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Griechenland: Rettungsschirme als Krieg gegen das Volk? Derzeit richten sich die legitimen Proteste der BürgerInnen gegen ihre eigenen Herrscher, die fügsame Marionetten der Märkte sind. Werden sie ihre Wut morgen gegen die Europäische Union richten?

Griechenland: Rettungsschirme als Krieg gegen das Volk?

Wirtschaft&Arbeitsmarkt

Von der autoritären Wende in Europa, ihren Ursachen und ihren Folgen.

In Windeseile ändern sich derzeit dramatisch die politischen Rahmenbedingungen in der EU. Beispiel Griechenland: Zunächst  nahm der griechische Premier Papandreou zähneknirschend neue demütigende Auflagen für ein weiteres "Rettungspaket" hin, dann schlug er - weil er wusste, dass dieses nie Akzeptanz finden würde - eine Volksabstimmung über das Verhandlungsergebnis vor. Das offizielle Europa reagiert mit Entsetzen und Panik, die Börsen mit Kursstürzen. Einige Tage später wurde er gezwungen, die Volksabstimmung abzusagen und in Konsequenz davon auch zurückzutreten. In Windeseile wurde ein Notenbanker gefunden, das Land aus der Krise zu führen. Vorübergehend zumindest. Beinahe zeitgleich dazu passierte das Gleiche in Rom. Zwar ist die Figur Berlusconi in keiner Weise vergleichbar mit Papandreou, der neue Premierminister Mario Monti ist aber genau so wenig politisch legitimiert wie sein neuer Amtskollege Papademos. Zufrieden reagieren "die Märkte". Zumindest vorerst. Einer "Expertenregierung" traut man doch viel mehr zu, als einer durch das Volk gewählten Parteienregierung.

Massive Entdemokratisierung

Vor unseren Augen spielt sich in den vergangenen Jahren in Europa eine massive Entdemokratisierung und damit ein eklatanter Rechtsruck ab, eingeleitet und ausgeführt von den etablierten (Volks-)Parteien links und rechts der Mitte, die dem Diktat des Marktes folgten, ihm die nötige Freiheit verschafften, und jetzt - nach der Selbstentsorgung der Politik - wie der Zauberlehrling auf das Unwesen starren, das sie losgeschickt haben.  Der "Fall Griechenland" (im doppelten Sinne) veranschaulicht dies par excellence.

Massive Rezession

Nach zwei "Rettungsschirmen" und vor einem "freiwilligen Haircut" sieht es im Land wie folgt aus: Die Rezession der griechischen Wirtschaft wird heuer laut Prognosen fünf bis sieben Prozent betragen, und dies nach der gewaltigen Rezession von 4,5 Prozent im Jahr 2010. Insgesamt ist die griechische Wirtschaft seit 2008 um etwa 13 Prozent geschrumpft. Im Durchschnitt betragen die Einkommensverluste griechischer ArbeitnehmerInnen bis dato rund drei Monatslöhne, die Pensionen werden um 20 bis 35 Prozent gekürzt.
Die Arbeitslosenrate liegt bei 17 Prozent, das sind über 800.000 Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit nähert sich der 50-Prozent-Marke an. Zu den offiziellen Zahlen kommt mittlerweile eine große Anzahl an ehemals selbstständigen KleinunternehmerInnen, die ihr Geschäft schließen mussten, aber keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben. Trotz zum Teil massiver Anhebung der Mehrwertsteuer gehen die Steuereinnahmen zurück, und der Schuldenstand steigt unaufhörlich. "Die Arbeits- und Lebensbedingungen werden an die der sogenannten Dritten Welt herangeführt", sagte der Wirtschaftsexperte des griechischen Gewerkschaftsinstitutes INE_GSEE Christos Triantafillou beim Forum Jägermayrhof im September in Linz. Denn neben den unmittelbaren finanziellen Einbußen wird hier die immer geforderte "Strukturreform" beinhart durchgezogen. Im Bereich der ArbeitnehmerInnen- und Gewerkschaftsrechte heißt das, dass z.B. im Bereich des öffentlichen Sektors nicht nur das 13. und 14. Monatsgehalt mehr oder weniger abgeschafft und Beamte einfach entlassen werden, sondern dass auch Tarifverträge im Bereich des öffentlichen Verkehrs einfach abgeschafft werden und die Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden auf 40 Stunden erhöht wird. In der Privatwirtschaft werden unter anderem die Löhne für drei Jahre eingefroren, das System der Tarifverhandlungen ausgeschaltet und es besteht die Möglichkeit von Tarifverträgen unter dem vereinbarten nationalen Mindestlohn.

Ausverkauf von Staatseigentum

Dazu kommt der erzwungene Ausverkauf von Staatseigentum. Von Energie- und Wasserversorgung über Flughäfen, Häfen, Eisenbahnen bis hin zu Glücksspiel und Inseln steht alles auf der Verkaufsliste. Große internationale Konzerne und chinesische Investoren sind seit geraumer Zeit als Schnäppchenjäger unterwegs. Eine "Rettung" sind diese Maßnahmen ja nun wohl nicht. Denn nichts von den offiziell angegebenen Zielen (Abbau des Staatsdefizits, Rückzahlung der Schulden, Wirtschaftswachstum) wird dadurch erreicht. Im Gegenteil: die Wirtschaft schrumpft, die Ratings werden schlechter, die Situation immer auswegloser. Fazit: Diese Politik ist ökonomisch dumm, sozialpolitisch verheerend und demokratiepolitisch äußerst gefährlich.

Die PIGS und die "Hausaufgaben"

Die Maßnahmen gegen Griechenland - aber auch gegen alle anderen PIGS (so nennt man in "Fachkreisen" nicht ohne Genuss die Staaten Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) - dienen als Labor für Sozialabbau in ganz Europa. Diese sogenannten "Hausaufgaben" werden über kurz oder lang von uns allen verlangt werden. Frankreich, Belgien, und Österreich sind ja auch bereits "unter Beobachtung der Märkte". Deshalb wird nun unter der politischen Führung Deutschlands von einer Elite an einer neuen Wirtschaftsregierung gebastelt, und der (gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und der Grünen) beschlossene "Six-Pack" ist die erste der "Aufgaben", die in Zukunft für uns alle angedacht werden.
Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung war einer der Träume von Jacques Delors und Forderung von Gewerkschaften, SozialdemokratInnen und Linken in Europa. Ihr Ziel war eine soziale Union. Jetzt wird sie in ihr Gegenteil verkehrt: Sie propagiert eine radikale Spar- und Lohnsenkungspolitik, die die bisher schon für den Euroraum schädlichen Leitlinien und monetaristischen Dogmen durch Recht versteinert und letztlich genau zu jenen Resultaten führen wird, die sie angeblich verhindern will. Dass daneben Ratingagenturen und "die Märkte" weiterhin ihr Unwesen treiben, stört Merkel, Ackermann und Co. nicht. Das Ergebnis wird eine verarmte europäische Gesellschaft zum Wohle der Banken, Konzerne und der internationalen Spekulation sein. Derzeit richten sich die legitimen Proteste der BürgerInnen gegen ihre eigenen Herrscher, die fügsame Marionetten der Märkte sind. Werden sie ihre Wut morgen gegen die Europäische Union richten?
Die Diskreditierung und Demontage der Demokratie ist wahrscheinlich die schlimmste aller Folgen der aktuellen Politik in Europa. Die Menschen in den Krisenländern fühlen sich enttäuscht, von der Politik im Stich gelassen, ja verraten. In Griechenland wurde nach Jahren einer korrupten Regierungsepoche mit großer Mehrheit eine sozialistische Regierung gewählt, die mit dem Schlamassel aufräumen wollte. Privatisierungspläne wurden rückgängig gemacht, die Finanzlage des Staates durchforstet, die Menschen fassten wieder Vertrauen in die Politik.
Dann kamen die weltweit aktiven Spekulanten auf die Idee, nach den USA Europa abzugrasen. Griechenland bot sich da als erstes an, und mit der nötigen Stimmungsmache von den "faulen PIGS" lieferten sie es als erstes Schwein dem Schlachtmesser aus. Und jetzt muss diese junge Regierung Schritt für Schritt ausführen, was der IWF, die Hardliner der EU und die dahinter liegenden Kapitalinteressen verlangen. Die politische und wirtschaftliche Elite vollzieht unter dem Vorwand, Europa zu retten, einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Sie hat sich zu einem Regieren gegen die Mehrheit der Bevölkerung entschieden. Das Ganze nennt sich nicht von ungefähr "Austeritätspolitik". Auch dieser Ausdruck kommt aus Griechenland und bezeichnet unter anderem jene Herrscher, die ihr Land streng - mit eiserner Faust - regieren.

Schlittern in die Gesellschaftskrise

Von der Finanz- über die Wirtschaftskrise schlittern wir immer mehr in eine Gesellschaftskrise. Viele leben noch immer in der Welt des wohlfahrtsstaatlichen Europas des vorigen Jahrhunderts und glauben, diese sei grundsätzlich gesichert, man habe nur ein bisschen übertrieben. In Wahrheit stehen wir vor einem neuen, jedoch sehr kalten, von enormer wirtschaftlicher Dummheit geprägten, sozial und politisch immer mehr verarmenden Europa. Vor einem undemokratischen, autoritären, politisch äußerst rechtem Austerity-Europa. Ein Meister der Verdrängung, wer es nicht wahrhaben will.

Internet:
Podcast - Vortrag von Christos Triantafillou
tinyurl.com/cz6vbe4
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