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Gefährliche Gewerkschaftsarbeit Yessika Hoyos Morales erzählt die Geschichte von der Ermordung ihres Vaters Jorge Dario Hoyos im März 2001.
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Gefährliche Gewerkschaftsarbeit

Internationales

Kolumbien ist auch unter dem neuen Präsidenten Juan Manuel Santos bei der Zahl verfolgter und ermordeter GewerkschafterInnen weltweit die Nummer eins.

Yessika Hoyos Morales ist die für Gewerkschaften zuständige Mitarbeiterin des Anwaltskollektivs 'Colectivo de Abogados José Alvear Restrepo‘ (CAJAR) in der kolumbianischen Hauptstadt. Ich treffe sie zum ersten Mal Ende 2010 in den Büroräumen der Nichtregierungsorganisation im Zentrum Bogotás. Sie erzählt mir die Geschichte von der Ermordung ihres Vaters Jorge Dario Hoyos, eines prominenten Gewerkschaftsführers, im März 2001. Und sie berichtet mir von ihren Recherchen über die Auftraggeber und den Hintergrund der Ermordung ihres Vaters.

Kaum Demokratisierung

Genau ein Jahr später sitze ich der jungen Anwältin am selben Ort wieder gegenüber. Neugierig frage ich sie nach dem Ergebnis ihrer Nachforschungen, ob sie in der Sache weitergekommen sei. "Nein", antwortet Yessika, "es ist alles gleich geblieben seit einem Jahr. Auch in diesem Fall überlagert die Straflosigkeit die Gerechtigkeit." Die konkreten Täter, die die Kugeln auf ihren Vater abfeuerten, sind wohl in Haft und auch verurteilt, doch über die intellektuellen Täter herrscht weiterhin Dunkel. CAJAR hat mehrmals von der Staatsanwaltschaft gefordert, dass die Ermittlungen in dieser Angelegenheit fortgeführt werden, doch diese schweigt und tut nichts. "Das Ganze ist sehr zermürbend. Ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich nichts mehr tun kann", zeigt sich die Menschenrechtsanwältin resigniert. Nach acht Jahren Präsidentschaft des rechten Hardliners Álvaro Uribe Vélez hatte im August 2010 dessen politischer Ziehsohn und zeitweise Verteidigungsminister Juan Manuel Santos, Sprössling einer der einflussreichsten Familien des kolumbianischen Establishments, die Führung des Staates übernommen. Doch die Hoffnungen auf eine Demokratisierung des unter Uribe autoritär gelenkten Landes haben sich kaum erfüllt. Vizepräsident Angelino Garzón mit seiner linken Vorgeschichte (hoher kommunistischer Funktionär, dann Präsident der linken Gewerkschaftszentrale CUT und schließlich Arbeitsminister) tut zwar sein Bestes, um Kolumbien im In- und Ausland ein progressives Mäntelchen umzuhängen, doch seine Worte und Ankündigungen bleiben in der Luft hängen.
"Angelino Garzón ist so etwas wie ein Chamäleon, das je nach den Umständen die Farbe wechselt. Heute gibt er sich als Vorkämpfer für Frieden und Menschenrechte, doch war er es, der in der Ära Uribe in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) den kolumbianischen Staat geschützt und verteidigt hat, während zur selben Zeit zahlreiche Gewerkschafter bedroht und ermordet wurden", erklärt Jorge Molano, einer der durch seine Aktivitäten gefährdetsten Menschenrechtsanwälte des Landes.
Auch Yessika Hoyos findet, dass sich unter dem neuen Präsidenten nur die Rhetorik geändert hat. "Santos präsentiert sich als der Chef einer demokratischen Regierung, der die Gewerkschaftsrechte respektiert. Er hat sogar ein Abkommen mit den USA über Garantien für die Gewerkschaftsrechte geschlossen, damit der Kongress den Freihandelsvertrag ratifiziert, doch geändert hat sich nichts. Seit seinem Amtsantritt im August 2010 bis Ende 2011 sind über 40 Gewerkschaftsaktivisten und -aktivistinnen ermordet worden."

Neoliberale Dogmen

José Luciano Sanín Vásquez ist der Direktor der Nationalen Gewerkschaftsschule Kolumbiens (ENS) mit Sitz in Medellín. Auch er sieht nicht viel Veränderung durch die neue Regierung Santos: "Es wird schwer sein, den Rekord von arbeiter- und gewerkschaftsfeindlichen Aktionen zu überbieten, den Uribe aufgestellt hat. Durch neue Gesetze höhlte er die Arbeiterrechte weiter aus. Leider knüpft Santos in vielem an Uribes Politik an." Damit meint er die neoliberalen Dogmen, denen auch der neue Präsident anhängt, und die Gesetze im Interesse der großen Unternehmen. Einen wesentlichen Unterschied sieht er allerdings zwischen dem früheren Staatschef und seinem Nachfolger: "Uribe vertrat, ja er organisierte sogar die ländliche Oligarchie und die mafiösen Paramilitärs. Santos hingegen repräsentiert die moderne neoliberale Oligarchie. Damit schafft er Freiräume, in denen eine andere politische Agenda entwickelt werden könnte." Nachdem das Freihandelsabkommen zwischen Kolumbien und den USA jahrelang durch die demokratische Mehrheit im Kongress in Washington auf Eis gelegt war, ist es ausgerechnet durch den demokratischen Präsidenten Obama im Oktober des Vorjahres zur Ratifizierung gekommen. Unerwartete Barrieren haben sich hingegen bei dem bereits fertig ausgehandelten Abkommen zwischen Kolumbien und der EU ergeben. Die Kommission hat kürzlich den Vertrag als "gemischtes Abkommen" definiert, das heißt, dass nunmehr die Parlamente aller EU-Staaten dem Vertragswerk zustimmen müssen, was nicht nur eine große zeitliche Verzögerung mit sich bringt, sondern eine Ratifizierung in den Bereich des Unwahrscheinlichen rückt.
ENS-Direktor Sanín Vásquez erhofft sich von den Gewerkschaftskollegen und -kolleginnen in der EU einen starken Druck auf die kolumbianische Regierung. "Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kolumbien wäre ein weiterer Rückschlag für uns - vermutlich aber auch für viele Arbeiter in Europa."
Nohora Tovar, Generalsekretärin einer Metallarbeitergewerkschaft, besuchte im vergangenen Frühjahr auf Einladung einer Initiative, die dem Freihandelsabkommen mit Kolumbien kritisch gegenübersteht und in der auch ÖGB und Arbeiterkammer aktiv sind, Österreich. Für die Gewerkschaftsaktivistin ist die Ausbreitung der prekären Beschäftigung in Kolumbien ein großes Problem.
Gerade in dem expandierenden Bergbau- und Energiesektor, in dem ausländische Konzerne stark vertreten sind, schreitet diese Prekarisierung rasant voran. Leiharbeit, Werkverträge, befristete Jobs, die schlecht bezahlt und auch arbeits- und sozialrechtlich viel schlechter gestellt sind, werden zur Regel. "Es findet ein großer Angriff auf die tarifpolitischen Bedingungen und Abkommen statt", erzählt Tovar. "Tarifverträge werden unterwandert, das Arbeitsrecht missachtet und das bereits ratifizierte ILO-Kernübereinkommen 87 wird weiterhin nicht umgesetzt." Neben der arbeitsrechtlichen Verschlechterung zieht der Exportboom auch in ökologischer Hinsicht beträchtliche Schäden nach sich. Umweltverträglichkeitsprüfungen werden nicht eingehalten, zahlreiche kleine Bergbau-Unternehmen arbeiten illegal und halten sich überhaupt an keine Umweltauflagen.

Menschenrechte haben Vorrang

Auch Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes und Präsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes, sieht das Abkommen zwischen EU und Kolumbien kritisch. "Die EU-Parlamentarier sind aufgefordert, deutlich zu zeigen, dass für sie Menschen- und Gewerkschaftsrechte Vorrang vor Handelspräferenzen haben. Wer ernsthaft eine positive Entwicklung der Gesellschaft in Kolumbien will, muss menschenwürdige Arbeit, soziale Gerechtigkeit und die Einhaltung von Gewerkschaftsrechten als unumstößlichen Maßstab anlegen."

Info&News
Suizid-Kommando Gewerkschaftsarbeit
In den letzten zwei Jahrzehnten sind in Kolumbien über 2.700 Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen infolge ihrer arbeitsrechtlichen Aktivitäten ermordet worden. Die Aufklärungsquote bei diesen Verbrechen liegt - wie überhaupt bei politisch motivierten Gewalttaten in Kolumbien - bei unter zehn Prozent.
Neben der physischen Gewalt werden AktivistInnen häufig entlassen oder am Arbeitsplatz schikaniert. Diese brutale Verfolgung und Behinderung gewerkschaftlicher Tätigkeiten hat dazu geführt, dass heute nur mehr an die vier Prozent der arbeitenden Bevölkerung gewerkschaftlich organisiert sind.
Etwa 55 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder sind in der linken Einheitsgewerkschaft CUT organisiert, an die 15 Prozent im Dachverband CGT und zehn Prozent in der CTC. Zirka 20 Prozent verteilen sich auf über 2.800 Betriebsgewerkschaften.

Internet:
Amnesty International GewerkschafterInnen:
gewerkschafterinnen.amnesty.at

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