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"Die Mitte ist breit" Ich glaube fest, jeder Mensch kann sich jeden Tag entschließen, nicht rassistisch zu sein. Aber ich hatte auf diesem Weg sehr viel Unterstützung und Möglichkeiten. Viele haben das nicht, sie werden jeden Tag darin bestätigt Rassist zu sein.

"Die Mitte ist breit"

Interview

Sozialanthropologin Christa Markom forscht zu Rassismus in Österreich. Jetzt untersucht sie diskriminierende Formulierungen in Schulbüchern.

Zur Person

Christa Markom
Geboren in Amstetten 1976
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig-Boltzmann-Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit
Studium der Sozialanthropologie, Doktorarbeit mit dem Titel "Anti/Rassismus als Gruppenphänomen. Eine sozialanthropologische Analyse sozialer Netzwerke in Österreich"
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sparkling-Science-Projekt "Migrationen im Schulbuch" am Ludwig-Boltzmann-Institut für Europäische Geschichte und Öffentlichkeit www.migrationen-im-schulbuch.at 
Lektorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie. www.univie.ac.at/ksa 
Trainerin (Anti-Rassismus, Sprache & Diskriminierung, Gender & Diversity) homepage.univie.ac.at/christa.markom 
Forschungsschwerpunkte:
Migrationsforschung,  Rassismustheorie, Sprache und Diskriminierung, Schulbuchforschung, Feministische Theorie

Arbeit&Wirtschaft: Christa Markom, Sie befassen sich als Sozialanthropologin sehr intensiv mit Rassismus in Österreich - so haben Sie auch Schulbücher nach diskriminierenden Inhalten durchforscht. Ihre Doktorarbeit untersucht Anti/Rassismus als Gruppenphänomen. Rassismus ist rechts - alles was rechts ist, ist das Thema der aktuellen A&W. Wieso haben Sie angefangen sich mit Rassismus zu beschäftigen? 

Christa Markom: Ich komme aus dem ländlichen Bereich und bin innerhalb von Österreich mehrfach übersiedelt.  Ich will das jetzt nicht mit einer grenzübergreifenden Migration vergleichen, aber ich habe selbst erlebt, wie es ist "die Zuagroaste" zu sein, einen Weg zu suchen. Ich habe das als Kind und Jugendliche immer sehr in Frage gestellt und habe Wien sehr idealisiert. Bin dann nach Wien gegangen und habe festgestellt, dass fremd-sein viele Menschen betrifft. Und dann habe ich mich mehr und mehr dafür interessiert, wie das funktioniert, was die Strukturen dahinter sind. Ich habe sehr schnell bemerkt, dass es da nicht um Einzelpersonen geht, sondern um gesellschaftliche Strukturen. Es geht auch um die soziale Praxis der einzelnen Personen, aber sehr stark um Wechselwirkungen zwischen Ideologie, Strukturen und Praxis. Die Ideologie kann man im Kopf haben, muss sie nicht leben. Viele wissen gar nicht, dass sie rassistische Ideologien im Kopf haben. Die Strukturen sind lange etabliert in Österreich und noch lange nicht weg aus den Institutionen. Die Entscheidung rassistisch zu handeln - sei es eine Sprachhandlung oder ein Übergriff - ist wieder eine andere Geschichte. Diese Übergriffe werden häufig im Bereich des Rechtsradikalismus thematisiert und erforscht. Das finde ich spannend, aber mich hat viel mehr interessiert, was ist mit der Mitte der Gesellschaft, mit den ganz normalen Leuten, also Stammtisch, Sportverein, aber auch Menschen, die in NGOs arbeiten.
Ich war in vielen NGOs und habe dort immer wieder Irritationen bemerkt. Auch wenn die Leute eine ganz klassisch antirassistische Position einnehmen, kommen immer wieder Rassismen durch. Das hat mich interessiert.

Und was haben Sie herausgefunden?

In Österreich gibt es stark einen kulturellen Rassismus, wie der neue Rassismus definiert wird. Der hat - so denken manche WissenschafterInnen - den biologischen Rassismus, bei dem Haarfarben, Hautfarben negative Eigenschaften zugeschrieben werden, abgelöst. Ich habe aber herausgefunden, dass das "Rasse"-Konzept schon noch sehr stark verankert ist. Ganz viele Menschen, vor allem außerhalb von Wien, wo sich das sogenannte politisch korrekte Sprechen nicht durchgesetzt hat, sagen: "Wie? Neger soll ich nicht sagen?"
Da ist noch immer ein starker Biologismus da, der auch in den Schulen verankert ist. Wir machen jetzt eine Analyse von Schulbüchern: "Migrationen im Schulbuch" Ich habe mit meiner Kollegin Heidi Weinhäupl vor fünf Jahren "Die Anderen im Schulbuch" geschrieben. Da haben wir jede Menge Sexismen, Rassismen und Antisemitismen entdeckt.

Wie haben Sie das für Ihre Dissertation untersucht?

Als Sozialanthropologin führe ich nicht nur ein Interview, sondern beobachte über einen längeren Zeitraum, mit informellen Gesprächen, Einzelgesprächen, Gruppengesprächen, nehme am Leben der Leute teil. Ich habe zwischen 2005 und 2009 drei unterschiedliche Gruppen - Beziehungsnetze - untersucht.
Das waren Personen, die mit anderen Personen - beruflich, freundschaftlich, sexuell - enge Beziehungen hatten. Ich hatte immer eine Ausgangsperson, deren engstes Umfeld ich mir angesehen habe. Die Ausgangspersonen haben sich sehr unverblümt über Rassismus geäußert. Den Ersten habe ich in einem Wiener Lokal getroffen, wo er laut rassistisches Zeugs gegrölt hat. Sein Umfeld war ein Sportverein. Die Zweite war Kellnerin in einer Bar, da waren viele Gäste im Umfeld. Die dritte Gruppe waren Leute, die sich aus einer zivilgesellschaftlichen NGO kennen, die sich als antirassistisch definieren. Alle drei Gruppen wussten, was ich mache. Ich habe also nicht verdeckt ermittelt.

Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus vier Jahren Beobachtung?

Ich habe bemerkt, dass es bei allen drei Gruppen ganz ähnliche Strategien gibt, über "das Fremde" zu sprechen. Die dritte Gruppe versuchte "politisch korrekter" zu sein, aber auch hier gab es diese Konstruktion von wir und die anderen. In keiner Gruppe, keiner Konstruktion habe ich irgendwie die Idee erkannt, dass wir eine Gesellschaft sind, die vielfältig ist. Dieses hoch gelobte Konzept der Diversität ist einfach in unserer Gesellschaft, in den Köpfen der Menschen noch nicht angekommen. Manche in der NGO-Gruppe sahen es zwar als Ideal, wissen aber nicht, wie wir dorthin kommen könnten. Wenn man sich anschaut wie lange es Migration schon gibt, ist es traurig, dass wir noch immer nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen.
Und in all den Jahren hat sich nicht viel geändert?

Doch, es werden neue Phänomene herangezogen, wie Terrorismus etwa. Was interessant ist, diese Leute leben z. B. im 16. Bezirk und finden einerseits den Yppenplatz mit Multikulti-Atmosphäre cool, aber wollen nicht in einer Substandardwohnung leben.
Was auch noch spannend ist - und das ist auch eine Qualität der Sozialanthropologie - die Menschen machen im Einzelinterview komplett andere Aussagen als in der Gruppe.

In allen drei Gruppen?

Ja, bei den als rassistisch wahrgenommenen Gruppen war es so, dass sie in Einzelgesprächen durchaus differenziert waren. In der Gruppe hat sich aber immer der Rassismus stärker durchgesetzt; also das Aquirieren von sozialer Anerkennung durch das laute Aussprechen.
In Österreich könnte man derzeit nichts Schlimmeres tun, als den Leuten Sprachverbote aufzuerlegen. Meinungsfreiheit und Political Correctness sind die Hauptproblematiken im Kontext mit Rassismus. Wenn sich dann eine/r in der Gruppe zu sagen traut, "dass das ein Witz ist mit den Türken, mit den Afrikanern usw." wird das anerkannt: "Die oder der traut sich wenigstens zu sagen, wie es ist."
Und das ist auch der Grund, warum diese Strategie so gut funktioniert und Antirassismusarbeit am Individuum nicht so viel bringt. Die Gruppen ticken anders. Da könnte und müsste man ansetzen, bei diesen Beziehungsgeflechten.
Es war sehr spannend, dass häufig Menschen aus den Gruppen in Einzelgesprächen zu mir gekommen sind und gefragt haben, wie könnte man das denn anders denken. Es gibt durchaus auch das Bedürfnis, sich das anders zu überlegen. Nicht alle fühlen sich auch wohl mit dieser feindseligen Haltung.
Sogar diejenigen, die mit ganz extremen Rassismen dahergekommen sind, haben unter vier Augen gemeint: "Ich kenne da schon den einen oder die andere. Das kann doch nicht so stimmen, überall hört man das aber immer." Also sie hatten durchaus Zweifel.

Unter den RassistInnen waren also auch starke ZweiflerInnen? Wie weit spielen hier politische Ideologien eine Rolle? Wie weit sind sich die Menschen bewusst, dass sie rechts denken, rechts sind?

In allen Fällen war es den Menschen wichtig, rechts und Rassismus zu differenzieren. Und das finde ich auch wichtig. Wenn ich Rassismus definiere, als Zuschreibung von negativen Eigenschaften aufgrund von Hautfarbe, Kultur, Religion u. a., dann ist das eine Ideologie, die Einzelne im Kopf haben.
In Wien wurde bewusster gesprochen: "Ich bin kein Rassist, aber …" oder "Ich bin ein Rassist und kann dir sagen, warum …" Die haben aber betont, dass sie nicht rechts sind, schon gar nicht rechtsradikal, auch politisch nicht rechts; einige von denen haben gesagt, sie gehen nicht wählen, weil sie sich nicht vertreten fühlen. Die haben sich vor allem geärgert, dass man das alles nicht sagen darf, dass man nicht offen reden darf, dass man von allen Seiten mit Irritationen bombardiert wird, wie Zwangsverheiratung, Terrorismus, es aber nicht diskutieren darf. Das hat die Leute so geärgert, dass ein noch stärkerer Rassismus entstanden ist.
Das ist ein verhängnisvoller Kreislauf. Die Forderungen nach Political Correctness und die Veränderung von Sprache, wie sie in der Gesellschaft meiner Ansicht nach normal ist, gehen für manche einfach zu schnell. Ich habe meine Einstellung zu diesen Menschen geändert.

Inwiefern?

Wen man die Leute länger kennt, merkt man, dass es nicht nur RassistInnen sind, sondern dass das Menschen sind, die auf den unterschiedlichen Ebenen Opfer und TäterInnen zugleich sind. Das stört mich an den meisten Rassismusforschungen. Man vergisst, dass das Personen, Subjekte sind, Menschen, die auf den unterschiedlichen Ebenen agieren.
Eine 20-Jährige, die drei negative Erfahrungen mit türkischen Jugendlichen gemacht hat, äußert sich sehr rassistisch. Das verurteile ich natürlich, weil sie extrem reduziert auf die sogenannten Fremden. Auf der anderen Seite erkenne ich auch an, dass sie Opfer einer sexuellen Diskriminierung, eines sexuellen Übergriffs ist. Ich sehe die Menschen mit der Zeit, mit ihrer Lebensgeschichte und ihren Erfahrungen - das legitimiert Rassismus nicht, erklärt aber vieles. Und es macht auch deutlich, dass diese Menschen zugänglich sind für andere Ideen und Vorstellungen. Das ist das Spannende an der Mitte der Gesellschaft.
Es ist leicht, sich hinzustellen und zu sagen: "Ich bin Anti-Rassist!" - aber das durchzuargumentieren hat keiner geschafft. Nach fünf Stunden im Wirts-haus bringen diese Leute dieselben Argumente - "Diese Nigerianer haben wirklich nichts verloren vor unseren Schulen …" - in einer Verallgemeinerung, als würde vor jeder Schule ein Nigerianer stehen. Da kommen die Türkei und die Menschenrechte zur Sprache. Es fallen auch genau die gleichen Stammtischparolen in Bezug auf Frauen. Und dann, obwohl diese Leute sich bewusst sind, dass es unterschiedlichste Motivationen gibt ein Kopftuch zu tragen, schimpfen sie los.
Damit habe ich eigentlich nicht gerechnet. Das habe ich erst am Schluss bei der Analyse erkannt.

Wie kann man es besser machen, wenn man nicht rassistisch sein will? Was sagt man statt Neger?

Ich mache relativ viele Workshops zum Thema "Political Correctness", von Volksschulen angefangen bis zur Erwachsenenbildung. Diese Sprachpolitik, dieses Nachvollziehen, warum sich etwas verändert, dazu muss man die gesamte Geschichte des Begriffs erzählen - dann verstehen es auch die ärgsten Rassisten. Dieses Wissen wird nicht weitergegeben - es heißt nur: Das darfst du nicht sagen. Ich habe es so erlebt, dass am Land eher nachgefragt wird: "Warum nicht?" Viele argumentieren: "Ich sehe nicht ein, dass ich, wenn ich einen Begriff verwende, gleich als Ganzes rassistisch bin."

Oft fehlen andere Worte.

Ja, aber muss ich immer dazu sagen, welche Hautfarbe jemand hat. Wenn mich ein Kerl in der U-Bahn belästigt, muss ich dann dazu sagen, was für eine Hautfarbe der hat? Würde ich auch sagen, das war ein Weißer? Es ist ein schwieriges Thema. Da muss man ständig weiter daran arbeiten.

Hat Sprache die Macht zur Veränderung?

Sprache hat viel Macht und bietet die Möglichkeit, Dinge zu erklären. Neologismen, also Wortneuschöpfungen aber auch Wortbeschönigungen bringen viel, wenn sie erklärt werden. Ohne Erklärung kann das Gegenteil passieren und Sprache destruktiv wirken. Daher würde es sehr dringend in die Ausbildung von Kindergartenpädagogen/-innen und Lehrenden hineingehören - ich erlebe aber in meinen Workshops gerade von dieser Seite enorme Widerstände. Schwieriger sind nur noch JournalistInnen. Dort wäre es wichtig anzusetzen.

Was ist Ihr Anliegen?

Rassismus ist absolute Selbsterhöhung, die mit Macht verbunden ist - die eigene Gesellschaft wird nicht hinterfragt, der Blick auf die anderen nach unten - hier liegt auch ein Unterschied zum Antisemitismus. Den Juden wurde ja Macht zugetraut.
Es wird im Moment viel zu wenig auf die Mehrheit geschaut, auf die Mitte der Gesellschaft, wie die auf Migration schaut. Auf die ganz normalen Menschen, die nicht die Zeit haben, sich über diese Fragen den ganzen Tag den Kopf zu zerbrechen. Denen müsste man fair gegenübertreten, um zu sehen, was sind die Haltungen, wo kommen sie her, wo werden sie reproduziert und wo kann man ansetzen. Die Mitte ist breiter als ich am Beginn meiner Forschung dachte. Ich glaube, der Blick der Mehrheit auf die Minderheiten ist essenziell. Man kann nicht nur den Rechtsruck beklagen. Das zementiert nur Grenzziehungen, die ohnehin schon da sind. Rassisten oder Nichtrassisten? Ich glaube, da werden die vergessen, die eine zu Recht angespannte Situation erleben, in  der sie nicht wissen, wie sie agieren oder denken sollen. Sie  werden von allen Richtungen bombardiert mit Informationen, die sie verarbeiten sollen. Ich glaube fest, jeder Mensch kann sich jeden Tag entschließen, nicht rassistisch zu sein. Aber ich hatte auf diesem Weg sehr viel Unterstützung und Möglichkeiten. Viele haben das nicht, sie werden jeden Tag darin bestätigt Rassist zu sein.

Wir danken für das Gespräch.

Das Interview führte Katharina Klee für Arbeit&Wirtschaft.

Internet:
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www.migrationen-im-schulbuch.at 
Kontakt zu Christa Markom als Anti-Rassismus-Trainerin:
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