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Neue Märkte für alte Ideen Tatort Wien-Opernpassage: In einer Geschäftsauslage wird eine Taschenbuchausgabe von Hitlers "Mein Kampf" angeboten. Nach Protesten verschwindet das Buch zwar. Wenig später findet sich aber eine gebundene Version von Hitlers Werk im Schaufenster.
Buchtipp

Neue Märkte für alte Ideen

Schwerpunkt

Mit rechtsextremer Musik, Kleidung, Propagandamaterial und fragwürdigen Antiquitäten werden Millionen Euro verdient.

Tatort Wien-Opernpassage: In einer Geschäftsauslage wird eine Taschenbuchausgabe von Hitlers "Mein Kampf" angeboten. Nach Protesten verschwindet das Buch zwar. Wenig später findet sich aber eine gebundene Version von Hitlers Werk im Schaufenster. Ein handgeschriebener Zettel preist das Buch sogar "mit Widmung" des Autors für 150 Euro an. Willi Mernyi, Vorsitzender des "Mauthausen-Komitee Österreich" (MKÖ), sieht in der Aktion des Geschäftsinhabers Harald Mayer eine gezielte Provokation. Der Fall wurde daher zur Anzeige gebracht. Szenenwechsel: Ausgerechnet im oberösterreichischen Braunau, dem Geburtsort von Adolf Hitler, befindet sich einer der zwei österreichischen Thor-Steinar-Läden. Diese rechte Bekleidungsmarke gilt mit ihren Aufdrucken und Symbolen als wichtiges Erkennungsmerkmal im einschlägigen Milieu. Robert Eiter, Sprecher des Oberösterreichischen Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus, beschreibt den Laden als wichtigen Bezugspunkt für die rechte Szene in seinem Bundesland.

Entwicklungen am rechten Markt

Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DOEW) analysiert vor dem Hintergrund derartiger Erscheinungen das Geschehen am rechten Markt differenziert: "(Neo-)Nazistica und sonstige 'rechte Ware‘ werden vor allem über neonazistische Internet-Versandfirmen vertrieben. Das Angebot richtet sich vor allem an Jugendliche und umfasst Musik, Modeaccessoires, (historische) Publikationen, Fahnen, Abzeichen und Videos. Neben dem Versandwesen gibt es noch Flohmärkte, Geschäfte und Buchhandlungen, wo Einschlägiges - oft unter dem Ladentisch und in der Regel aus Profitstreben - zum Verkauf angeboten wird." Da sich vieles im Graubereich abspielt erscheint die Einschätzung der Marktentwicklung zwar nicht einfach, auf der Hand zu liegen scheint eine Verlagerung und Professionalisierung - analog zu allgemeinen Entwicklungen in der (jugendlichen) rechtsextremen Szene. Mernyi vom MKÖ dazu: "Wie groß der Markt genau ist, können wir natürlich nicht abschätzen. Aber was klar ist, es gibt diesen Markt und er wird jedes Jahr professioneller, die Marken auch 'cooler‘. Sie bedienen sich nicht des rechtsextremen/Skinhead-Schlägerimages, sondern coole Hochqualitätsrechtsextremistenkleidung hat dieses ersetzt." Ganz ähnlich schätzt auch Andreas Peham diese Situation ein: "Zum Umfang bzw. Volumen verkaufter 'rechter Ware‘ in Österreich liegen keine konkreten Zahlen vor. Es ist aber davon auszugehen, dass gerade bei einschlägigen Angeboten aus den Bereichen Musik und Mode über die gefestigte neonazistische Szene hinaus eine größere Anzahl von (vor allem männlichen) Jugendlichen angesprochen wird."
Dass die Ausbreitung und Veränderung des rechten Marktes im Kontext einer zuweilen bedrohlichen Entwicklung stattfindet, betont auch Robert Eiter. Die Anzahl rechtsextremer Vorfälle sei schließlich ebenfalls in den letzten fünf Jahren drastisch angestiegen: "Unserer Wahrnehmung nach ist Oberösterreich hier leider eine Hochburg." Einige Städte wie Wels oder Ried und nun auch Braunau stellen seit vielen Jahren Brennpunkte von Szeneaktivitäten dar. Auch die geografische Nähe zu Gruppen und Aktivitäten aus Deutschland dürfte hier eine Rolle spielen. Für diese deutsche Szene konstatiert das "Netz-gegen-Nazis.de" jedenfalls, dass "geschäftstüchtige Neonazis" inzwischen Millionenbeträge durch den Verkauf von rechtsextremer Musik, Kleidung und Propaganda-Material verdienen. (Allein für Thor Steinar kursieren bereits ältere Zahlen mit Jahresumsätzen zwischen 1,2 und 1,8 Mio. Euro.) Als zentrales Problem für Oberösterreich sieht Eiter jedenfalls, dass es von politischer Seite oft wenig Sensibilität für derartige Fragen gäbe. Insbesondere der Landespolitik fehle es aktuell (auch) in der Causa "rechter Handel" an einer Gegenstrategie.

Gegenstrategie 1: Sensibilisierung

Harald Mayer, der Verkäufer von "Mein Kampf" in der Wiener Opernpassage, rechtfertigt sein Handeln in der Öffentlichkeit nicht untypisch: Die Leute würden derartiges eben "gern" kaufen. Die Ablehnung dieser Art der "Gewerbefreiheit" nehmen Organisationen wie das MKÖ als eine ihrer zentralen Verantwortungen wahr. Das Repertoire der Gegenmaßnahmen reicht hier im Regelfall vom freundlichen Gespräch über die Öffentlichmachung bis zur - wie in Mayers Fall - Anzeige. Vielfach war man mit dieser Sensibilisierungsarbeit bereits erfolgreich. Andreas Peham beschreibt hier grundsätzlich auch eine zentrale Funktion von Gewerkschaften: "Da der Rechtsextremismus im Kern die konformistische und legitimierende Verarbeitung von sozialer Ungleichheit darstellt und gleichzeitig in sozialdemagogischer Manier von sich behauptet, die Interessen der (inländischen) unselbstständig Beschäftigten ("kleinen Leute") zu vertreten, sind die Gewerkschaften gefordert - nicht zuletzt aufgrund der antisozialen und antigewerkschaftlichen Agenda der extremen Rechten. In der gewerkschaftlichen (Bildungs-)Arbeit sollte dem verstärkt Rechnung getragen werden." Martin Müller, Betriebsratsvorsitzender des Vereins Wiener Jugendzentren, stimmt dem in seinem eigenen gewerkschaftlichen Verständnis nicht nur grundsätzlich zu. Er weist darüber hinaus auch noch auf einen weiteren interessanten Aspekt im praktischen Umgang mit rechten Markenartikeln hin: "Jugendliche sind für derartiges Gedankengut umso empfänglicher, je weniger Chancen sie in der Gesellschaft finden. Es ist wichtig, die Symbole und Codes zu kennen und zu erkennen, um entsprechend reagieren zu können. Das beschränkt sich nicht nur auf Nazi-Symbolik. Es gibt auch Rechtsradikale mit kroatischem, türkischem oder serbischem Hintergrund. Nationalismus und Rassismus ist keine Frage der Herkunft."

Gegenstrategie 2: Mobilisierung

Im Umgang mit Phänomenen wie den Thor-Steinar-Läden handelt es sich in der Regel um eine direkte Konfrontation mit einer gut organisierten Szene. Dieser Konflikt besitzt somit eine andere Dimension als die Auseinandersetzung mit einigen Flohmarktstandlern und Antiquitätenhändlern, die sich (ebenfalls) auf die Gewerbefreiheit berufen. Konkret hat seit der Existenz des rechten Ladens in Braunau die rechte Szene immer wieder dazu aufgerufen, gegen die örtlichen AntifaschistInnen mit Gewalt vorzugehen. Angesichts solcher Gefahren beinhaltet die antifaschistische Konfliktkultur in vielen europäischen Staaten daher schon längst selbst das Mittel der aktiven Blockade rechtsextremer Aktivitäten. 2010 ließ sich mit Wolfgang Thierse sogar ein deutscher Parlamentsvizepräsident im Rahmen einer solchen Protestform von der Exekutive abtransportieren. Dass im Zentrum solcher antifaschistischer Aktivitäten auch der Kampf gegen die Versuche der rechtsextremen Szene steht, ihre Designerläden strategisch zu positionieren, zeigt ebenfalls ein Blick über die Grenze. Immer wieder wurde weniger als 200 km von Braunau entfernt zur Blockade eines entsprechenden Shops in Nürnberg aufgerufen. Vonseiten der Gewerkschaft ver.di wird in diesem Zusammenhang zumindest von der zeitweiligen Schließung des Ladens berichtet. Auch in Braunau hat die Eröffnung des Thor-Steinar-Ladens zu einer breiten Welle der Gegenmobilisierung geführt. Das hier sehr aktive Bündnis "Braunau gegen rechts" umfasst zahlreiche Personen und Gruppen, gerade auch aus dem gewerkschaftlichen Bereich. Wie breit die Ablehnung gegenüber dem Laden in Braunau ist, zeigen nicht zuletzt die Versuche der Stadtpolitik, die Hauseigentümerin bei der vorzeitigen Beendigung des Mitverhältnisses mit dem Pächter Thoralf Meinl zu unterstützen. Allerdings: Diese Ansätze blieben ebenso erfolglos wie - im Gegensatz zu vergleichbaren Fällen in Deutschland - der Gang vor das Gericht. Im November 2009 wurde sogar ein zweiter Thor-Steinar-Laden in Schwaz/Tirol eröffnet. Zivilcourage und aktive Protestformen könnten also auch hier (weiter) gefragt sein.

Internet:
Link zum Buch des MKÖ:
www.rechtsextrem.at 
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aw@oegb.at 

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