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Kollabiert, aber nicht ohnmächtig Wenn es Zahntechnikern gestattet ist, den öffentlichen Raum mit abstrusen Sprüchen zu verunzieren, ist es an der Zeit, vernünftige Argumente verstärkt mit Emotionen zu begleiten.
Buchtipp

Kollabiert, aber nicht ohnmächtig

Schwerpunkt

Glaubwürdigkeit ist in der globalen Wirtschaft entscheidendes Kapital. Mit gezielten Aktionen werden auch große Konzerne an den Pranger gestellt.

Seit Juni 2010, so berichtet die Kampagne für Saubere Kleidung, sind in kambodschanischen Textilfabriken über 2.400 ArbeiterInnen kollabiert. Auch in den Zulieferbetrieben, die etwa für den schwedischen Modekonzern H&M produzieren, habe es Massenohnmachtsanfälle gegeben. Als Ursachen führt die Clean Clothes Kampagne, die in Österreich unter anderem von Südwind und der Gewerkschaft PRO-GE getragen wird, die schlechte Luft in den Betrieben und lange Arbeitszeiten ohne Pausen an.

Nike, nein danke!

Exkurs: Zeitgleich sind in Wien zwei Mädchen auf Shopping-Tour ohne Geld unterwegs. Sie wollen einmal so ausschauen wie die auf den Plakaten. Beim Ausgang piepst aber der Chip am bunten Top. "Das wird teuer", sagt der Kaufhausdetektiv. "Lohnt sich das wegen dieser billigen Fetzen?" Ob Wien die Bronx werden könnte? Dort, in New York, hatte es der Sozialarbeiter Mike Gitelson satt, die Jugendlichen in Nike-Schuhen zu sehen, die sich ihre Eltern eigentlich nicht leisten konnten. Gitelson sagte ihnen, was Sache ist: Die Arbeitskraft in Indonesien verdient zwei Dollar am Tag, ein Paar Schuhe kostet den Hersteller fünf Dollar. Die Kinder bzw. deren Eltern zahlen bis zu 100 US-Dollar für die prestigeträchtigen Tennisschuhe aus Asien. Fazit der Aufklärung des Streetworkers: Rund zweihundert Kids zogen vor die "Nike-Town", den Erlebnis-Supermarkt des Konzerns in N. Y., und kübelten den Sicherheitskräften alte Markentennisschuhe made in Indonesia vor die Füße. Das Ergebnis: Nike gab Missstände in den Betrieben zu und führte einige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen ein.

Solidaritätsromantik?

Wenn es Zahntechnikern gestattet ist, den öffentlichen Raum mit abstrusen Sprüchen zu verunzieren, ist es an der Zeit, vernünftige Argumente verstärkt mit Emotionen zu begleiten. Aber: "Die Lüge ist als Mittel untauglich", sagt ÖGB-Kampagnenprofi Willi Mernyi. Man müsse sich nicht auf das Niveau des Gegners hinunterbegeben. "Wir unterscheiden uns sehr wohl in Inhalt und Stil. Emotionalisierung und Personalisierung aber sind nötig. Kampagnen schaffen es, Solidarität nicht nur theoretisch, sondern gemeinsam zu erleben." Das geht in vielfältiger Weise. Entweder durch Menge und Stärke oder durch Phantasie, durch Witz und auch durch Konsequenz. Mernyi denkt an die fünf "PelzaktivistInnen", die sich jahrelang jeden Samstag vor einer Peek & Cloppenburg-Filiale in Wien platzierten. Das nervt auch große Konzerne - P&C verkauft keine Pelze mehr. Nun ist Kleiderbauer dran.
Die Beispiele gelungener Kampagnen und Aktionen zeigen, wie wichtig auch der Spaß an der Sache ist. So startete die Grazer Gewerkschaftsabendschule im Rahmen des Volksbegehrens "Sozialstaat Österreich" unter dem Titel "gerupfte Hühner" eine lustige Aktion, die einiges Aufsehen in der Grazer Innenstadt erregte. "Wirklichkeit ist, was wirkt", lautet eine weitere Regel erfolgreicher Kampagnen: So etwa die Aktion junger GewerkschafterInnen, die in einer Fußgängerzone gratis Schuhe von PassantInnen putzten, um auf das Recht auf Ausbildung von Jugendlichen hinzuweisen. Dass es den Beruf des Schuhputzers bald auch bei uns geben wird, wurde von einigen "Kundinnen" und "Kunden" doch für möglich gehalten. "Wir zählen zu sehr Misserfolge", bedauert Mernyi, "und zu wenig die Erfolgsgeschichten, wo wir das Ziel durch Zusammenhalt durchgesetzt, wo Betriebsrätinnen und Betriebsräte einen Missstand aufgedeckt und auch abgestellt haben."

Kampagne "Faire Arbeit"

Bündnispartner tragen zum Erfolg von Kampagnen wesentlich bei. So war es etwa mit der Kooperation zwischen Greenpeace und ÖGB gelungen, das sperrige Thema "Stopp GATS" erfolgreich zu transportieren. Ein ähnlicher Erfolg zeichnet sich bei der Kampagne faire Arbeit ab, die der ÖGB gemeinsam mit Südwind gestartet hat: Mehrere Tausend Unterschriften wurden Anfang Mai von ÖGB-Präsident Erich Foglar an Sozialminister Rudolf Hundstorfer übergeben. In der Petition werden die Regierungen aufgefordert, die grundlegenden Rechte für die Beschäftigten sicherzustellen. Die Betroffenheit ist einfach nachvollziehbar, schließlich wirken sich die Zustände in der internationalen Textil- und Bekleidungsindustrie unmittelbar auf den europäischen Arbeitsmarkt aus: Verlagern die Unternehmen ihre Produktion in Billiglohnländer, steigt die prekäre Beschäftigung in Österreich. "Konzerne wie H&M nehmen in Kauf, dass die ArbeitnehmerInnen in Entwicklungsländern zu Niedrigstlöhnen unter teils lebensgefährlichen Umständen ausgebeutet werden", kritisiert Stefan Kerl, Kampagnenleiter bei der entwicklungspolitischen Agentur Südwind. Inzwischen hat die Firma angekündigt, sich um menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Zulieferkette zu bemühen. Die weitere Forderung von ÖGB und Südwind sind unabhängige Kontrollinstanzen, die prüfen sollen, ob Ruhezeiten, Mindestlöhne und Schutzbestimmungen tatsächlich eingehalten werden.

Kuchen der Aufmerksamkeit

"Der Kuchen der Aufmerksamkeit wird täglich neu verteilt, es liegt an dir, mit deiner Kampagne ein Stück abzuschneiden", schreibt ÖGB-Kampagnenprofi Willi Mernyi in seinem Handbuch "Kampagnen und Aktionen erfolgreich organisieren". Das Buch (zweite Auflage 2007) hat nichts an Aktualität verloren - im Gegenteil. Große Unternehmen beschäftigten inzwischen gut bezahlte JuristInnen, um ArbeitnehmerInnenrechte erfolgreich zu umgehen. Betriebsrätinnen und -räte sowie ArbeitnehmervertreterInnen werden durch Standortkonkurrenz im In- und Ausland ausmanövriert. Auch durch Erpressung und Vortäuschung falscher Tatsachen, meint Mernyi. "Mehr denn je sind die Gewerkschaften auf die Kampf- und Aktionsbereitschaft ihrer Mitglieder angewiesen. Auch die Stärkung des internationalen Engagements wird für die Arbeitnehmervertretung zur Überlebensfrage."
Der Kampf um die öffentliche Aufmerksamkeit wird dabei immer härter: Allein in Deutschland, so berichtet Willi Mernyi, laufen derzeit rund 500 Kampagnen. Nur ein kleiner Bruchteil schafft es, sich medial durchzusetzen.

Personalisiere deine Gegner

"Immer stärker wird in Organisationen und Parteien die Frage von 'Negative Campaigning‘ diskutiert", führt Mernyi unter "Personalisiere deinen Gegner" - eine der "15 Regeln einer erfolgreichen Kampagne" - an. Vorbild könnten hier strategische Kampagnen von US-amerikanischen Gewerkschaften sein. Sie nutzen gezielt spezifische wunde Punkte eines bestimmten Arbeitgebers, um Aufmerksamkeit für Missstände zu erzielen.
Emotionen gewinnen in Politik und Kampagnen zunehmend an Bedeutung. So fordert etwa der Politikberater Thomas Hofer, hochemotionale Kampagnen wie jene von RechtspopulistInnen ebenfalls mit emotionalen Botschaften zu kontern. Dass gefühlsbetonte Kampagnen nicht per se niedrige Instinkte des Menschen bedienen, belegt Christoph Hofinger, Kampagnenexperte des SORA-Instituts, mit Daten aus der Gehirnforschung. Nicht nur Angst und Neid, auch Solidarität, Zusammenarbeit und Altruismus seien in unseren Gehirnen verankert. Gegenüber der Angst, so die These von Hofer und Hofinger, Co-Autoren des Buches "Emotions in Politics and Campaigning", sei positiver Enthusiasmus letztlich die stärkere Emotion, wenn auch schwieriger zu vermitteln.

Mitglieder an Kampagne beteiligen

Neue Wege will Willi Mernyi, Leiter des Referats für Organisation, Koordination und Service des ÖGB, beschreiten. Er denkt an ein Experiment: die Mitglieder direkt an einer Kampagne zu beteiligen. Wurde einmal die Entscheidung über das Thema der Kampagne getroffen, soll die Frage nach der Zeit der Mitarbeit gestellt werden. "Wenn tausend Leute eine Stunde für ein Thema investieren, kann einiges bewegt werden", meint Mernyi. Das komplexe Thema "Sozialstaat" würde sich als Thema eignen.

Internet:
Mehr Infos unter: www.fairearbeit.at 

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at 

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