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Wer fürchtet die Angst? Das funktioniert vielleicht bei der Coulrophobie noch ganz gut, der Angst vor Clowns. Bei der sozialen Phobie wird das schon erheblich schwieriger.

Wer fürchtet die Angst?

Schwerpunkt

Gerade in den westlichen Industriegesellschaften leiden immer mehr Menschen unter Angststörungen.

Ich gehe an der Menge vorbei Richtung Podium. Ich spüre sie langsam in mir aufsteigen, den Rücken hinaufkriechen. Mein Herz pocht laut, Hitze steigt in mir auf, Schweißperlen auf meiner Stirn. Ich habe Angst!"
Wer kennt das nicht? Eine Präsentation, ein Vorstellungsgespräch, eine große Spinne und wir spüren sie, die Angst. Unsere Aufmerksamkeit erhöht sich, die Atmung wird flacher und beschleunigt, Blut wird in die Mus-keln gepumpt, alle Sinne laufen auf Hochtouren. Unser Körper wird aufs Höchste aktiviert, bereitet sich auf eine erwartete Bedrohung vor. Angst hat Sinn. Die Urfunktion dahinter ist - wie so oft - in unserer evolutionären Vergangenheit zu finden: Unser Körper wird so auf Kampf, Flucht oder Verharren vorbereitet.

Angst vs. Furcht

Grundsätzlich gilt es, im Sprachgebrauch zwischen Angst und Furcht zu unterscheiden. Furcht ist die Reaktion auf eine konkrete Bedrohung, wie beispielsweise einen Säbelzahntiger, der uns den Weg versperrt. Nun kommen wir heute in Österreich relativ selten in wahrlich furchterregende Situationen. Nicht nur deswegen, weil der Säbelzahntiger bereits lange ausgestorben ist, sondern auch, da konkrete Bedrohungen in zivilisierten Gesellschaften weitgehend reduziert sind. Sicherheit und Kontrolle lassen uns scheinbar entspannt das Leben genießen. Angst hingegen ist diffus, objektungebunden. Für sie gibt es keinen konkreten Grund. Beispiel dafür ist die Angst als Kind, in den Keller zu gehen oder allein in der Dunkelheit zu sein. Allein unsere Phantasie über mögliche Bedrohungen lässt uns Angst empfinden. Warum hilft Vernunft nicht gegen Angst? Hier werfen wir zum besseren Verständnis einen Blick auf die physiologischen und zerebralen Korrelate von Angst. Was passiert in unserem Gehirn? Wo ist die Angst überhaupt lokalisiert? Die Amygdala hat die Größe und Form eines Mandelkerns, ist für Angst und Aktivierung zuständig und sitzt ganz weit drinnen in unserem Gehirn. Das bedeutet, die Amygdala ist entwicklungsgeschichtlich sehr alt.
Die Sache mit der Amygdala ist, dass sie vor unser Bewusstsein geschaltet ist. Man hat also Angst, ohne dass man sich bewusst ist warum, und auch ohne durch Gedanken beeinflussen zu können, ob die Angst gerechtfertigt ist oder nicht. Deswegen bringt es nichts, beispielsweise einer Person, die an Spinnenangst leidet, die Ungefährlichkeit der Spinne oder einer Person, die gegen Höhenangst kämpft, die Sicherheit einer Brücke zu erklären.

Krankheit Angststörung

Das Phänomen der Angststörung nimmt in unseren westlichen Gesellschaften verstärkt zu. Allein in Europa litten 2010 über 61 Mio. Menschen an einer Angststörung, mehr als doppelt so viele, wie an einer Depression leiden.
In Industrieländern erkranken weit mehr Personen an einer Angststörung als in weniger wohlhabenden Ländern. Es gibt, wie so oft, verschiedene Elemente, die das Auftreten einer Angststörung begünstigen: Genetische Faktoren als auch verschiedene umgebungsbedingte Stressfaktoren. So gilt ein hoher Zusammenhang zwischen körperlichem Missbrauch und Angststörungen als bestätigt. Das erscheint ja noch logisch.
Auch Religiosität hat einen bedeutenden Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Angststörung. Glaube und Angst hängen negativ miteinander zusammen. Je stärker der Glaube, umso geringer ist das Risiko, eine Angststörung zu entwickeln. Die Erklärung dafür kann folgende sein: Da Gott oder ein höheres Wesen einen Plan für mich hat, mit dem Tod das Dasein nicht endet, gibt es weniger zu fürchten.

Großstadt macht Angst

Nun existieren auch Ergebnisse aus Studien, die nicht ganz so einfach zu erklären sind. Man hat die Aktivität der Amygdala, die wir bereits kennengelernt haben, bei Menschen vom Land und aus der Stadt in objektiv gleich stark stress- und angstauslösenden Situationen gemessen. Die Amygdala der Landbevölkerung blieb im Schnitt relativ entspannt, während die Stadtamygdala sehr aktiv wurde.
Es ist bewiesen worden, dass Menschen, die in einer europäischen Großstadt leben, ein eineinhalbfach erhöhtes Risiko aufweisen, eine Angststörung zu entwickeln.
In Städten sind wir hohem sozialen Stress ausgesetzt, wir haben ständig Menschen um uns und kommen kaum zum Stillstand. Geografisch zwar weit weg, thematisch jedoch nahe, findet hier die Frage eines Schamanen aus dem südamerikanischen Urwald Anwendung. "Wann hast du aufgehört, Ruhe zu ertragen?", fragt er an Traurigkeit leidende PatientInnen.

Flucht vor Momenten der Ruhe

In Städten sind wir rund um die Uhr beschäftigt, sodass wir uns nicht mehr die Ruhe gönnen, die unsere Seele braucht, damit sie all die täglich neuen Eindrücke und Gefühle verarbeiten kann. Viele flüchten vor Momenten der Ruhe, weil sie da vielleicht Emotionen spüren würden, die nicht erwünscht sind.
Die gesellschaftliche Entwicklung Richtung Freiheit und Selbstbestimmung hat nicht nur positive Seiten, Freiheit macht uns auch Angst. Autoritäre Strukturen fallen zunehmend weg. Wir leben in Europa in einer Welt voller Optionen, in Städten noch viel mehr. Jede/r darf und kann immer mehr machen, wir sind unseres eigenen Glückes Schmied. Das klingt eigentlich toll! Im Umkehrschluss bedeutet es jedoch auch, dass wir alle unseres Unglückes Schmied sind. Das baut einen starken Druck auf und macht Angst in einer Leistungsgesellschaft, wo die Menschen an ihrem Erfolg gemessen werden. Von der Angst zur Angststörung - was tun dagegen? Die Symptome der Angststörung sind die der Angst oder Furcht, nur beeinträchtigen sie das Leben der betroffenen Person. Man bekommt Panik, die Kehle schnürt sich zu, und das in alltäglichen Situationen, sei es im Supermarkt in der Warteschlange an der Kasse, in einem vollen Lift oder in den Momenten, wenn man vor einer Menschenansammlung eine Präsentation halten soll. Einkaufen oder ein Amtsweg werden zur Qual. Wir sind soziale Wesen und wenn soziale Prozesse angstauslösend wirken, fehlt anderen Teilen unserer emotionalen Welt das angstauslösende Objekt, nämlich der Kontakt mit anderen Menschen. Im manchen Fällen führt diese Störung bis zur völligen sozialen Isolation. Hier entsteht gewaltiger Leidensdruck und in der Folge entwickeln sich auch andere psychische Störungen, wie beispielsweise die Depression.

Face your fears!

Aus unserer Geschichte heraus ist es die natürliche Reaktion, eine angstauslösende Situation zu vermeiden. Ein Beispiel: Wurde ich im Parkhaus nachts überfallen, werde ich Parkhäuser zur späten Uhrzeit meiden. Unser Gehirn lernt, wenn wir ähnlichen Situationen ausweichen, dann geht es uns besser. "Vermeidung hilft", sagt unser Instinkt. Immer weitere Situationen werden vermieden, die Angst wird gefüttert. Und mehr und mehr dominiert die Angst unser Leben. Deswegen lautet eine der Regeln zur Angstbewältigung: "Face your fears". Suchen Sie angstauslösende Situationen absichtlich! Hält man mit Unterstützung die Angstsituation aus, passiert folgendes: Die Angstsymptome können nicht ewig ansteigen, das ist ein physiologisches Faktum. Bleibt man in der Situation, nehmen die Symptome schließlich ab. Das Herz schlägt wieder langsamer, man entspannt sich. So lernt unser Gehirn, dass Angst nicht bis ins Unendliche ansteigt, sondern irgendwann ein Limit erreicht und wieder abflaut. Das nächste Mal ist diese Situation dann nicht mehr so angstbesetzt, da man weiß, dass man sie schon erfolgreich ausgehalten und bewältigt hat.

Angst zu haben ist normal und gut

Regeln zum Umgang mit Konfrontation: Erwarten Sie nicht gleich völlige Angstfreiheit und seien Sie schon auf kleine Erfolge stolz! Nehmen Sie sich Zeit in Angstsituationen! Die Belohnung stellt das Gefühl dar, sich überwunden zu haben, und das ist ein geniales. Die Essenz: Angst zu haben ist normal und gut. Der Umgang damit ist entscheidend.

Internet:
Mehr Infos unter: www.angst.org

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor sk@sekoerber.com oder die Redaktion aw@oegb.at 

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