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Ungarns Medien am Gängelband Private Radio- und Fernsehsender sind per Gesetz verpflichtet, einen gewissen Prozentsatz ihres Programms mit - hauptsächlich ungarischer - Musik zu bestreiten. Das beliebte, aber regierungskritische "Klubradio" hat dieses Kriterium nicht erfüllt...

Ungarns Medien am Gängelband

Schwerpunkt

Das ungarische Mediengesetz schränkt den InformantInnenschutz ein und zwingt JournalistInnen zur Selbstzensur. Internationale Organisationen schlagen Alarm.

Es war ein schöner Frühsommermorgen, als die Polizei an die Tür von Tamas Bodoky klopfte. Die Beamten waren höflich, aber energisch. Sie wollten von dem Journalisten Unterlagen, die er von einem Informanten erhalten hatte. Bodoky weigerte sich und berief sich auf den InformantInnenschutz. Doch im neuen ungarischen Mediengesetz gibt es diesen nicht mehr. Beim Verdacht auf Straftaten haben die ermittelnden Behörden das Recht, JournalistInnen zur Preisgabe ihrer Quellen oder Daten zu verpflichten - ohne richterlichen Beschluss.

Enthüllungsjournalist unter Druck

Bodoky ist Ungarns bekanntester Enthüllungsjournalist, für das Online-Portal Index.hu berichtete er über illegalen Treibstoffhandel und Grundstücksspekulationen der damaligen sozialistisch-liberalen Regierung. Als er jedoch im Umfeld des 2010 neu gewählten konservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán recherchierte, wurde er gefeuert. Daraufhin gründete er sein eigenes Portal atlatszo.hu, eine Art ungarisches Wikileaks, das ihm schnell viel Respekt einbrachte. Aber eben auch Ärger mit den Behörden.
Zwei Tage danach wurde Bodoky auf einem Budapester Wachzimmer noch einmal von Ermittlern in die Mangel genommen und musste seinen Computer mit sensiblen Daten herausgeben. Erst drei Monate später bekam er ihn zurück. Der Fall ist für ihn nicht ausgestanden: Beim Menschengerichtshof in Straßburg kämpft Bodoky seither gegen jenen Paragrafen im Mediengesetz, der investigative Arbeit in Ungarn so gut wie unmöglich macht.
Seit 1. Jänner 2011 gilt in Ungarn ein neues Mediengesetz. Es wurde mit den Stimmen der mit Zweidrittelmehrheit allein regierenden Partei Fidesz (Bund der Jungdemokraten) beschlossen. Eine Diskussion über den Gesetzesentwurf fand nicht statt. Als während der ungarischen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2011 die Kritik aus Brüssel immer lauter wurde, ließ Regierungschef Orbán zwei Stellen im Gesetz, die ausländische Medien und die Berichterstattung privater Anbieter im Internet betrafen, entschärfen. Sonst aber wurde nichts verändert: Mit dem Gesetz ist die Kontrolle privater und öffentlich-rechtlicher Medien fest in der Hand der Regierungspartei.
Kernstück des Gesetzes ist die Medienbehörde. Ihre vom Parlament bestellten Mitglieder sind fast ausschließlich Angehörige oder SympathisantInnen der Regierungspartei. Auch die Leiterin der Medienbehörde, Annamaria Szalai, gehört zu Fidesz. Sie kann Verordnungen erlassen, ohne das Parlament damit zu befassen, und hat so fast die gleiche Stellung wie MinisterInnen. Mit dem kleinen Unterschied, dass ihre Amtsperiode neun Jahre dauert.
Die Medienbehörde kann Lizenzen für Privatradio und -TV vergeben und entziehen, sie kann Strafen bis zu 700.000 Euro erlassen. Nach dem neuen Gesetz müssen ungarische Medien ihre KonsumentInnen vor jeder Verletzung oder Beleidigung ihrer Gefühle schützen. Dazu gehören religiöse Gefühle und auch die Wahrung der Privatsphäre. Wie streng diese Verpflichtung ausgelegt wird, ist noch offen. Allein die Drohung mit schweren Strafen schafft ein Klima der Unsicherheit und Verzagtheit in den Medienunternehmen. Die Schere sitzt im Kopf der JournalistInnen.

Mehr Musik - aus Ungarn

Private Radio- und Fernsehsender sind per Gesetz verpflichtet, einen gewissen Prozentsatz ihres Programms mit - hauptsächlich ungarischer - Musik zu bestreiten. Das beliebte, aber regierungskritische "Klubradio" hat dieses Kriterium nicht erfüllt. Die Folge: Seine Lizenz wird nur mehr für ein Jahr verlängert.
Dabei bestreiten nicht einmal die KritikerInnen, dass ein neues Mediengesetz notwendig war. "Ein demokratisch angelegtes, modernes, europäisches und verbraucherInnenfreundliches Gesetz hätte die bereite Öffentlichkeit mit großer Freunde empfangen", sagt Judit Acsay vom ungarischen Journalistenverband, die auf Einladung der GPA-djp in Wien über das neue Medienrecht und seine Folgen diskutierte.
In ihrem Vortrag umriss Acsay kurz die unerfreuliche Entwicklung der ungarischen Medien seit der Wende 1989: Sowohl der öffentlich-rechtliche Bereich als auch private Medien seien von der jeweils regierenden Partei oder ihr nahe stehenden Oligarchen für den Kampf gegen politische GegnerInnen instrumentalisiert worden. Entlassungen und Leitungswechsel im ungarischen Fernsehen und Radio hätten immer fast gleichzeitig mit den Regierungswechseln stattgefunden, so Acsay: "Ziel war immer die Entfernung von regierungskritischen Führungskräften oder MitarbeiterInnen der öffentlich-rechtlichen Medien." Keine Partei ging jedoch dabei so radikal vor wie Orbáns Fidesz.
Besonders gründlich und schnell wurde der Umbau der öffentlich-rechtlichen Medien vollzogen. Sie unterstehen jetzt einem "Programm- und Vermögensverwaltungsfonds" (MTVA), der (wie könnte es anders sein) von Gefolgsleuten der Regierungspartei kontrolliert wird. Sämtliche Nachrichten für sämtliche Radio- und TV-Stationen in öffentlicher Hand werden seit Kurzem von einer zentralen Stelle produziert - wie zuletzt in der kommunistischen Diktatur.

Feindbild Cohn-Bendit

Leiter dieser Nachrichtenabteilung ist der 32-jährige Daniel Papp, ein ehemaliger Sprecher der rechtsradikalen Partei Jobbik und späterer Journalist, der sich mit einem manipulierten Beitrag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen den Regierenden empfahl. Papp schnitt einen Bericht über eine Pressekonferenz des grünen EU-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit so, als wäre der Politiker vor einer Frage davongelaufen. Cohn-Bendit hatte Orbáns Medienpolitik im EU-Parlament scharf kritisiert. Seitdem ist er für die ungarische Regierung eine Persona non grata. In regierungsnahen Zeitungen wird der Grüne seither nur mehr mit Pädophilie in Zusammenhang gebracht. Die rechtsextreme Zeitung "Magyar Forum" zeigte ein Bild Cohn-Bendits vor dem Davidstern, unter dem Titel "Kinderschänder". Die Medienbehörde nahm Beschwerden gegen die antisemitische und diffamierende Berichterstattung nicht an.
Der Herausgeber von "Magyar Forum", der antisemitische Dichter Istvan Csurka, bekam kurze Zeit später vom Budapester Oberbürgermeister (er gehört zur Regierungspartei Fidesz) die Intendanz eines der großen Theaterhäuser in Budapest übertragen.
Private Zeitungen und Internetportale können trotz regierungskritischer Haltung weiter bestehen. Doch der ökonomische Druck steigt: Unternehmen, die sich vom Staat Aufträge erhoffen (und das sind die meisten), verzichten vorsorglich auf Inserate in diesen Medien.
Mitte November schickten zehn internationale regierungsunabhängige Organisationen zur Wahrung der Pressefreiheit und der Menschenrechte ihre VertreterInnen auf eine dreitägige Mission nach Budapest. Sie sprachen dort mit JournalistInnen, AnwältInnen, VerlegerInnen, VertreterInnen der Medienkommission und der Regierung über das Gesetz. Ihr Urteil ist verheerend: Ungarns Vorschriften würden Unsicherheit schaffen und seien mit europäischen Standards nicht vereinbar. Sorge bereiten den MedienwächterInnen vor allem die Aufhebung des InformantInnenschutzes, die eingeschränkten Möglichkeiten, Entscheidungen der Medienbehörde zu beeinspruchen und der mangelnde Pluralismus bei den öffentlich-rechtlichen Medien. Die ungarische Regierung sei erpicht darauf, ihre Medienregulierung in andere Länder zu exportieren, warnt Mike Harris von der britischen Organisation "Index on Censorship".
So weit ist es noch nicht. Vorerst wollen Orbán und seine Partei im eigenen Land klare Verhältnisse schaffen. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien wurde 2011 ein Drittel der Belegschaft entlassen. Die erste Kündigungswelle fand im Frühjahr statt, die zweite Mitte November. Einen Sozialplan gibt es nur für Eltern kleiner Kinder, die anderen bekommen nicht einmal eine Abfertigung. Man könne zwar nicht behaupten, dass alle Entlassungen politischer Natur wären, sagt Judit Acsay: "Aber es verschwanden einige bekannte Gesichter vom Bildschirm und im Radio sind ein paar alte, bekannte Stimmen nicht mehr zu hören. Und dabei handelt es sich eben genau um die mutigeren, kritischeren Journalisten in Ungarn."

Internet:
Petition der GPA-djp:
tinyurl.com/c9dlzqd
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
bernhard.odehnal@chello.at 
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aw@oegb.at 

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