszudehnen hätten.

Internet:
Handbuch kommunale Netzpolitik download:
tinyurl.com/4yqhgkv

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an die Autorin
gabriele.mueller@utanet.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 
 

1 Freiheit vor Ort: Handbuch kommunale Netzpolitik" Open Source  Press, 2011, 266 Seiten, EUR 25,60, ISBN 3-941841-35-1; Download: www.freienetze.at/pdfs/Freiheit-vor-Ort-E-BOOK.pdf 
2 Vanessa Diemand, Uwe Hochmuth, Christina Lindner "Ich, Wir und die Anderen: Neue Medien zwischen demokratischen und ökonomischen Potenzialen II"

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