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Katharina Klee Katharina Klee, Chefredakteurin

Standpunkt

Meinung

Die Zärtlichkeit der Völker

Ich sei ein sonniges Gemüt, wird mir gerne und oft bestätigt - und das bin ich auch. Aber manchmal hilft nicht einmal das sonnigste Gemüt und der gemütlichste Sonnentag, wenn ich während des ersten Kaffees des Tages Nachrichten höre. Da schmeckt der Espresso gleich noch bitterer und zusätzlich zum Koffein überschwemmt Adrenalin meinen Körper. So auch an jenem Donnerstag Anfang Mai: Die Regierung unterzeichnet den sogenannten "Stabilitätspakt" zur sogenannten "Schuldenbremse". Die Parteien diskutieren über sogenannte "Transparenzvereinbarungen", über Moral und Kinderstube. Ein Demokratiepaket soll geschnürt werden und vor dem Korruptionsuntersuchungsausschuss kann sich niemand an etwas erinnern. "Was war mei Leistung?", fragen die Erfolg-Reichen aus der Leistungsträger-Generation. Und kassieren Millionen, während wir "über unsere Verhältnisse gelebt haben", wie man uns versichert, und "den Gürtel enger schnallen müssen". Noch mehr "Sparpakete" müssen gepackt werden - nach den "Rettungs-Paketen".

Verständliche Empörung

In Griechenland versuchen sie eine Regierung zu bilden, in Spanien gehen die Menschen wieder auf die Straße - Indignados, die Empörten. Und ihre Empörung kann man verstehen. Das meint auch die Theologin Ingeborg Gabriel, die ich an jenem Donnerstagvormittag für diese Ausgabe der A&W interviewe. Der Neoliberalismus habe in den letzten Jahrzehnten Gemeinwohl und Solidarität in Europa, in der Welt, in den Köpfen der PolitikerInnen verdrängt. Die Professorin für christliche Gesellschaftslehre malt dasselbe Zeitbild wie acht Stunden später der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch, der mit seinem aktuellen Buch "Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II" zu Gast bei den Wiener Stadtgesprächen ist.
Die Wirtschaft hat die Macht übernommen, das ist längst nicht nur in linken Kreisen ein offenes Geheimnis - die Politik wurde in Geiselhaft genommen von Banken und Konzernen. Gespart wird in erster Linie am Sozialstaat, eine Finanztransaktionssteuer rückt immer wieder in weite Ferne. Beide, Gabriel und Crouch, blicken wohlwollend auf die Gegenbewegungen der Zivilgesellschaft wie Occupy Wall Street - doch nicht ohne Sorge. Es bestehe die Gefahr der Instrumentalisierung und auch der Radikalisierung, warnen sie. Man könnte radikal werden, wenn man wie in dieser Ausgabe der A&W liest, dass das Jahreseinkommen mancher Vorstände börsennotierter Unternehmen hierzulande das 48-Fache der Einkünfte eines Arbeiters beträgt - in Zeiten, wo "wir alle sparen müssen". Es macht wütend, wenn auch ein Finanzminister glaubt, seine Steuern nicht bezahlen zu müssen. Und mitten drin Frank Stronach, der sich als selbst ernannter Heilsbringer aufspielt und mit seinem Leitbild "Wer das Gold hat, macht die Regeln" doch nur wirkt wie ein Lehrbeispiel der Crouch’schen Postdemokratie.

Gediegen, echt und fest

Aber wir haben ein Gegengift gegen Postdemokratie und neoliberale Eiszeit, auch wenn manche von uns es zwischen "Geiz ist geil" und "Jeder ist sich selbst der Nächste" fast vergessen haben: Die gute alte Solidarität, Grundwert der Gewerkschaftsbewegung. Das Wort kommt von solidar, gediegen, echt und fest - so wollen wir zusammenhalten. Und das ist mehr als ein "Like" im Internet, das Teilen eines Filmchens oder ein Flashmob. Solidarität erfordert Hinschauen, Nachdenken und Bekenntnis. Sie endet nicht vor der eigenen Haustür, sie reicht bis Spanien, Griechenland oder bis in die Sweatshops Asiens. Ihr Lohn ist - daran glaube ich mit meinem ganzen sonnigen Gemüt - eine bessere Welt oder wie Che Guevara meinte: "Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker." Solidarisiert euch!

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