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Solidarität in der Krise Man sieht, Solidarität muss nicht zwangsläufig mit Verzicht oder Einschränkung der Lebensqualität einhergehen (verständlicherweise ist diese Form der Solidarität besonders beliebt).

Solidarität in der Krise

Schwerpunkt

Ein Schlüsselwort der ArbeiterInnenbewegung ist wieder aktuell: Wie viel Solidarität können wir uns leisten, wenn die Zeiten schlechter werden?

Lena ist stinksauer: "Gabi und ich, wir hatten doch einiges gemeinsam. Während des Studiums waren wir beide politisch aktiv, ein paar Jahre danach waren wir zufällig gleichzeitig schwanger, unsere Kinder haben miteinander gespielt." Und dann war Gabis Mann zur selben Zeit wie Lena auf Jobsuche. "Ich hatte mir dieses Stellenangebot mit Leuchtstift markiert. Nach Gabis Besuch lag die Zeitung plötzlich nicht mehr auf dem Tisch. Als ich sie endlich fand, fehlte der Anzeigenteil." Zwei Wochen später erfuhr Lena, dass Gabis Mann den Job bekommen hatte. "Natürlich habe ich die Stellenanzeige schließlich auch im Internet gefunden, aber ich bin einfach enttäuscht über dieses unfaire Verhalten."

Nur die Hälfte ist zufrieden

Gute Jobs werden knapper, immer weniger Beschäftigte kommen mit ihrem Einkommen aus. Laut aktuellem Arbeitsklima Index ist der Anteil all jener, deren Einkommen gerade noch ausreicht, innerhalb eines Jahres von 44 auf 50 Prozent gestiegen. Parallel dazu sind die Werte bei "Zufriedenheit mit den Rechten bzw. der sozialen Position als ArbeitnehmerIn" deutlich gesunken. Mit ihrem sozialen Status sind aktuell nur 63 Prozent der Beschäftigten zufrieden, was den Tiefstwert seit der Einführung des Arbeitsklima Index vor 15 Jahren bedeutet. Auch eine aktuelle repräsentative Umfrage im Auftrag der Uni Kassel ergab, dass 60 Prozent der Deutschen ihre finanzielle Situation äußerst kritisch sehen, 40 Prozent machen sich große Sorgen um ihren Job.
Dass der Wind rauer wird, zeigt außerdem der Anstieg der Streitwertsummen in den AK/ÖGB-Rechtsschutzfällen: Allein im Burgenland sind diese von 2008 bis 2010 um mehr als 50 Prozent auf 10,5 Mio. Euro angewachsen.
Wie reagieren die Menschen angesichts allgegenwärtiger Sparmaßnahmen? Manche Studien prognostizieren einen Wertewandel, Freundschaft und Solidarität würden wichtiger, ergab etwa eine TNS-Emnid-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung 2009. Jede/r vierte Befragte gab an, dass die Familie an Stellenwert gewonnen habe. 85 Prozent wünschten sich einen stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt zwischen den Generationen. Offen blieb, ob die Befragten damit auch ihre eigenen guten Vorsätze meinten oder vor allem ihre Erwartungen an die Verwandtschaft.

Wer sind "die Guten"?

"Wer im Stich lässt seinesgleichen, lässt ja nur sich selbst im Stich … ", heißt es im Solidaritätslied von Bertolt Brecht, das zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929 entstanden ist. Doch heute ist die Rollenverteilung längst nicht mehr so klar. Meinesgleichen, wer ist das eigentlich? Wer sind die "Guten" und wer die "Bösen"? Mit wem soll/kann ich mich solidarisch fühlen? Mit meiner Familie, den Frauen, der 50-plus-Generation, den neuen Selbstständigen, der Umweltbewegung, mit den ausgebeuteten KaffeepflückerInnen und TextilarbeiterInnen oder aus aktuellem Anlass eher mit den notleidenden Griechinnen und Griechen?

24 Stunden Ausbeutung hautnah

Massenmedien, Globalisierung und das Internet haben die Welt zu uns nach Hause gebracht. 24 Stunden täglich können beziehungsweise müssen wir hautnah Ausbeutung und Unrecht auf der ganzen Welt miterleben. Wir wissen, dass in vielen Ländern noch immer ArbeiterInnen und auch Kinder für einen Hungerlohn schuften müssen. Wir sehen live die Bilder von Überschwemmungen, Ölteppichen, toten Vögeln und Fischen. Wir erfahren alles über den Klimawandel und dessen negative Auswirkungen auf bestimmte Regionen. Wir lesen, dass die Aktienerträge steigen und die Gehälter sinken. Wie sollen wir uns entscheiden, für wen wir uns einsetzen?
Solidarität ist nach wie vor gefragt und wichtig, aber ihre Erscheinungsformen haben sich zum Teil genauso verändert wie die Technologien oder die Arbeitswelt. "In vielen Demokratien geht es jetzt nicht mehr darum, gleiches Recht für alle zu erkämpfen", so der Historiker und Autor Pierre Rosanvallon bei einem Vortrag im vergangenen Herbst in Wien, "sondern jeder Einzelne strebt danach, in den Augen der anderen wichtig und außergewöhnlich zu sein …" Man will nicht mehr Gleiche/r unter Gleichen sein, und dazu gehört auch, dass man sich seinen Platz in der Gesellschaft aussuchen möchte, dass man selbst entscheiden will, wo man dazugehört.

Solidarität 2.0

Solidarität, diese kann - wie bei der Occupy-Bewegung - tatsächlich so wie früher in Form von Aktionen und Demos auf der Straße stattfinden, aber auch einfach nur per Mausklick auf Facebook. So geschehen beispielsweise im vergangenen März, als ein Designer aus Tel Aviv mit den Sätzen "Iraner, wir werden euer Land nicht bombardieren. Wir lieben euch." unter einem privaten Foto von sich und seiner Tochter eine Facebook-Kampagne startete. Innerhalb kürzester Zeit hatten sich tausende Menschen beteiligt und die Aktion fand einige NachahmerInnen.
Man sieht, Solidarität muss nicht zwangsläufig mit Verzicht oder Einschränkung der Lebensqualität einhergehen (verständlicherweise ist diese Form der Solidarität besonders beliebt). Man kann auch einfach entsprechend bedruckte T-Shirts, Buttons oder Taschen durch die Gegend tragen - das bedeutet eine geringe Investition und meist wenig Risiko. Noch angenehmer fühlt sich Solidarität in Form des Erwerbs von Bio-Lebensmitteln an. Sie sind zwar nach wie vor etwas teurer als herkömmliche Produkte, aber mittlerweile ja auch in Supermärkten erhältlich. So tut man seiner Gesundheit etwas Gutes, schont gleichzeitig die Umwelt und hilft den Bäuerinnen und Bauern. Sarkasmus beiseite (auch ich hatte einen Anti-AKW-Button und kaufe Bio-Produkte), tatsächlich wird Fairtrade-Ware in Österreich immer beliebter, 2011 hat die Organisation erstmals mehr als 100 Mio. Euro umgesetzt. Das bedeutet eine Steigerung von stolzen 15 Prozent gegenüber 2010. Verantwortlich dafür sind die größere Produktvielfalt mit neuen Eigenmarken, mehr Lizenzpartnerfirmen, ein stärkeres Engagement des Handels und in der Gastronomie. Aber auch öffentliche Einrichtungen und Gemeinden wie die Stadt Wien haben ihren Einkauf entsprechend umgestellt.

Keine Wertekrise

Noch eine gute Nachricht zum Schluss: Im fünften Jahr der Rezession und angesichts einer Erwerbslosenquote von 21 Prozent gibt es aus Griechenland nicht nur Berichte von öffentlichen Suppenküchen und hungernden Menschen, sondern auch viele Beispiele für Erfindungsreichtum und Solidarität. So berichtete die britische Zeitung "The Guardian" im vergangenen März etwa von einem Universitätsprofessor, der mit seiner Idee der Direktvermarktung von Kartoffeln an die VerbraucherInnen quasi den Grundstein für mehrere kleine Shops gelegt hat, in denen die Waren an alle Mitglieder fast zum Selbstkostenpreis verkauft werden.
In den Schulen fehlt das Geld für Förderunterricht, Bücher usw. Viele Eltern können sich keine Nachhilfestunden leisten. So entstand aufgrund einer einzigen Twitter-Meldung im Dezember 2011 ein TutorInnenpool von rund 500 Menschen, die gratis Nachhilfeunterricht für verarmte Kinder anbieten. Der Unterricht findet zum Teil sogar über Skype statt.

Lebensmittel für Theaterkarten

Regionale Währungen und Tauschbörsen entstehen, an denen von MedizinerInnen über LehrerInnen, BuchhalterInnen und FriseurInnen bis hin zu LandwirtInnen so gut wie alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind. Selbst in den Großstädten ist es teilweise möglich, Theaterkarten mit Lebensmitteln zu bezahlen.
"Ich habe im vergangenen Jahr wirklich ermutigende, spannende Dinge gesehen", berichtet eine Mitarbeiterin von "Médecins Sans Frontières" in Griechenland im "The Guardian"-Interview. "Die Menschen hier erleben die Stärke der Selbstorganisation, der Selbsthilfe und der gegenseitigen Unterstützung. Das ist wundervoll und es gibt mir die Kraft weiterzumachen."

Internet:
TNS-Emnid-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung 2009: tinyurl.com/yz7o6cw
Fair Trade: www.fairtrade.at 

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at 

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