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Endlich offline Bei Online-Netzwerken bringen "Gefällt mir"-Buttons, Lol-Lacher, Weiterempfehlungen etc. rasche Bestätigung, denn irgendwer aus dem virtuellen Freundeskreis ist immer online.
Buchtipp

Endlich offline

Schwerpunkt

Schalten Sie nach dem Aufwachen sofort den Computer ein? Checken Sie Ihre Mails ständig per Handy? Vielleicht sollten Sie versuchen, eine Zeit lang auszusteigen ...

Vor mir liegen drei Wochen Kur  wegen berufsbedingter Nacken-, Schulter- und Handgelenksproblemen. Am Abend des ersten Tages bin ich erleichtert, auch PatientInnen diesseits des Pensionsantrittsalters zu sehen. Am zweiten Tag erfahre ich, dass "Internetnutzung für Kurgäste nicht vorgesehen ist", kein W-LAN, kein PC in der Lobby, nichts. Glücklich jene, die in weiser Voraussicht einen USB-Stick eingepackt haben. Wir anderen schmieden alternative Einstiegspläne für die kommenden Wochen. Überraschenderweise habe ich das Internet dann kaum vermisst. Zurück in meinem Home-Office dauerte es eine Weile, bis ich meine alten Online-Gewohnheiten wieder aufnahm.
Einen freiwilligen Selbstversuch dieser Art schildert der Journalist Christoph Koch in seinem 2010 erschienenen Buch "Ich bin dann mal offline", in dem er witzig und selbstkritisch von seinem Monat ohne Internet und Handy erzählt. Zusätzlich bietet das Buch jede Menge Infos zum Thema Internet und Social Media. Koch - normalerweise rund um die Uhr online - hatte anfangs Probleme durch seine Abstinenz, hat aber seinen Selbstversuch freiwillig auf 40 Tage verlängert.

Multitasking als Pflicht

Die Geschwindigkeit, mit der technische Neuerungen uns allen zugänglich sind, nimmt ständig zu, Veränderungen erfolgen immer rascher: Das Radio hat fast vierzig Jahre gebraucht, bis es 50 Mio. genutzt haben, Facebook verzeichnete nach nur neun Monaten 100 Mio. UserInnen (derzeit in Österreich: 2,6 Mio., davon 2,3 Mio. zwischen 14 und 49). Multitasking lautet das Gebot der Stunde - beim Telefonieren werden Mails gelesen oder geschrieben, beim Warten an der Supermarkt-Kasse zwei Twitter-Meldungen abgeschickt. Eine Studie der Universität Stanford ergab, dass Menschen, die ständig mehrere Dinge gleichzeitig tun, bald nur noch schwer Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden können. Die Fähigkeit, sich auf eine Sache konzentrieren zu können, sinkt. Auch Christoph Koch stellte fest, dass er sich nach einiger Zeit der Internet-Abstinenz wesentlich besser konzentrieren konnte, dass er ein größeres Arbeitspensum bewältigte, obwohl er das Gefühl hatte, mehr Freizeit zu haben als davor.

Filtern im Informationsfluss

Wer täglich mehrere Stunden im Internet surft, riskiert, dass Informationen lediglich durch ihn hindurchfließen. Denn Wissen entsteht erst, wenn Informationen verarbeitet und verankert werden können. Andererseits: Heute muss sich kaum jemand Informationen mühsam erarbeiten, meist geht es eher darum, aus einer Flut von Informationen das wirkliche Relevante herauszufiltern.
Social-Media-Plattformen wie Xing, Facebook & Co. sorgen für Veränderungen. Wer eine Veranstaltung besuchen will, kann erst im Netz nachschauen, wer schon zugesagt hat - und sich dann dafür oder dagegen entscheiden. Durch den laufenden virtuellen Kontakt in Form von Blogs, Twitter- und Statusmeldungen hat man ein Gefühl von Vertrautheit auch gegenüber Menschen, die man schon lange nicht mehr gesehen hat: A. war kürzlich auf einem Tenniscamp, B. ist soeben übersiedelt und Freizeit-Fotografin C. lädt zur Ausstellungseröffnung. Oft bleibt es aber beim Virtuellen, Unverbindlichen: Wer etwa einen Lokaltipp sucht, der wird vielleicht rasch Antwort bekommen. Braucht man konkrete, persönliche Hilfs- oder Dienstleistungen, muss man deutlich länger warten oder doch zum Telefon greifen. Im Allgemeinen bestehen Online-Beziehungen nur dann langfristig, wenn auch persönlicher Kontakt in irgendeiner Form dazukommt - und sei es nur per Telefon.
Schon beim einfachen Googlen schüttet unser Körper Glückshormone aus, angesichts der Erwartung von Neuem und dem Erfolg des Suchens. Bei Online-Netzwerken bringen "Gefällt mir"-Buttons, Lol-Lacher, Weiterempfehlungen etc. rasche Bestätigung, denn irgendwer aus dem virtuellen Freundeskreis ist immer online. Es entsteht ein Gefühl der Beliebtheit, oft wird mehr an Freundschaft und Verständnis hineininterpretiert als tatsächlich vorhanden.
Waren vor einigen Jahren noch hauptsächlich männliche Jugendliche durch Online-Rollenspiele betroffen, so haben heute die (älteren, auch weiblichen) Social-Media-UserInnen ebenfalls Probleme: "Soziale Kontakte finden mehr und mehr online statt und immer weniger in der Realität", so der Psychiater Dr. Hubert Poppe. Internet-Abhängigkeit äußert sich ganz ähnlich wie andere Süchte: Kontrollverlust (man vergisst auf die Zeit und auf Verabredungen), negative Konsequenzen in Beruf, Schule oder Partnerschaft, Entzugserscheinungen (Unruhe, Schlafstörungen etc.), Lügen und Heimlichkeiten in Zusammenhang mit dem Suchtmittel. Bestehen diese Symptome mehrere Monate, ist fachkundige Hilfe erforderlich.
Christoph Koch hatte anfangs auch Probleme mit der Internet-Abstinenz, sie reichten von Phantomvibrieren in der Hosentasche über Kopfschmerzen bis zur permanenten Angst etwas zu verpassen: "Zu behaupten ich würde mich nackt fühlen, wäre eine charmante Untertreibung. Während ich da sitze und auf meine Pizza warte, wird mir klar, was ein ganz entscheidender Faktor zumindest meiner Sucht nach Erreichbarkeit und Verbundensein mit den Netzwerken dieser Welt ist: die Angst etwas zu verpassen. Das Gefühl, die Welt könne sich nicht ohne das eigene Zutun weiter drehen - und die noch viel größere Angst, sie könne es eben doch!"

Tipps für Online-Junkies

Koch hat nach seiner 40-tägigen-Online-Fastenzeit einiges an seinen Internet-Gewohnheiten verändert, seine Empfehlung:
Definieren Sie fixe Offline-Zeiten, idealerweise auch einmal 24 Stunden hindurch. Das inkludiert, dass Sie Ihre Erlebnisse erst am darauffolgenden Tag posten.
Erledigen Sie wichtige Dinge möglichst noch bevor Sie den Computer einschalten.
Es spart Zeit, E-Mails nicht sofort zu lesen, sondern nur zu bestimmten Zeiten abzurufen. Lassen Sie sich von roten Rufzeichen u. Ä. nicht übermäßig stressen, diese sind Zeichen von mangelhaftem Zeitmanagements der AbsenderInnen und keine zwingenden Handlungsanweisungen für Sie.
Sie müssen nicht ständig erreichbar sein, definieren Sie fixe Kernarbeitszeiten, auch wenn Sie zu hause arbeiten. Psychologen der Portland State University haben in Interviews mit mehr als 400 Berufstätigen festgestellt, dass all jene, die Blackberry, Laptop & Co. auch zu hause verwenden, viel schlechter abschalten können als jene, die Beruf und Freizeit streng trennen.
Fast alle finden es nervig, wenn sie mitbekommen, dass ihr Gesprächspartner während eines Telefonates Mails checkt oder ähnliches - und trotzdem tun die meisten genau das. Wenn es nicht um Dinge geht, die den Inhalt des Telefonats betreffen, ist es meist zeitsparender und nervenschonender, sich auf das Gespräch zu konzentrieren.

Vom Rückenschmerz bis Thrombose

Wer täglich stundenlang am Computer sitzt, könnte seine Gesundheit gefährden: Ähnlich wie bei Langstreckenflügen kann stundenlanges Sitzen fatale Konsequenzen haben. So meldeten vor einiger Zeit die Medien, dass ein 32-jähriger Mann nach 18 Stunden am Computer an einer Thrombose gestorben war. Aber auch Haltungsschäden und Probleme durch die tausendfach wiederholten kleinen Bewegungen beim Scrollen oder Klicken mit der Maus sowie beim SMS-Tippen können entstehen. Symptome wie Verspannungen im Rücken-, Schulter- und Nackenbereich, Schmerzen im Arm, den Fingern etc. werden anfangs oft ignoriert und können so chronisch werden. Aber vielleicht sorgen hier in Zukunft  die Touchscreens von iPhone & Co. für Erleichterung.

Internet:
Mehr Infos unter:
www.onlinesucht.at 
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afadler@aon.at 
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