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Nachhaltigkeit ohne Grenzen Wir brauchen heute globale Nachhaltigkeit und da spielt auch die internationale Fairness eine wesentliche Rolle. Ich bin sehr froh, dass die NFI auch Gruppen in Afrika hat, die uns die andere Seite der europäischen Sicht- und Lebensweise vor Augen führen.

Nachhaltigkeit ohne Grenzen

Interview

Die Naturfreunde Internationale hat fast eine halbe Million Mitglieder. Präsident Manfred Pils über Nachhaltigkeit.

Arbeit&Wirtschaft: Manfred Pils, Sie sind Präsident der Naturfreunde Internationale (NFI). Viele wissen es gar nicht, aber die Naturfreunde gehören zu den weltgrößten NGOs. Wer sind die Naturfreunde und was machen sie?

Manfred Pils: Die Naturfreunde wurden 1897 in Wien gegründet. Sie sind aus der Arbeiterbewegung entstanden und haben derzeit fast eine halbe Mio. Mitglieder weltweit mit großem Schwerpunkt in Europa.
Unsere nationalen Mitgliedsverbände bieten einerseits Serviceaktivitäten rund um das Naturerlebnis an, andererseits beschäftigen wir uns mit allen Themen der Nachhaltigkeit, insbesondere dem Thema des nachhaltigen Tourismus. Naturfreunde bewegen sich hauptsächlich mit Muskelkraft durch die Natur, wir haben schon sanften Tourismus betrieben, als das noch kein Mode-wort war.

Beim jüngsten Kongress lautete das Motto "Nachhaltigkeit ohne Grenzen", was bedeutet das für die Naturfreunde Internationale? 

Nachhaltigkeit steht für uns auf vier Säulen: Ökonomie, Ökologie, Gerechtigkeit und Internationalität.
Um die Ökonomie muss man sich nicht kümmern, die kümmert sich quasi um sich selbst. Da mache ich mir keine Sorgen, dass irgendetwas in dieser Welt ohne ökonomische Zielsetzung passieren könnte (lacht). Um die Ökologie sorgen sich natürlich auch die vielen Grünbewegungen. Die soziale und die internationale Seite des Nachhaltigkeitsgedankens werden aber immer wieder vernachlässigt. Aus unserer Geschichte heraus ist verständlich, dass wir diese wesentlichen Elemente der Nachhaltigkeit ganz bewusst in den Vordergrund stellen und vertreten.
Heutzutage ist die Welt arbeitsteilig organisiert - eine Nachhaltigkeit auf rein lokale Kreisläufe reduzieren zu wollen, ist nicht sehr sinnvoll und eher Ausdruck eines naiven rückschrittlichen Biedermeierdenkens. Wir brauchen heute globale Nachhaltigkeit und da spielt auch die internationale Fairness eine wesentliche Rolle. Ich bin sehr froh, dass die Naturfreunde Internationale auch Gruppen in Afrika hat, die uns die andere Seite der europäischen Sicht- und Lebensweise vor Augen führen. Eines unserer Angebote ist z. B., dass Naturfreundegruppen sich von senegalesischen Naturfreunden das Land und die Probleme zeigen lassen und dann hautnah erleben, was wirklich passiert.
Etwa welche Lebensmittel man heute im Senegal kaufen kann, nämlich von der EU subventionierte; wie gleichzeitig Staaten wie China und Saudi Arabien das Land oder Fischereirechte aufkaufen. Dabei gehen die lokale Landwirtschaft und Fischerei praktisch vor die Hunde. Landflucht und Verarmung sind die Folge. Unsere Gruppen kommen meist motiviert zurück, helfen dann bei gemeinsamen Projekten mit und verstehen, warum man in Europa einiges ändern muss.

Wie lange gibt es die Naturfreunde im Senegal?

Die gibt es schon seit 1983 - aber ohne unser Zutun. Wir haben sie erst 1995 kennengelernt.

Ihr habt sie also nicht "kolonialisiert"?

Die ursprüngliche Gründung der Naturfreunde ist eng mit der Arbeiterbewegung verbunden. Wenn man sich die Lebensverhältnisse im Wien der Jahrhundertwende ansieht, versteht man, dass Menschen sich um die Erholung der ArbeiterInnen Sorgen gemacht haben. Diese Bewegung konnte nur in Europa entstehen: mit Industrialisierung und Arbeiterschaft, dem Kampf um den Achtstundentag, Anrecht auf Urlaub und Freizeit.
Heute sieht die Welt anders aus, in Afrika und Asien haben die Menschen ganz andere Arbeits- und Lebenskulturen. Es gibt dort weniger Trennung von Arbeit und Freizeit - leider. Das bedeutet ganz andere Voraussetzungen für gewerkschaftliche oder sozialdemokratische Arbeit.
Die Menschen in diesen Ländern gehen zudem nicht "in die Natur", weil die Natur meist unwirtlich oder gar gefährlich ist. Die Naturfreunde in Afrika machen daher andere Projekte als wir: Sie kämpfen gegen die Wüstenbildung oder informie-ren in Schulen über die Wiederaufforstung.
Das ist natürlich dort viel wichtiger als wandern zu gehen. Diese Projekte fördern wir - es gibt ei-nen internationalen Know-how-Austausch, einen Informationstransfer von Norden nach Süden und wir stellen auch Geld zur Verfügung.
2011 haben wir zum Beispiel eine Konferenz zum Thema "Klima und Entwicklung" in Dakar gemeinsam veranstaltet.
Von Europa nahmen vielleicht 40 Leute teil, aus Afrika mehr als 200 Menschen aus Senegal, Mali, Togo etc. Ausgestattet mit Laptop und Handy wissen die total Bescheid über all diese Themen - oft besser als "unsere" Experten - da mussten einige von uns ihr Bild von Afrika deutlich korrigieren.

Klima und Entwicklung - welche Rolle spielt die Energiefrage bei den Naturfreunden?

Die Naturfreunde gehörten zu den Ersten, die zu Protesten gegen Zwentendorf aufgerufen haben und mitmarschiert sind.
Die Technologie der Atomkraft ist mit unbeherrschbaren Gefahren verbunden, wie wir bei Tschernobyl oder Fukushima schmerzvoll erleben mussten.
AKWs können nur deshalb billiger Energie anbieten, weil sie über staatliche Garantien verfügen und viele Kosten, wie die Lagerung des 100.000 Jahre strahlenden Atommülls, einfach auf zukünftige Generationen geschoben werden. Wenn es uns je gelingt, diesen Müll irgendwo zu lagern, werden wir dieses Lager ständig beobachten und instand halten müssen. Denn es gibt kein Endlager, wo man Atommüll auf immer vergessen kann.
Das sind Kosten und Probleme, die wir zukünftigen Generationen aufbürden, die vermutlich gar keine AKWs mehr betreiben werden, aber sich ständig drum kümmern werden müssen, die Gefahren in diesen Lagern in Schach zu halten. Das Hauptproblem der nachhaltigen Energiepolitik ist, dass die Abstimmung an der Steckdose oder an der Zapfsäule stattfindet. Wir haben zwar eine vernünftige Energiewende in der Energieerzeugung eingeleitet, aber gleichzeitig ein laufendes Energieverbrauchswachstum, welches wir derzeit einfach nicht in den Griff bekommen.
Zur Förderung der Effizienz und des Energiesparens benötigen wir unbedingt eine ökologisch-soziale Steuerreform, das heißt, wir müssen den Verbrauch von Rohstoffen und Energie höher besteuern und gleichzeitig die Lohnsteuer deutlich senken. Denn auch die Energiearmut ist bereits heute ein großes Problem.
Diejenigen, die wenig Geld haben, sind am meisten zum Energieverschwenden verurteilt. Sie wohnen in schlecht isolierten Gebäuden, haben alte, energieintensive Elektrogeräte.
Die, die genügend Geld haben, denen tut teurer Sprit, teurere Energie nicht besonders weh - die zahlen das. Daher eine sozial gestaltete Energiebesteuerung, bei der Lohnabhängige einen Ausgleich zu den höheren Energiekosten erhalten.
Das ist auch nachhaltig: In dem Moment, in dem andere Formen der Energieherstellung, Energienutzung umgesetzt werden, enstehen neue Industriezweige und damit auch Arbeitsplätze, eher nachhaltige Jobs als Green Jobs.

Das klingt, als wären Sie Green Jobs gegenüber misstrauisch.

Das Wort Green Jobs wird gerne missbraucht - unter Green Jobs werden ja offenbar vorwiegend Jobs in der Landwirtschaft verstanden, da geht es mehr um verdeckte Landwirtschaftsförderung.
Es gibt auch eine internationale Debatte dazu, in der wir Naturfreunde unter anderem verlangt haben, eher von nachhaltigen Jobs zu sprechen und dafür klarere Kriterien zu definieren.
 

Und was wären das für Berufe?

Alle, die mit Nachhaltigkeit in verschiedenen Sektoren zu tun haben, aber gleichzeitig fair entlohnt werden. In der Energiewirtschaft zum Beispiel kann man jede Menge nachhaltige Jobs schaffen.
Im Gegensatz zum landläufigen Verständnis erfordert Nachhaltigkeit viel Wissen und den Einsatz hochtechnologischer Prozesse sowie einen hohen Aufwand an Koordination und Zusammenarbeit.

Wieso macht sich eine NGO wie die Naturfreunde so viele Gedanken um Green Jobs und Energiepolitik und was konkret tut ihr?

Nachhaltigkeit kann man nicht auf einen Sektor beschränken. Es ist ein Prozess, der einzelne KonsumentInnen, die Industrie und die Politik einbeziehen muss.
Dafür braucht es einen Bewusstseinswandel. Und die Frage ist ja: Wer soll es denn machen, wenn nicht Zivilgesellschaften, die sich mit solchen Fragen laufend auseinandersetzen müssen?
Wir sind europäisch organisiert, haben eine Vertretung in Brüssel und versuchen, die europäische Politik entsprechend zu beeinflussen. Viele Entscheidungen müssen heute auf europäischer Ebene getroffen werden und können nicht mehr national behandelt werden.

Lobbying für die gute Sache?

Das kann man so sagen. Die Naturfreunde Deutschland und die Naturfreunde in Österreich starten jetzt gemeinsam eine Kampagne gegen Euratom. Wir machen also mehr als Lobbying, wir bringen auch Menschen auf die Straße und setzen Aktionen. Als NGO sitzen wir nicht an den Entscheidungshebeln, aber wir können BürgerInnen mobilisieren, Bewusstsein bilden und versuchen, an den europäischen Schaltstellen Einfluss zu nehmen.

Gibt es Allianzen mit anderen NGOs?

Wir sind Mitglied der sogenannten "Green 10", das sind die zehn europäischen Umweltverbände, die sich in Brüssel organisiert haben. Wir koordinieren uns beim europäischen Lobbying, Kampagnen macht dann jede Organisation allein.
Aber im Unterschied zu den meisten anderen NGOs finanzieren wir uns  hauptsächlich aus Mitgliedsbeiträgen, müssen unsere Aktionen nicht auf das Gewinnen möglichst vieler Spenden auslegen, was immer die Gefahr der Simplifizierung in sich birgt.
Da fokussiert man dann auf Wale, Robbenbabys usw. weil das potenzielle SpenderInnen besser verstehen. Wir meinen, wir brauchen nicht SpenderInnen, sondern informierte und aktive BürgerInnen, um etwas zu verändern - und natürlich internationale Zusammenarbeit.

Wie schwierig ist es heutzutage, eine Art "politische" Freizeitorganisation zu sein?

Die Organisation ändert sich entsprechend der Mitglieder. Unsere Mitgliedsverbände haben natürlich in den letzten Jahren stark das Service für ihre Mitglieder ausgebaut und ausbauen müssen. Aber Mitglieder haben, glaube ich, nichts gegen Politik für die Umsetzung einer nachhaltigen Lebensgestaltung - da sind sie sogar dafür. Sie haben nur Angst vor Partei-politik.
Ich glaube, dass man den Mitgliedern mehr Politik zumuten kann, als man allgemein annimmt. Viele Leute wollen ja was verändern, sie wissen nur nicht mehr, wo sie ansetzen und wem sie vertrauen können. 

Ihr persönlicher Beitrag für eine bessere Welt, ein nachhaltigeres Leben?

Ich habe kein Auto, ich fahre sehr viel mit dem Fahrrad. Mein größter Beitrag für Nachhaltigkeit ist mein ehrenamtliches Engagement bei den Naturfreunden.
Privat haben meine Frau und ich einen chinesischen Flüchtling als Patensohn aufgenommen, dafür gekämpft, dass er eine Ausbildung und Arbeit bekommt - und der inzwischen schon zwei Kinder hat, die nun wieder mit mir und meiner Frau Deutsch lernen.
Und in meinem Beruf als Manager in einem öffentlichen Energieunternehmen versuche ich stets, den Nachhaltigkeitsgedanken auch umzusetzen.

Wir danken für das Gespräch.

Zur Person
Manfred Pils 
Seit 2008 Präsident der Naturfreunde Internationale.
Mit den Naturfreunden ist er seit seiner Jugendzeit eng verbunden.
 Pils klettert gerne und hat auch die Hochgebirgsschule der Naturfreunde sowie die Ausbildung zum Lehrwart Bergwandern und Bergsteigen absolviert.
Schon während seines Studiums der Informatik und Soziologie leitete er die Wanderführerausbildung für den österreichischen Fremdenverkehr.
Beruflich war er nach dem Studium zuerst bei den Naturfreunden angestellt, von 1992 bis 2003 fungierte er als Generalsekretär der Naturfreunde Internationale.
2003 wechselte Pils in die internationale Abteilung der Austrian Powergrid.
Heute ist er dort Direktor für Markt und Regulierung.

Internet:
Naturfreunde Internationale:
www.nfi.at 
Naturfreunde Österreich:
www.naturfreunde.at 
Zu Gast im Senegal:
tinyurl.com/ckpj9ar 
Broschüren der NFI, z. B.
Alpiner Wintertourismus und Klimawandel.
Die Naturfreunde Österreich und die Naturfreunde Internationale veranschaulichen mit der neuen Broschüre "Alpiner Wintertourismus und Klimawandel" die Folgen des Klimawandels sowie die Reaktionen der Tourismusbranche und liefern zudem Vorschläge für nachhaltige Alternativen.
tinyurl.com/csf2frn

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