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Wunschloses Unglück Wer sich im Eiltempo vorwärts bewegt, ohne die Seele - oder nennen wir es weniger esoterisch sein Wesen - zu beachten, riskiert aus den Augen zu verlieren, ob sich der eingeschlagene Weg überhaupt noch gut anfühlt.

Wunschloses Unglück

Schwerpunkt

Wie es kommt, dass wir alle so unglücklich sind, obwohl es uns relativ gut geht.Und was wir dagegen tun können.

Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Wien wurde vor kurzem gar als Stadt mit der höchsten Lebensqualität weltweit ausgezeichnet. Nahrung und Sicherheit für alle, Freiheit und Krankenversicherung - das müsste doch logischerweise eine der zufriedensten Bevölkerungen zur Folge haben. Aber warum werden dann heute in Österreich so viele Psychopharmaka wie noch nie zuvor verschrieben, warum boomt der Psychotherapiesektor, warum blicken wir jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit in traurige, starre Gesichter? Die Essenz zahlreicher Gespräche ist für mich: Viele Menschen spüren das Leben nicht mehr. Tage vergehen, objektiv werden Dinge geschafft, das Gefühl dazu fehlt. Nach Jahren des Funktionierens bleibt ein Gefühl der Leere, klares Indiz Richtung Depression. Woher dieses Gefühl der Leere rührt, lässt sich gesellschaftlich und individuell beschreiben.

Leben an der Belastungsgrenze

Psychisch leben wir momentan als Individuum und im Kollektiv an der Belastungsgrenze. Nie hat es mehr diagnostizierte Depressionen und Angststörungen gegeben wie in diesen Tagen. In diesem Moment nimmt deswegen jede/r fünfte Erwachsene Psychopharmaka (Statistik Austria). Wenn wir in einem vollen U-Bahn-Waggon stehen, sind das fast 30 Personen, die Medikamente zur Bewältigung des Alltags verschrieben bekommen. Da bedarf es nicht besonders ausgeprägter Gesellschaftskritik, um zu sehen, dass hier Einiges falsch läuft.
Scharfe Zungen betrachten die breite Verschreibung dieser Medikamente als Instrument zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit unserer westlichen Gesellschaften. Würden all die empfundene Trauer und Zweifel ausgedrückt werden, könnte das System nicht weiter bestehen und müsste sich an menschliche Bedürfnisse anpassen. Das jetzige System kennt aber nur eine Richtung, nämlich schnelles Wachstum! Kein Platz für Entschleunigung und Sinnfragen, außer vielleicht um 23 Uhr auf ORF 2. Sonst soll das Leben Spaß machen!

"Up or out."

"Up or out" lautet das Credo in der Consulting-Szene. Entweder man steigt auf und macht mehr Umsatz als im Jahr zuvor, oder man fliegt aus dem Unternehmen. Dieser Spruch beschreibt auch die Funktionsweise von Staaten: Wachstum oder Niedergang. Nun braucht man nicht Wirtschaftsgelehrte/r zu sein, um zu verstehen, dass das mit dem Wachstum auf lange Frist nicht funktionieren kann, denn es gibt nur begrenzte Ressourcen, begrenzten Platz und auch begrenzte Bedürfnisse. Deswegen ist beispielsweise Bedürfnisweckung auch eine zentrale Aufgabe der Werbepsychologie. Dabei wird beabsichtigt, immer wieder neue Produkte an unsere wahren Bedürfnisse nach Geborgenheit, Zuneigung, Sexualität und Wertschätzung zu koppeln, um diese verkäuflich zu machen. Nimm dieses Deo und du wirst begehrt, schenke diese Schokolade und du erfährst Geborgenheit.

"Die Seele geht zu Fuß."

"Die Seele geht zu Fuß", besagt ein altes indianisches Sprichwort. Als die Ureinwohner Amerikas das erste Mal mit dem Flugzeug reisten, warteten sie am Ankunftsflughafen auf ihre Seele. In einer immer schneller werdenden Zivilisation haben wir unsere Seelen nicht nur weit hinter uns gelassen, sondern teils vergessen, dass es sie gibt. Doch sie melden sich zurück und holen uns ein - immer!
Dieses Zurücklassen unserer Seele erkennt man im übertragenen Sinne an unserem stetigen Drang voranzuschreiten und Zielen nachzueifern, ohne diese zu hinterfragen. Wer sich im Eiltempo vorwärts bewegt, ohne die Seele - oder nennen wir es weniger esoterisch sein Wesen - zu beachten, riskiert aus den Augen zu verlieren, ob sich der eingeschlagene Weg überhaupt noch gut anfühlt.  Ab einer gewissen zurückgelegten Strecke wollen wir nicht mehr hinterfragen, da einfach schon zu viel investiert, schon zu viel Weg zurückgelegt wurde.
Falsch! In jedem Moment habe ich die Möglichkeit, einen Wechsel in meinem Leben einzuleiten und jeder Meter, den ich früher die Richtung korrigiere, ist ein gewonnener!
Wäre es die Wahrheit, dass eine rein bereichernde Einstellung hohe Zufriedenheit zur Folge hätte, dann müssten doch die oft kritisierten erfolgreichen BankerInnen am glücklichsten sein. Doch gerechterweise ist dem bei Weitem nicht so. Sie funktionieren nach dem puren kapitalistischen Gedanken. Sie wollen immer mehr und mehr, Geld wird abstrahiert und damit von Moral entkoppelt. Gewissenlose Geschäftsmänner sind einfach die reich gewordenen Opfer dieses Systems. Sie betäuben sich mit Gier, Beschäftigung und Konsum bis sie verbrennen, die Seele außer Sicht- und Reichweite. Doch jede Betäubung geht zu Ende, im Burnout oder in der Depression, oder im Erkennen des Irrtums.

"Geld macht nicht unglücklich!"

Studien beweisen, dass ein Zusammenhang zwischen Gehalt und Zufriedenheit nur bis zur Erfüllung existenzieller Bedürfnisse besteht. Wenn Grundbedürfnisse nach Nahrung und Sicherheit gedeckt sind, bekommt Geld eine andere Funktion. Über einem Familieneinkommen von 4.000 Euro im Monat nimmt die Lebenszufriedenheit mit steigendem Gehalt nämlich nicht mehr zu. Wollen wir uns dann noch signifikant wohler fühlen, treten Vergleichsprozesse an den Tag, wobei die Tiefe des Gefühls zu bezweifeln ist. Entscheidend ist dieser Studie nach also nicht der absolute Betrag, den wir verdienen, sondern der Betrag relativ zu unserer Vergleichsgruppe. Diese wählen wir selbst, also meistens Menschen im gleichen Alter, mit ähnlichem Bildungsniveau, ähnlichem Job. Bin ich in den von mir selbst oder gesellschaftlichen Normen definierten Dimensionen besser als meine Vergleichsgruppe, fühle ich mich zufriedener.
Einer von vielen Glücklichmachern - man glaubt es kaum, er steht nämlich in krassem Gegensatz zum Grundgedanken des Kapitalismus - ist Altruismus. Uneigennütziges Verhalten soll Studien zufolge glücklich machen. Wo uns doch täglich beigebracht wird, uns ja nicht übervorteilen zu lassen, nicht zu viel zu geben, misstrauisch zu sein usw. Dieses ständige Berechnen, ob man jetzt etwas geben darf oder nicht, kostet so viel Kraft, mit der man die kleine Tat schon vollbracht hätte.
Schlüsseln wir das einmal auf: Hier geht es nicht um große, selbstlose Heldentaten, sondern die kleinen Dinge im Alltag. Steht jemand offensichtlich suchend an der Straßenecke, fällt jemandem etwas aus der Tasche, kommt eine gebrechliche Dame in die volle Straßenbahn, geht oft dasselbe in unseren Gehirnen vor: "Soll ich jetzt aufstehen, helfen? Warum gerade ich? Das soll doch ein Anderer machen!" Uns ist nicht bewusst, dass dieser Denkprozess nicht nur unserer Umwelt nicht hilft, sondern auch uns selbst schadet. Die Energie, die ich dabei verbrauche, nicht zu helfen und dies vor mir selbst zu rechtfertigen, ist höher, als schnell einmal aufzustehen, obwohl ich nicht müsste, einen Suchenden von selbst zu fragen, ob ich vielleicht helfen könnte, oder mich zu bücken und jemandem etwas Verlorenes wieder aufzuheben. Wenn ich es mache - und dazu bedarf es in einer Ego-Gesellschaft Überwindung - werde ich von meinem Gehirn dafür belohnt, mich überwunden zu haben, von meinem Gegenüber mit Dankbarkeit und kollektiv vielleicht mit stiller Bewunderung bedacht. Ich habe mich getraut in einer unfreundlichen Welt freundlich zu sein! Das ist eine große Leistung!

Glück kann man lernen

Probieren Sie es einmal aus! Es wirkt wie ein Virus, tun Sie einen kleinen Gefallen und die Geisteshaltung wird weitergetragen. Glücksstudien haben bei Personen, die man kurz vor Befragungsbeginn eine Münze finden ließ, einen signifikant höheren Zufriedenheitswert ergeben, als bei Personen, die die Untersuchungsleiter keine Münze finden ließen. So einfach kann tägliches Wohlbefinden beeinflusst werden. Findet man gleich eine Parklücke, wartet die Straßenbahn noch kurz, lächelt die Kassiererin im Lebensmittelgeschäft freundlich, dann beginnt der Tag gleich ganz anders. Mehr als ich denke, kann ich selbst beeinflussen. Die Essenz ist: Glück kann man lernen!

Internet:
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