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Spiel und Ernst Wir werden zunehmend zur Abstimmung auch über die Politik nach den Kriterien "gefällt mir" bzw. "gefällt mir nicht" oder "bereitet mir Lust" bzw. "bereitet mir Unlust" verhalten.

Spiel und Ernst

Schwerpunkt

Wozu spielen wir, was ist der Zweck des Spielens? Diese Frage mag ungewöhnlich erscheinen, und tatsächlich stellen wir sie uns kaum je.

Meist erscheint uns das Spiel zuerst als etwas, das nicht „ernst“ ist. „Halt“, wird da jemand rufen, „schau nur, mit welcher Verbissenheit oft um einen Ball gelaufen wird, oder wie sich jemand ärgert, wenn das Sudoku nicht aufgelöst werden kann.“ Das stimmt natürlich und daher muss geklärt werden, was hier mit „Ernst“ im Gegensatz zu „Spiel“ gemeint ist.

Spiel hat seinen Zweck in sich selbst

Denken wir an eine Laiengruppe, die ein Stück aufführt. In diesem Stück heiraten ein Bursch und ein Mädchen. Sie geben sich also das Jawort. Sind sie dann wirklich verheiratet? Natürlich nicht. Auch dass sie das Stück mit großer Leidenschaft aufführen und das Publikum äußerst ergriffen ist, ändert daran nichts. Aus dem „Ich will“ auf der Bühne folgen keinerlei reale Verpflichtungen, wie sie sich aus der Eheschließung ergeben. Diese Heirat ist also nur ein Spiel, sie hat keinen Zweck außer dem, dass eben etwas gespielt wird.
Anders gesagt, das Spiel hat seinen Zweck nur in sich selbst. Das unterscheidet es von ernsten Dingen. Was wäre hier ernst? Stellen wir uns vor, die Braut im Stück kann den Bräutigam nicht wirklich leiden, daher möchte sie auch diese Rolle nicht gern spielen und sie lässt es bleiben. Das wird die Gruppe nicht freuen und sich vielleicht zu einem sozialen Problem für sie entwickeln – mehr wird aber nicht geschehen. Stellen wir uns nun aber vor, es handelt sich um BerufsschauspielerInnen und die Braut macht nicht mehr mit. Dann verliert sie die Arbeit, sie wird vielleicht kein Engagement mehr bekommen und für längere Zeit arbeitslos sein. Man wird sagen: Die engagieren wir nicht, weil sie nicht verlässlich ist. Wir haben hier also einen zweifachen Unterschied: Einmal den Unterschied zwischen Schauspiel und Realität, und dann den Unterschied zwischen dem Spielen selbst als Spiel und als Beruf.
Bleiben wir ein wenig bei diesem zweiten Unterschied – er ist inzwischen sehr bedeutsam geworden. Blicken wir dazu auf den Sport, der ja auch eine Art von Spiel darstellt. Als Spiel ist der Sport nicht „ernst“, in dem Sinn, wie wir es oben beschrieben haben. Man kann ihn zwar mit Leidenschaft betreiben, aber er hat eigentlich keinen Zweck außer dem, dass wir eben spielen. Und man kann durchaus sagen, dass das Spielen ein großes Bedürfnis der Menschen ist. In der Form, in welcher der Sport gegenwärtig etwa in den Massenmedien erscheint, ist er jedoch ein Beruf geworden, also etwas „Ernstes“, wovon die Existenz der SportlerInnen abhängt. Wenn, wie neulich geschehen, ein Profifußballer sich weigert eingewechselt zu werden, dann verliert er wegen Arbeitsverweigerung seinen Job.

Fließende Übergänge

Zugleich ergibt sich die Faszination des Sports aber daraus, dass er ein Spiel ist, also um seiner selbst willen betrieben wird und nicht, weil die SportlerInnen einer Arbeit nachgehen. Man sieht daran, wie Spiel und Ernst ineinander übergehen – und das wird vielfach genützt. Gerade daraus, dass das Spiel ohne reale Folgen bleibt, ergibt sich eine besondere Qualität.
Nehmen wir dafür als Beispiel nochmals unser Brautpaar, und zwar im echten Leben. Da die Brautleute noch unsicher sind, was sie erwartet, werden sie ihr Jawort proben und in mehreren Varianten durchspielen, wie sie es dann im Ernst am besten machen. Das Spiel setzt also, eben weil es ohne reale Folgen bleibt, viel Fantasie und Kreativität frei. Dieser Umstand findet auch in der Arbeitswelt Beachtung, etwa in Rollenspielen oder in Organisationsaufstellungen. Die Konsequenzen in der Realität können dann tiefgreifend sein – im positiven ebenso wie nur zu oft auch im negativen Sinn.

Unsere Gesellschaft spielt gerne

Unsere modernen Gesellschaften sind sehr spielorientiert. Das hat mehrere Gründe: Erstens werden durch die Industrialisierung die Güter des Lebensbedarfs heute schneller und in höherer Zahl hergestellt als je zuvor. Das ermöglicht uns, mehr Zeit mit anderen Dingen als dem bloßen Erwerb des Lebensunterhalts zu verbringen.
Zum zweiten erlauben die neuen Kommunikationstechniken, Ereignisse, auch solche von spielerischem Charakter, in Echtzeit und über weite Entfernungen zu verfolgen.
Drittens schließlich hat die weitgehende Ersetzung der körperlichen Arbeit dazu geführt, dass unsere Körper für andere Verwendungen frei geworden sind. Daraus erklären sich Modellierungsbestrebungen wie Schönheitsoperationen, Fitnessstudios, Castingshows, Tattoos und Piercings. Die Freisetzung des Körpers hat diesen selbst zur Spielfläche werden lassen.
Die zunehmende Spielorientierung kann am Beispiel des Kochens dargestellt werden. Kochen dient der Befriedigung eines elementaren Bedürfnisses, des Hungers. Es ist also kein Spiel, das seinen Zweck in sich selbst hat.

Ästhetisierung des Sattwerdens

Einen großen Teil der Arbeitszeit wendeten die Menschen seit jeher für das schlichte Sattwerden auf. Was wir aber gegenwärtig sehen ist, dass die Kochsendung eines der beliebtesten Formate der Massenmedien, insbesondere des Fernsehens, geworden ist. Es geht darin nicht mehr um das Sattwerden, sondern um die Form, in der die möglichst vielfältigen und auch exotischen Materialien verarbeitet werden, um schönes Essen.
Wir können daher von einem Übergang von der Bedürfnisbefriedigung zur Ästhetisierung sprechen, die durch den vorhandenen Überfluss und die Verfügbarkeit möglich geworden ist. Ästhetisierung meint hier die Beurteilung nach der Form, das Gefallen bzw. Nicht-Gefallen, Lust bzw. Unlust daran. Je mehr wir von der elementaren Last des Kochens befreit sind, desto mehr betrachten wir es als Spiel, sei es als ZuschauerInnen oder als Handelnde.

Ersetzung der Politik durch Ästhetik

Damit sind wir beim Thema Brot und Spiele. Weiter oben wurde vom ineinander Übergehen von Spiel und Ernst gesprochen. Wir sehen nun, dass die Formate der ästhetischen oder spielerischen Darstellung in unserer Kultur aufgrund der Veränderung der Lebensweisen und der Kommunikationstechniken zunehmen.
Wir werden verstärkt zur Abstimmung auch über die Politik nach den Kriterien „gefällt mir“ bzw. „gefällt mir nicht“ oder „bereitet mir Lust“ bzw. „bereitet mir Unlust“ angehalten. Die Politik ist jedoch das Feld, auf dem Gemeinwesen über ihre Geschicke bestimmen. Und auf diesem Feld müssen oft Dinge getan werden, die nicht angenehm sind oder ohne Weiteres Gefallen finden können. Auch für uns persönlich gilt, dass wir manches tun, weil wir es für richtig halten, auch wenn es nicht Lust und Gefallen bereitet, sondern vielleicht Mühe kostet. Wir handeln dann aus ethischen Gründen. Vielfach wird daher von der Gefahr der Ersetzung der Ethik und Politik durch die Ästhetik gesprochen, von einer „Gesellschaft des Spektakels“, so ein Buchtitel von Guy Debord schon 1962.
Historisch betrachet war es der deutsche Philosoph Walter Benjamin, der Anfang der 1930er-Jahre erstmals auf den Faschismus als „Ästhetisierung der Politik“ hingewiesen hat. Parteitage werden zu Shows, Possen, Schauspielaufführungen, eine Aufspaltung der Politik in aktive DarstellerInnen und johlendes Publikum ist zu sehen.
„Brot und Spiele“ meint in dieser Hinsicht also nicht so sehr, dass die Menschen durch ein Übermaß an Spielen vom Brot, von den ernsten, wichtigen Dingen abgelenkt werden. Das ist der traditionelle Kritikpunkt, der sich unter anderem deshalb als problematisch erweist, weil er gegenüber dem Spiel, einem menschlichen Grundbedürfnis, negativ eingestellt ist. „Brot und Spiele“ ist insofern bedenklich, als es die „ernsten“ Dinge mit dem Format des Spektakels abhandelt.

Ernst und Spielrisch zugleich

Was ist nun dagegen zu tun? Jedenfalls wäre es falsch, das Spielerische aus dem Politischen austreiben zu wollen. Das funktioniert in unserer Welt nicht mehr. Es gibt viele Formen, die kreativen, schöpferischen Momente des Spiels auch für die „ernsten“ Dinge nutzbar zu machen – daran muss man arbeiten, ernst und spielerisch zugleich.

Internet

Mehr Infos unter:
www.dw.de/dw/article/0,,15821087,00.html

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor alexander.schneider@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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