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China - die gelbe Gefahr? Kein Wunder, dass China von vielen als die "gelbe Gefahr" wahrgenommen wird und die Angst groß ist, dass "die Chinesen" uns die ­Arbeitsplätze wegnehmen. Aber ist das so?

China - die gelbe Gefahr?

Schwerpunkt

"Einmal sehen ist besser als hundertmal hören." (Chinesisches Sprichwort)

Weltumspannend arbeiten - der entwicklungspolitische Verein im ÖGB - organisierte im März 2012 bereits zum zweiten Mal eine Begegnungsreise für österreichische Betriebsrätinnen und Betriebsräte sowie GewerkschafterInnen in die Volksrepublik China, um die dortigen betriebsrätlichen und gewerkschaftlichen Strukturen zu erkunden. Der Informations- und Erfahrungsaustausch mit Kolleginnen und Kollegen in der Volksrepublik China hat uns geholfen, Zusammenhänge zu erkennen und auch besser zu verstehen. Neben Betriebsbesuchen wurden ArbeitnehmervertreterInnen und Gewerkschaften besucht, aber auch Informationen von ArbeitsrechtsexpertInnen und zivilgesellschaftliche Gruppen eingeholt. Die Reise führte von Shanghai (HOERBIGER, AVL List Technical Center, SKF Automotive Technology) über Suzhou (Miba Precision Components), Nanjing (Lenzing Nanjing Fibres, Linz Textil) nach Peking (PharmOps China - Beijing Novartis Pharma). Sie ist Teil des Projektes "Von der Werkbank zur Weltbank - Chinas neue Rolle verändert die Welt" von weltumspannend arbeiten und wurde durch die Austrian Development Agency gefördert.

Angst vor Arbeitsplatzverlust

Es ist keine Neuigkeit, dass Unternehmen oft sehr gekonnt Druck auf ihre MitarbeiterInnen ausüben, indem sie das Damoklesschwert der Standortschließung über ihre Arbeitsplätze hängen. Kein Wunder, dass China von vielen als die "gelbe Gefahr" wahrgenommen wird und die Angst groß ist, dass "die Chinesen" uns die Arbeitsplätze wegnehmen. Aber ist das so? Erlaubt die Tatsache, dass ein neues SKF-Werk in Dalian eröffnet wurde, den Rückschluss, dass Arbeitsplätze in Österreich wegfallen? Ist eine geplante Verdoppelung der Produktion bei Miba Precision Components in Suzhou ein Hinweis darauf, dass Stellen bei uns abgebaut werden? Ist eine Erweiterung der Produktionslinien bei Lenzing Nanjing Fibres der erste Schritt in Richtung Arbeitsplatzabbau in Österreich?

Direktbegegnungen entschärfen

In allen besichtigten Unternehmen wurde uns bestätigt, dass die Produktion für den Binnenmarkt erfolgt und die Wertschöpfung somit in China bzw. Asien bleibt. Für den Markteintritt sei es jedoch unerlässlich, vor Ort zu sein. So erzählt Miba-Betriebsrat Forstner: "Wir hätten keine Chance in China, wenn wir nicht in China produzieren lassen würden." Auch Lenzing fürchtet keine Unternehmensverlagerungen: "Die Weltbevölkerung steigt und der Bedarf an Fasern wächst, somit ist es positiv für uns, wenn wir neue Märkte erschließen."
Laut Auskunft von Arnulf Gressel (AußenhandelsCenter in Peking) sind Österreichs wichtigste Exportwaren nach wie vor Maschinen und Anlagen, elektronische Maschinen und Geräte, Mess- und Prüfgeräte, Spezialfahrzeuge, Fahrzeugkomponenten und Lieferungen an die Eisenbahnindustrie. Bei unseren Besichtigungen konnten wir uns auch selbst davon überzeugen. Es wurde an Maschinen gearbeitet, die in Österreich bzw. Europa hergestellt und auch bei uns eingesetzt werden. SKF-Betriebsrat Farthofer bestätigt: "Der chinesische Standort könnte theoretisch überall auf der Welt sein, weil er dem österreichischen so ähnelt." Angst überkomme ihn trotzdem keine, da im Werk ausschließlich für China produziert werde und das österreichische Arbeitstempo hier nicht gehalten werden könne. Was auch Hoerbiger-Betriebsrat Molnar beruhigt: "Das Management in Österreich erzählt uns, die Chinesen würden schneller und produktiver arbeiten, um uns unter Druck zu setzen. Jetzt haben wir gesehen, dass es in unserem chinesischen Werk eigentlich viel gemütlicher zugeht."

Kern-Know-how in Österreich

Das Kern-Know-how ist nach wie vor in Österreich, und das soll in den nächsten Jahren auch so bleiben, wie uns Novartis-Betriebsrätin Stipanovsky bestätigt: "Verschiedenes muss ohnehin in Österreich produziert werden, weil China noch nicht auf dem technischen Stand Österreichs ist." Forschung und Entwicklung ist noch immer der klare Wettbewerbsvorteil der besuchten Unternehmen. In den nächsten Jahren sollte niemand um seinen Arbeitsplatz fürchten müssen, erklärt AVL-Betriebsrat Wimmler: "Was AVL in anderen Ländern macht, geht nicht auf Kosten der ArbeitnehmerInnenentwicklung in Österreich." Anders sieht es vermutlich in Betrieben aus, die keine Forschung und Entwicklung in Österreich haben, am inländischen Unternehmensstandort lediglich produzieren lassen und dadurch keine Nische besetzen. Darüber waren jene Kolleginnen und Kollegen in unserer Reisegruppe beunruhigt, die in solchen Konzernen arbeiten.
Die Erfahrung in den besuchten Betrieben zeigt, dass nicht (mehr) die billigen Arbeitskräfte der Grund sind, einen Unternehmensstandort in China zu betreiben. Zum Glück verliert China zunehmend den für viele ArbeitnehmerInnen sehr bitteren Beigeschmack "Billiglohnland". Mittlerweile unternimmt die Regierung Chinas große Anstrengungen, um die Binnennachfrage zu stärken und die Abhängigkeit vom Außenhandel zu minimieren. So ist ein großes Ziel von Chinas Regierung im Fünfjahresplan von 2011-2015, ein nachhaltiges Wachstum bei Ausgleich sozialer Entwicklungsdifferenzen zu schaffen - von "glücklichem Wachstum" wird gesprochen. Die Mindestlöhne sollen jährlich um 13 Prozent steigen.

Chinas Wirtschaftswachstum

Seit China 1976 mit seiner Öffnungspolitik begonnen hat, geht es mit seiner Wirtschaft rasant bergauf. Alle Prognosen zum Wirtschaftswachstum wurden bisher immer übertroffen. So verzeichnete China in den letzen Jahren ein jährliches reales BIP-Wachstum von mehr als zehn Prozent, 2011 lag es bei 9,2 Prozent.1 Zum Vergleich: Das reale BIP-Wachstum 2011 in Österreich lag bei 3,1 Prozent.2 Zudem hört man immer wieder aus der Medienlandschaft, dass China die Welt aufkauft und es auch in Österreich bereits erste Übernahmen gab, wie z. B. beim Flugzeugzulieferer FACC mit Standort Oberösterreich oder dem Motorenhersteller ATB Austria in der Steiermark. China ist mittlerweile nicht nur mehr Empfängerland von ausländischen Drittinvestitionen, sondern investiert auch zunehmend in ausländischen Märkten. Die Direktinvestitionen, die China im Ausland tätigte, lagen 2010 bei 69 Mrd. USD. Obwohl die chinesischen Investitionen in der EU steigen, nehmen sie mit neun Prozent im Jahr 2010 nach wie vor eine untergeordnete Rolle ein. Die ausländischen Direktinvestitionen in China beliefen sich dazu im Vergleich im Jahr 2010 auf 106 Mrd. USD.

Die Kehrseite der Medaille

Die Situation und die positive Entwicklung Chinas wirken sich auf die/den Einzelne/n aber nicht so rosig aus. Das Pro-Kopf-BIP lag 2011 bei 8.382,00 USD, im Vergleich dazu Österreich: 41.822,00 USD.3
Nach wie vor gibt es Millionen von Menschen, die an der positiven Entwicklung nicht partizipieren. Jährlich ziehen Millionen von WanderarbeiterInnen vom Land in die Stadt und hoffen durch die Arbeit in einer Fabrik auf ein besseres Leben. Dafür nehmen sie oft jahrelange Trennungen von ihren Familien in Kauf. Erwartet werden sie von ausbeuterischen Bedingungen, die ein Leben und Arbeiten in Würde kaum ermöglichen.

Global agieren, ganzheitlich denken

Die von uns besuchten Betriebe sind allesamt Vorzeigebetriebe im Hochtechnologiebereich, die uns gelehrt haben, dass in China derzeit vieles parallel verläuft: Arbeitsbedingungen nach unserem Standard neben völlig ausbeuterischen Strukturen. Daher ist es wichtig, beide Seiten zu sehen. Oft fertigen gerade jene, die der größten Ausbeutung ausgesetzt sind, die Kleidung, die wir tragen, Spielzeug, das wir unseren Kindern geben und Elektronikmaterial, mit dem wir unseren Arbeitsalltag erleichtern oder unseren Freizeitbeschäftigungen frönen.
Wenn wir global agieren, müssen wir auch lernen ganzheitlich zu denken. Es ist in unserem Sinne, wenn sich China wirtschaftlich positiv entwickelt, dadurch ein Mittelstand entsteht und als Folge für uns die Gefahr des Lohndumpings nachlässt. Schließlich geht es ja um Wohlstand für alle auf dieser Welt.

1 tinyurl.com/yjovfug
2 tinyurl.com/44p3jd
3 World economic outlook 2012, knoema.com/IMFWEO2012Apr
 

Internet:
Mehr Infos unter: www.weltumspannend-arbeiten.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin eva.prenninger@oegb.at oder  die Redaktion aw@oegb.at 

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