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Der schmale Grat So hat ein Drogeriemarkt an den Einkaufswägen kleine Lupen angebracht, damit auch die sehschwachen Kunden und Kundinnen die winzige Schrift an den Verpackungen entziffern können.

Der schmale Grat

Schwerpunkt

"Guter Kapitalismus" oder ernste soziale Verantwortung? Corporate Social Responsibility ist nicht so schlecht wie ihr Ruf. Richtige CSR will aber gelernt sein.

Die Andritz AG befindet sich in Feierlaune. Der österreichische Konzern für Anlagenbau konnte 2011 ein gigantisches Projekt an Land ziehen: den Auftrag für "Belo Monte", das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt, das am Fluss Rio Xingu in Brasilien gebaut werden soll. Andritz soll dafür die elektromechanische Ausrüstung liefern. Genauer gesagt: Auf den Turbinen wird "Made in Austria" stehen, dafür wird Andritz mehr als 300 Mio. vom budgetierten Gesamtvolumen von rund 900 Mio. kassieren.

40.000 Menschen vor Umsiedlung

Während in Wien die Champagnerkorken knallen, sehen sich in Brasilien 40.000 Menschen in ihrer Existenz bedroht. Ihnen - und vor allem den UreinwohnerInnen - stehen Umsiedlungen bevor. Zudem ist die Region am Xingu als eines der letzten funktionierenden Fluss-Systeme Amazoniens gefährdet - für den Bau sollen 516 Quadratkilometer Ackerland und Regenwald überflutet werden. Seit bekannt wurde, dass Andritz den Auftrag für Belo Monte erhalten hat, laufen NGOs Sturm. Das Projekt verstieße gegen die Konvention 169 der International Labour Organisation (ILO), lautet der Hauptkritikpunkt. In den Artikeln 6-15 heißt es, dass indigene Bevölkerungsgruppen im Falle einer Bedrohung ihres Lebensraumes ihre "freie, vorherige und informierte Zustimmung" zu solchen Projekten geben müssen. So weit, so schlecht - denn bislang klingt dieser Fall wie jedes andere der aufsehenerregenden Riesenprojekte, für die Natur und Mensch geopfert werden. Das Paradoxe an der Geschichte findet sich allerdings in der schriftlich festgehaltenen Geschäftsethik der Andritz AG. Denn diese hat sich der wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Nachhaltigkeit verpflichtet, so steht es in ihrem Code of Conduct: "Der nachhaltige Schutz der Umwelt und die Schonung der natürlichen Ressourcen sind wesentliche Anliegen der Andritz-Gruppe."
"Tue Gutes und rede darüber", so beginnt ein Großteil der Medienberichte über Corporate Social Responsibility. Das gilt fälschlicherweise auch als Motto der CSR - einem Konzept, nach dem Unternehmen Umweltbelange und soziale Anliegen nicht nur in ihre Unternehmenstätigkeit, sondern auch in ihre Beziehungen mit den Stakeholdern implementieren.
Das Misstrauen gegenüber CSR ist jedoch ungebrochen. Von zahlreichen SkeptikerInnen wird CSR eher als "Deckmantel des Neoliberalismus" oder als "gute Seite des Kapitalismus" betitelt. Wie will ein Tabakunternehmen soziale Verantwortung übernehmen oder ein Ölkonzern umweltbezogene Nachhaltigkeit propagieren? Der Ruf der Corporate Social Responsibility leidet zudem unter dem Mangel an Fachwissen, vor allem auch unter den PR-Leuten. Oft werden CSR-Projekte unbewusst als PR-Strategie abgetan oder PR- und Marketing-Aktionen fälschlicherweise als CSR verkauft. "Man kann aber erst dann von CSR sprechen, wenn es ein Konzept gibt, das an das Kerngeschäft gekoppelt ist", sagt Karin Huber von der CSR-Kommunikationsberatung comact. "Wenn ein Fast-Food-Konzern Kinderkrankenhäuser fördert, dann läuft das unter Sponsoring oder Charity, aber nicht unter CSR. Denn das Produkt, das der Fast-Food-Konzern verkauft, ist nach wie vor noch gesundheitsschädlich. Wenn aber der Konzern offen zugibt, dass er derartige Produkte verkauft, aber gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter durchsetzen kann und seine Produkte nachweisbar vom Bio-Bauern bezieht, dann kann von sozialer Verantwortung in bestimmten Bereichen gesprochen werden."

CSR - eine Gratwanderung

Andere Unternehmen wenden CSR nicht richtig an oder nehmen sie nicht ernst genug - wie Andritz. "Das Selbstverständnis der Andritz AG zeigt, wie das Verständnis von CSR bei vielen Unternehmen ist.
Allein die vermeintlich gesetzeskonforme Unternehmenspolitik wird als gesellschaftlich verantwortliches Handeln deklariert", sagt Marieta Kaufmann, Geschäftsführerin des Netzwerk Soziale Verantwortung. "Für uns ist die Nichteinhaltung von Gesetzen illegales Handeln, die Anwendung von Recht und Gesetz noch kein Grund, sich als sozial oder ökologisch verantwortlich darzustellen."
Wenn die Idee gut klingt, hapert es meist an der Umsetzung. PR hat eine kosmetische Wirkung, mit PR-Aktionen kann ein Imageproblem kurzfristig und oberflächlich ausgebügelt werden. CSR tut vor allem nur eines: weh. Denn für ein nachhaltiges CSR-Konzept muss sich ein Unternehmen "ausziehen" und in die Tiefe gehen, alles aufrollen, erfragen und evaluieren; die Problembereiche müssen beleuchtet und behandelt werden. "Es ist eine Gratwanderung, sie erfordert viel Mut und es ist unangenehm", sagt Karin Huber. "Die Bereitschaft muss gegeben sein, sich ernsthaft mit dem Unternehmen und den Stakeholdern, besonders den Mitarbeitern, auseinanderzusetzen - auch mit Kritik." Denn erst wer die Bedürfnisse seiner MitarbeiterInnen, LieferantInnen, Kundinnen und Kunden kennt, hat die Chance, eine nachhaltige Strategie zu entwickeln.

Lupe am Einkausfwagen

So brachte ein Drogeriemarkt an den Einkaufswägen kleine Lupen an, damit auch die sehschwachen Kundinnen und Kunden die winzige Schrift auf den Verpackungen entziffern können. Auf der anderen Seite bot ein Unternehmen für seine MitarbeiterInnen ein Fitnesstraining im örtlichen Fitnessclub an - um 8 Uhr morgens.
Das gut gemeinte Projekt scheiterte, die MitarbeiterInnen fühlten sich gefrotzelt, weil sie nur in der Früh das Gratistraining in Anspruch nehmen konnten. Gleichzeitig getrauten sie sich nicht, das Angebot abzulehnen, und die Unsicherheit machte sich breit: Wenn wir aber nicht trainieren - wird dies von der Unternehmensleitung negativ vermerkt? Findet also keine Einbeziehung von MitarbeiterInnen in die Veränderungsprozesse statt, werden diese vor vollendete Tatsachen gestellt. "CSR macht dann Sinn, wenn CSR-Richtlinien nicht in der Chefetage ausgearbeitet, sondern gemeinsam mit MitarbeiterInnen und BetriebsrätInnen erstellt werden und von Beginn an im Unternehmen verwurzelt sind", sagt Eva Angerler von der GPA-djp.
Authentizität, Miteinbeziehen von MitarbeiterInnen und das Kommunizieren der Veränderungen sind das Kochrezept für eine "gute" CSR. "Die Leute müssen laufend über neue Entwicklungen informiert werden. Falsche Kommunikation kann CSR-Projekte im schiefen Licht dastehen lassen", mahnt Karin Huber. "Gerade MitarbeiterInnen, Menschen, die in einem Unternehmen quasi 'leben‘, werden etwas anderes 'erleben‘." Wesentlich ist jedoch, dass sich die CSR-Strategie in der gesamten Unternehmenskultur widerspiegelt und nicht nur kleine kosmetische Korrekturen vornimmt.
"Wir wehren uns gegen Einzelmaßnahmen", sagt Eva Angerler. "Wenn ich einen Betriebskindergarten eröffne, während viele meiner ArbeitnehmerInnen in einem prekären Arbeitsverhältnis stehen, dann ist das schlichtweg falsch. Nach außen präsentiere ich mich als guter Arbeitgeber, während in meinem Keller die Leichen liegen." Sie fordert klare Regelungen für CSR: "Es muss genaue Definitionen geben, was genau unter CSR zu verstehen ist, wie man es überprüfen und nachweisen kann. Da die Implementierung von CSR auf Freiwilligkeit basiert und es keine Richtlinien gibt, interpretiert jedes Unternehmen CSR auf seine Art und setzt seine eigenen Rahmenbedingungen." So präsentieren sich Betriebe, die auf den Papierverbrauch achten, nach außen als umweltbewusst, während der Chef jeden Morgen mit seinem Jaguar in den Hof fährt.
"Die Auswirkungen der Maßnahmen müssen messbar und vergleichbar sein", meint Angerler. "Und für jene Unternehmen, die es mit CSR wirklich ernst meinen, müssen Anreize wie Förderungen geschaffen werden. Im Gegenzug dazu muss deren CSR-Strategie nachweisbar sein." Karin Huber setzt zudem noch auf Transparenz und Glaubwürdigkeit: "Viele Nachhaltigkeitsberichte stellen sich als Jubelbroschüren heraus. Deswegen finde ich es gut, dass es Webseiten wie kununu.at oder arbeitgebercheck.at gibt, auf denen Mitarbeiter ihre Unternehmen bewerten." Und die Glaubwürdigkeit - die hat Andritz schon längst verspielt.


Internet:
Broschüren-Download und mehr Info:
www.arbeitundalter.at 

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
maja.nizamov@gmx.net 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

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