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Sozialpartner: Vom Konsens zum Konflikt zur Normalität Während die Gewerkschaft eine Abgeltung für das sehr gute vorige Jahr argumentierte, warnten die Unternehmen vor der aufziehenden konjunkturellen Schlechtwetterlage.

Sozialpartner: Vom Konsens zum Konflikt zur Normalität

Aus AK und Gewerkschaften

Eine ökonomische Analyse der Metaller-KV-Verhandlungen.

Die diesjährige Lohnverhandlungsrunde in der Metallindustrie für ca. 165.000 Beschäftigte hat in der medialen Öffentlichkeit zu einer teilweisen Neubeurteilung der österreichischen Sozialpartnerschaft geführt. Die offenbar relativ rasch nach Verhandlungsbeginn getroffene Streikentscheidung der Gewerkschaft sorgte für eine Diskussion über das mögliche Ende eines bislang konfliktarmen Zusammenwirkens von Gewerkschaftsbund und Wirtschaftskammer. Hintergrund dieser Ereignisse ist ein komplexes Gemenge aus ökonomischer Realität und politökonomischer Inszenierung.

Bilaterales Monopol

Die Struktur von Kollektivvertragsverhandlungen entspricht der Theorie der Verhandlung nach einem sogenannten bilateralen Monopol: Keine der beiden Seiten hat einen alternativen Verhandlungs- und Vertragspartner, man ist also aufeinander angewiesen. Die Aufteilung der Verhandlungsmacht auf die beiden Akteursgruppen ist gemäß makroökonomischen Arbeitsmarktmodellen über die Arbeitslosenquote zunächst einmal realwirtschaftlich fundiert.
Darüber hinaus spielen aber politökonomische Zusammenhänge eine wichtige Rolle. Trotz diametraler Interessenunterschiede bei der Frage nach der Verteilung der Ressourcen (Geld, Zeit und Verfügungsmacht) sind die Verhandlungsstrategien durchaus ähnlich: Wer schafft es besser, die eigenen Interessen als im Sinne des Gemeinwohls darzustellen? Dabei argumentieren die Unternehmen angebotsseitig (preisliche Wettbewerbsfähigkeit halten oder erhöhen) und die ArbeitnehmerInnen nachfrageseitig (Kaufkraft halten oder erhöhen). Beide Argumente sind zusammen richtig und isoliert jeweils falsch. Trotzdem liegt die Lösung auch nicht einfach in der Mitte, sondern ist dynamischen Veränderungen unterworfen.
Die zunehmende Offenheit der österreichischen Volkswirtschaft infolge des Europäischen Binnenmarktes sowie der Ostöffnung verschob den Kompromiss zugunsten der Unternehmen. Diese können nunmehr niedrigen Löhnen und daraus folgender mangelnder Inlandsnachfrage mittels steigenden Exporten begegnen und hohen Löhnen mit Produktions- oder gar Betriebsverlagerung antworten. Entsprechende Exit-Optionen fehlen auf ArbeitnehmerInnenseite, vor allem bei den Niedrigqualifizierten.
Während die grundsätzlichen Parameter der Verhandlung, vergangene und zukünftig zu erwartende Inflationsrate sowie Produktivitätsfortschritt des vergangenen Jahres, einigermaßen klar sind, schafft vor allem die Tatsache, dass die verhandelten Löhne in der Zukunft, d. h. unter potenziell sehr divergenten ökonomischen Umfeldbedingungen bezahlt werden müssen, Probleme. Das wurde bei den Verhandlungen deutlich: Während die Gewerkschaft eine Abgeltung für das sehr gute vorige Jahr argumentierte, warnten die Unternehmen vor der aufziehenden konjunkturellen Schlechtwetterlage. So hat diese möglicherweise drastische konjunkturelle Trendumkehr zusammen mit der generell höchst unsicheren und krisenhaften Lage in Europa die Verhandlungen signifikant erschwert. Hinzu kommt, dass das Verhandlungsergebnis selbst Einfluss auf die Größe des zu verteilenden Kuchens nimmt, weil die festgelegten Preise in Form von Lohnsätzen auf die am Arbeitsmarkt gehandelten Mengen in Form von Arbeitsstunden einwirken. Kommt es etwa aufgrund eines sich im Nachhinein als zu hoch herausstellenden Abschlusses zur Pleite von Unternehmen, reduziert sich der Kuchendurchmesser. Auch wurde in der aktuellen Diskussion angeführt, dass Streiks über darauf folgende Investitionszurückhaltung der Unternehmen ebenfalls negativ auf die Kuchengröße einwirken könnten.

Kampforganisation Gewerkschaft

Die Lohnverhandlungen der Metaller haben damit in mehrerlei Hinsicht "Normalität" signalisiert: Erstens sind die Gewerkschaften letztlich Kampforganisation; ihre strategische Ressource und Geschäftsbasis ist die Institution des Streiks. Diese wurde durch jüngst ergangene Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Streikrecht entscheidend gestärkt. Dass der Streik gerade in härteren Zeiten auch zum Einsatz kommt, sollte niemanden überraschen. Es ist ja auch keineswegs so, dass die Unternehmensseite ohne Druck- und Drohgebärden auskommen muss, im Gegenteil: Die Drohung der Abwanderung und Verlagerung einzelner Produktionsschritte (Outsourcing) ist durch größere Güter- und Kapitalmobilität glaubwürdiger geworden und wird von Arbeitgeberseite strategisch ausgenutzt, um ökonomische Renten zu den eigenen Gunsten zu verteilen. Diese Verlagerungsdrohung hat das Instrument der Aussperrung von ArbeitnehmerInnen als traditionelles Pendant zum Streik auf Unternehmensseite weitgehend abgelöst und gehört mittlerweile zur alltäglichen Lobbying-Maschinerie der Unternehmerschaft. Tatsächlich wurden dadurch viele Flexibilisierungsvorhaben und Lohnzurückhaltungsforderungen erfolgreich durchgesetzt. Freilich wirkt das Instrument der Verlagerungsdrohung etwas eleganter als der Streik und kann zudem mit Sachzwängen hervorragend argumentiert werden. Wer kennt schon tatsächlich die Kostenrechnungen der Unternehmen, um die Plausibilität der Argumente zu überprüfen?
Zweitens hat sich auch gezeigt, dass Kapital und Arbeit in Verteilungsfragen nach wie vor diametral unterschiedliche Interessenlagen haben. Auch das sollte ja eigentlich nicht wirklich verwundern. Im Gegenteil, sorgt doch der Standortwettbewerb für neue akzentuierte Ungleichheiten und wachsenden Druck auf Unternehmen und ArbeitnehmerInnen.
Drittens hat das zeitliche Aufeinandertreffen eines konjunkturell sehr guten Jahres, auf das möglicherweise ein deutlich unterdurchschnittliches Jahr folgen wird, zusammen mit stark erhöhter, globaler makroökonomischer Unsicherheit zusätzliche Komplexität für die verhandelnden Akteure verursacht.
Viertens ist zu berücksichtigen, dass Verhandlungen zwischen stets gleichen Vertragspartnern Verrechnungen über die Zeit hinweg ermöglichen. Die hervorragenden Exportleistungen der heimischen Industrie sind nämlich auch das Ergebnis einer Politik der Lohnzurückhaltung relativ zu den Handelspartnern. Durch die Nichtweitergabe von Produktivitätsgewinnen in den vergangenen Jahren wurden die relativen Lohnstückkosten der heimischen Industrie immer konkurrenzfähiger: Im Durchschnitt der Jahre 2005-2010 nahmen diese Kosten in Österreich nur um 0,5 Prozent pro Jahr zu, beim Exportweltmeister Deutschland um 1,6 Prozent. Diese Phase der lohnpolitischen Austerität und der damit verbundenen Außenhandelsgewinne sollte nach Ansicht der Gewerkschaft nunmehr auch an die ArbeitnehmerInnen weitergegeben werden. Fakt ist weiterhin, dass diese Lohnpolitik ohnehin nur deswegen funktioniert, weil nicht alle Staaten gleichzeitig eine solche Strategie verfolgen, sondern eben ihre Löhne entsprechend der Produktivitätsentwicklung -oder noch höher, was auch nicht gut ist (siehe Griechenland) - anpassen. Insofern legt auch die ökonomische Vernunft im Sinne einer Re-Balancierung europäischer Leistungsbilanzen ein Umdenken nahe.
Last but not least sorgt die ständige Lohnzurückhaltung auch für fragwürdige Innovationsanreize, weil anstatt neuen und besseren Produkten und Produktionsmethoden billigere Arbeitskräfte eingesetzt werden können. Anstatt durch lohnkostengetriebene Exporterfolge sollte Österreich vor allem mittels innovativer Produkte und Produktionsverfahren auf den Weltmärkten reüssieren. So könnte der Weg zum Innovation-Leader, Ziel der Bundesregierung bis 2020, schwieriger werden.

Neue Konflikte sind zu erwarten

Zusammengenommen bleibt daher eigentlich wenig Überraschendes unter der Sonne. Neue Konflikte sind vor diesem Hintergrund gleichsam zu erwarten. Dass diese aber nach wie vor auf signifikant geringerem Eskalationsniveau als in den meisten anderen Staaten ablaufen, bestätigt nur die hohe Kompetenz der Sozialpartner, auch komplexe Aushandlungsprozesse tendenziell in eine Win-win-Situation umzuwandeln.

Internet:
Aktionsseite zum Streik
www.streik.at 
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aw@oegb.at 

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