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Schule im Wandel? Wie wandeln? Wohin wandeln? Ein Drittel der SchülerInnen sind nach neun Jahren Schulpflicht RisikoschülerInnen, kann nicht sinnzusammenhängend lesen, nicht ausreichend rechnen und steht in grundlegenden Fragen etwa bei den Naturwissenschaften "auf der Seife".

Schule im Wandel? Wie wandeln? Wohin wandeln?

Gesellschaftspolitik

Unser Schulsystem braucht dringend Reformen.

Unterrichtsministerin Claudia Schmied ist ehrgeizig. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, das Riesenreformprojekt "Schulreform zum Wohle unserer Kinder" auf den Weg zu bringen. Tatsächlich ist es in den letzten drei Jahren gelungen, wichtige Meilensteine (Lehre mit Matura, Zentralmatura, "Neue Mittelschule", Ausbau ganztägiger Schulangebote) zu setzen; für viele Anliegen war es zudem erst einmal wichtig, dass sie überhaupt auf die politische Tagesordnung kommen (z. B. Wiederholen einer Klasse ersetzen durch individuelle Förderung in den Problemfächern).
Dazu kommen umsetzungsreife Konzepte zu LehrerInnenausbildung, LehrerInnendienst- und besoldungsrecht, Schulverwaltungsreform, Schulinvestitionsprogramm. Für zusätzliche ganztägige Schulplätze und das Schulinvestitionsprogramm ist zusätzliches Geld1 locker gemacht worden und steht bereit.

Ein Drittel RisikoschülerInnen

Über unser Schulwesen wird viel geredet. Das wichtigste, alarmierendste und gleichzeitig beschämendste Problem ist wohl: Ein Drittel der SchülerInnen sind nach neun Jahren Schulpflicht RisikoschülerInnen, kann nicht sinnzusammenhängend lesen, nicht ausreichend rechnen und steht in grundlegenden Fragen etwa bei den Naturwissenschaften "auf der Seife".
Politische Widerstände verpackt als pädagogische Vorbehalte hindern am Weiterkommen. Einige wenige Lobbygruppen halten an Standesdünkeln, am konservativen Familienbild ("Mütter als die Nachhilfelehrerinnen der Nation") und unzeitgemäßen Arbeitsweisen des LehrerInnenberufs (Frontalunterricht) fest. Leitsatz fortschrittlicher Schulpolitik: Im Mittelpunkt die SchülerInnen klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Wir brauchen LehrerInnen, DirektorInnen, Schulverwaltungen und Ministerien im Schulsystem, die sich an Wertschätzung, Engagement, humanistischen Bildungszielen, an einem Menschenbild der Gleichberechtigung und Solidarität orientieren.
Viele Schulen denken an die Auslastung ihrer LehrerInnen, ihren guten Ruf, an den Wettbewerb im Kampf um SchülerInnen,  vor allem "problemlose" SchülerInnen. Diese Anliegen haben ihre Berechtigung. Nur: da ist wohl der grundlegende Sinn der Einrichtung aus den Augen verloren worden. Es geht nicht um einen Wettbewerb um die "Besten", sondern Schulen sollten es als ihre Aufgabe sehen, die besten Begabungen und Neigungen aller SchülerInnen zu fördern. Die "alte" Herausforderung an das grundlegend liberale Gerechtigkeitsempfinden - Chancengleichheit unabhängig von sozialer Herkunft beim Zugang zu Bildung - ist um neue Herausforderungen angereichert: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund aus häufig bildungsbenachteiligten Elternhäusern sind die größte schulische Herausforderung an Zusammenhalt, Demokratie und Entwicklungsgeist. Dieser muss sich die Schule wieder annehmen.
LehrerInnen sind nicht nur Vortragende für SchülerInnen, die am Vormittag an Wissen aufnehmen, was sie wollen oder können. Die Schule muss zum eigenständigen Wissenserwerb motivieren und junge Menschen auf eine Welt vorbereiten, die es noch nicht gibt. Die Fähigkeit, bisher unbekannte Fragestellungen zu lösen und in Interaktion mit anderen zu agieren, sind die Schlüsselkompetenzen der Gegenwart und Zukunft. Es bedarf weniger an zusätzlichem "Wissen" als vielmehr zusätzlicher Bildung, an Wissen um Zusammenhänge und der Fähigkeit, Informationen einordnen und bewerten zu können. Last, but keineswegs least: Demokratie lernen.
Demokratie ist kein Gegenstand, sondern eine Lebensform. Und das geht heute über gemeinsam Lernen: Vielfalt ist eine Chance, sei es in Bezug auf Lernbegabung, auf ethnische Zugehörigkeit, auf Geschlecht, auf sozialen Hintergrund. Hehre Ziele, aber wo ansetzen? Gleichzeitigkeit ist angebracht. Einzelprojekte gehen unter im Meer der "alten" Schule; da schlägt die "alte" Welle darüber zusammen. Viele neue Enttäuschungen sind dem Schulwesen nicht mehr zuzumuten.

Der Schlüssel sind die LehrerInnen

Nur Menschen, die sich für dieses anspruchsvolle Arbeitsfeld eignen und qualifizieren, sollen LehrerInnen werden. Mehr Menschen mit Migrationshintergrund, die als Brücke für eine interkulturelle SchülerInnenpopulation dienen, und mehr Männer sollen für den Beruf begeistert werden. An größeren Schulstandorten soll die Einführung eines mittleren Managements die Schulleitung unterstützen, um die LehrerInnen von administrativen Tätigkeiten freizuspielen.  Weitere Unterstützung soll durch den Einsatz von Berufsgruppen wie z. B. SozialarbeiterInnen erfolgen.
Der Arbeitsplatz der LehrerInnen ist an der Schule: dort sind LehrerInnen ansprechbar für SchülerInnen zu Lernen, Üben, Vertiefen, Nachfragen. Und auch LehrerInnen gehen ohne Schultasche nach Hause, weil ihr Auftrag nach einem ereignisreichen Arbeitstag erledigt ist. Zwei Schultypen für eine Altersgruppe vertiefen soziale Unterschiede und legen viel zu früh fest, welche Bildungswege wem künftig offenstehen. An die Hochschule kommen HauptschülerInnen zu 25 Prozent im Vergleich zu 75 Prozent der AHS-UnterstufenschülerInnen. Um keine Unklarheit aufkommen zu lassen: HauptschülerInnen sind benachteiligt, nicht unintelligenter.
In der gemeinsamen Schule wird auf unterschiedliche Lernbedürfnisse eingegangen. Talent und Neigung werden im sozialen Rahmen individuell gefördert.
Von den Hochbegabten bis zu SchülerInnen mit Lernproblemen und Behinderungen werden alle bestmöglich nach Bedarf in Kleingruppen, im Einzelunterricht, in der Klasse, in Neigungsgruppen unterrichtet.

Ganztägige Schulformen

Ganztägige Schulformen unterstützen die ganzheitliche Entwicklung der SchülerInnen, sie entlasten Eltern von der Überforderung neben Beruf und Kindererziehung auch noch umfassende Lernförderung zu übernehmen. Ein sinnvoll abgestimmtes Angebot von Lernen, Wiederholen und Üben sowie freizeitpädagogischer Akzente mit sportlichen, kreativen und musischen Aktivitäten stellt sicher, dass den Kindern mehr Zeit und Raum gewidmet wird.
"Jedes Kind hat drei Lehrer: Der erste Lehrer sind die anderen Kinder, der zweite Lehrer ist der Lehrer selbst und der dritte Lehrer ist der Schulraum (schwedisches Schulverständnis)."
Die Schule soll schön, architektonisch anspruchsvoll, viel Platz bieten und als ein Ort der Kreativität konzipiert sein. Schulen sollen zum Zentrum kultureller Bildung und Innovation weit über den Schulalltag hinaus werden.
Die Erneuerung der Lehr- und Lernmethoden schließt den Bogen hin zur "neuen" Schule. Statt Zugang und Aufstieg zu beschränken, sollen Zeugnisse und Rückmeldungen motivieren. Noten sind für Förderung und Entwicklung von Kreativität, von sportlicher Betätigung nicht weiter sinnvoll.
Individualisierung des Unterrichts - kein Sitzenbleiben mehr: in den Oberstufen Unterricht im Kurssystem wie an der Universität. Bei unzureichenden Leistungen in einem Modul wird das Modul wiederholt und nicht die gesamte Schulstufe.
Eine moderne Schulverwaltung gibt Unterstützung und zieht die Grenzen der Schulautonomie dort, wo der gleichberechtigte öffentliche Zugang behindert wird. Nicht mehr und nicht weniger. Ein engagiertes Schulteam in einer Region ist allein in der Lage, sich um das Wohl der SchülerInnen ohne große bürokratische Vorgaben bestmöglich zu kümmern. Unterstützung aber dort, wo das größte Wollen auf soziale oder pädagogische Schranken trifft. Sogenannte "Brennpunktschulen" mit den Kindern der Bildungsfernen, der sozial Benachteiligten brauchen mehr LehrerInnen, mehr Geld, mehr Zusatzhilfen.
Und dies ist die größte Herausforderung an eine demokratische, eine solidarische Gesellschaft: dass jene, die mehr brauchen in der Schule auch mehr bekommen.

Internet:
Österreichs Plattform für Bildung
www.bildungsdeck.at 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
gabriele.schmid@akwien.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 
 

1 320 Mio. EUR bis 2015 für den Ausbau ganztägiger Betreuungsformen; 1,8 Mrd. EUR bis 2018 Schul-Infrastruktur

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