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3.000 Jahre Sport und Politik Um Volksaufstände zu verhindern, organisierten die römischen Kaiser gigantische (und opferreiche) Sportveranstaltungen, bei denen an die verarmten Massen Brot und andere Nahrungsmittel verteilt wurden.
Buchtipp

3.000 Jahre Sport und Politik

Schwerpunkt

Nicht erst seit den römischen Kaisern, die auf Brot und Spiele - panem et circenses - setzten, sind Politik und Spiel bzw. Sport eng miteinander verbunden.

17. Februar 2013: Letzter Tag der Skiweltmeisterschaft in Schladming. Als Höhepunkt steht der Slalomlauf der Männer am Programm. Im Starthaus verstummt das hektische Treiben und macht angespannter Stille Platz. Der letzte Läufer des 2. Durchganges geht in Startposition. Der kalte Schnee knirscht unter seinen Skiern, weit weg tost leise der Applaus zigtausender ZuschauerInnen im Zielraum. Aus den Lautsprechern kündigt eine Stimme euphorisch den letzten Läufer an: „Werner Faymann!“ Das Publikum kreischt vor Begeisterung als Fayman sich aus dem Starthaus stößt. In geschmeidigen Bewegungen gelingt es ihm, sich um die Slalomhürden zu schlängeln. Nach dem dritten Tor jedoch zieht das Publikum erschrocken die Luft ein. Faymann ist gestürzt. Doch während die Fans sich noch unsicher ansehen, rappelt sich der Läufer wieder vom Boden auf und fährt wie selbstverständlich neben dem gesteckten Slalomkurs bis ins Ziel. Dort wird er unter Brechung sämtlicher Spielregeln zum Sieger gekürt, Bode Miller muss wutentbrannt mit Silber vorliebnehmen. Am nächsten Tag wird dem neuen Slalomweltmeister Werner Faymann in Wien ein triumphaler Empfang bereitet und er weiß: Dies ist sein wichtigster Baustein für den Sieg bei den im kommenden Monat stattfindenden Nationalratswahlen. Nun, Werner Faymann wird 2013 bei der Ski-WM nicht die Piste hinunterfahren, sondern mit anderen PolitikerInnen auf der VIP-Tribüne stehen. Aber ersetzen wir in dem obigen Märchen Werner Faymann mit Kaiser Nero und verlegen wir die Handlung nach Olympia in das Jahr 68 n. Chr. und lassen wir den Hauptakteur statt eines Skirennens ein Wagenrennen fahren, wird aus einem Märchen überlieferte Geschichte.

Olympia als politisches Forum

Die Verflechtung von Sport und Politik blickt auf eine fast 3.000-jährige Geschichte zurück und kann spätestens mit den Anfängen der Olympischen Spiele (776 v. Chr.) belegt werden. Diese dienten von ihren Anfängen an neben dem sportlichen Wettkampf auch als politisches Forum, in dem sich Machthaber und Gelehrte öffentlich durch Ansprachen präsentierten. Um die Abhaltung der Spiele und die Sicherheit der Sportler bei der An- und Abreise zu gewährleisten, wurde um die Zeit der Wettkämpfe herum eine heilige Waffenruhe vereinbart. Wandern wir von der griechischen Antike zeitlich ein wenig vorwärts, befinden wir uns in der römischen Kaiserzeit. „Die Macht überlässt man den Feldherren und Beamten, und das gemeine römische Volk amüsiert sich bei Brot und Spielen.“ So kommentierte der römische Dichter Juvenal einst bissig die Wagenrennen und Gladiatorenkämpfe. Um Volksaufstände zu verhindern, organisierten die römischen Kaiser gigantische (und opferreiche) Sportveranstaltungen, bei denen an die verarmten Massen Brot und andere Nahrungsmittel verteilt wurden.
Sport als Mittel zum politischen Machterhalt finden wir auch im Mittelalter. Die ritterlichen Kampfspiele dienten nicht nur als militärische Kampfübungen, sondern auch der Abgrenzung des Adels gegenüber dem aufstrebenden Bürgertum. Turnierordnungen wurden erlassen, die all jene als nicht turnierfähig ausschlossen, die Handel trieben. Damit war in erster Linie das städtische Patriziat gemeint.
Der Sport in der Hand der Mächtigen, als Repräsentant des Systems – diese Logik wollten die Ende des 19. Jahrhunderts entstehenden Vereine der Arbeitersportbewegung durchbrechen. Als Teil der proletarischen Kulturbewegung hatten sie einen klaren politischen Anspruch und verstanden sich auch wertemäßig als Widerpart zum übrigen Sportsystem: Gemeinschaft und Solidarität statt Leistungsprinzip und Wettkampf, Breitensport statt Spitzensport. Höhepunkt dieser Bewegung war wohl die erste Arbeiterolympiade 1925 in Frankfurt. Im Gegensatz zu den Olympischen Spielen sollte die Arbeiterolympiade ohne nationalistische Symbolik auskommen: Der Einmarsch der rund 3.000 SportlerInnen erfolgte ohne Fahne oder andere nationalistische Abzeichen unter den Klängen der Internationalen.
Wechseln wir auf die andere Seite des politischen Spektrums: Olympische Spiele 1936 in Berlin. Am Beginn der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft standen folgende Propagandaziele: Erzeugung des Eindrucks von absoluter Friedensliebe des neuen Regimes im Ausland, Tarnung der Aufrüstungsmaßnahmen sowie Weckung und Steigerung des Wehrwillens der Bevölkerung.1 Es gab kein besseres Mittel zur Erreichung dieser Ziele als die Abhaltung von Olympischen Spielen im eigenen Land. Eine Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung war die Teilnahme der USA, der größten Sportnation. Es gab gewichtige Stimmen für einen Boykott des US-Olympiateams. In einer Kampfabstimmung über einen Boykott entschied im Dezember 1935 das nationale Olympiakomitee aber mit 58 zu 56 Stimmen für die Teilnahme.

Wettkampf der Politsysteme

Nach dem 2. Weltkrieg prägte der Kalte Krieg sowohl die internationale Politik als auch den internationalen Sport. Die US- bzw. die UdSSR-SportlerInnen sammelten Medaillen, um die Überlegenheit des jeweiligen politischen Systems zu bestätigen.
Der Wettkampfgedanke im sportlichen Sinne trat dabei völlig in den Hintergrund, Siege sollten mit allen (verbotenen) Mitteln errungen werden. Gedopt wurde (und wird) auf allen Seiten, aus bisher bekannten Quellen ragt aber das staatlich organisierte Dopingsystem der DDR ein Stück weit aus dem übrigen Dopingsumpf heraus: Schon Jugendlichen wurden von ihren TrainerInnen als Vitaminpillen getarnte Dopingmittel verabreicht. Todesfälle, schwerste Hormonstörungen, Fehlgeburten sind nur einige der Folgen. Andreas Krieger, eines von 193 staatlich anerkannten Dopingopfern, errang als Heidi Krieger für die DDR Olympiagold im Kugelstoßen. Heute sagt er: „Man hat mich meiner Biografie beraubt. Die Trainer und die Sportärzte haben Gott gespielt.“2 Von den angesprochenen Trainern und Sportärzten fanden übrigens nicht wenige nach der Wende ihren neuen Arbeitsplatz in Österreich. Jenes Land, das nach ÖSV-Präsident Schröcksnadel „a too small country to make good doping“3 ist.
Wir sind bei der Gegenwart angelangt: Nach den Olympischen Spielen sind Fußball-Weltmeisterschaften das wichtigste Sportereignis der Welt. Allein die Vergabe der Abhaltung der Weltmeisterschaften durch die FIFA (und auch von Europameisterschaften durch die UEFA) ist ein hochkomplexes Politikum.4 In den Veranstaltungsländern – vor allem wenn es sich um Staaten handelt, bei denen milliardenschwere Infrastrukturmaßnahmen (Stadionbau, Verkehr etc.) „notwendig“ sind – ergibt sich seit Jahren das gleiche Bild: Ein paar Privilegierte (z. B. Bauunternehmer) profitieren von den riesigen staatlichen Investitionen, die Allgemeinheit hat langfristig nichts davon oder leidet sogar darunter (so wurden anlässlich der WM in Südafrika 2010 rund 20.000 Menschen aus ihren Unterkünften in Slumvierteln vertrieben).
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„Unterhält, benebelt, verdummt“

Auf der anderen Seite finden wir im Fußball auch zarte Pflänzchen, die sich für die aktive Mitgestaltung der Fans bei der jeweiligen Vereinspolitik engagieren und gegen die Kommerzialisierung des Sports wenden. So setzen sich beispielsweise die Fanklubs des Hamburger Fußballvereins St. Pauli oder der Wiener Traditionsklubs Vienna und Sportklub für niedrige Eintrittspreise ein und bestimmen das Klubgeschehen positiv mit (z. B. der Ute-Bock-Cup am Wiener Sportclub-Platz).
Eine Zeitreise durch die Geschichte des Sports zeigt uns also die politische Dimension dieses Gesellschaftsbereiches, im positiven wie im negativen Sinn. Zweiteres hatte wohl Thomas Bernhard vor Augen, der einst schrieb: „Dem Sport ist zu aller Zeit und vor allem von allen Regierungen aus gutem Grund immer die größte Bedeutung beigemessen worden: er unterhält und benebelt und verdummt die Massen; und vor allem die Diktatoren wissen, warum sie immer und in jedem Fall für den Sport sind.“

1 Peter Filzmaier, Der Sport und seine politische Instrumentalisierung, 2004
2 tinyurl.com/cb499so
3 Diese Aussage stammt aus einer Pressekonferenz des ÖSV bei den Olympischen Winterspielen in Turin 2006, nachdem bei österreichischen Skisportlern Blutdoping-Utensilien sichergestellt worden waren.
4 Thomas Kistner, Die FIFA-Mafia – Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball, 2012
5 tinyurl.com/c3wy8er

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian.zickbauer@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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