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Fan-tastisch Gleichgültig ob Familie, berufliche Karriere oder Sex - alles verblasst im Vergleich zur Anbetung des heiß geliebten Fußballvereins. Das nimmt durchaus Züge religiöser Verehrung an: "Vergiss Rapid, Sportclub ist die wahre Religion", so einmal ein Fan des
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Fan-tastisch

Schwerpunkt

Fußball ohne Fans? Das wäre so spannend wie ein lebenslanges 0:0 ohne Verlängerung. Über das Wechselspiel zwischen rundem Leder und seinen AnhängerInnen.

Masse und Macht: Das Spiel mit den meisten ZuschauerInnen bei einer Fußball-Weltmeisterschaft war das Match Brasilien gegen Uruguay (1:2) im Jahre 1950, rund 200.000 Menschen drängten sich ins brechend volle Maracanã-Stadion. Die beim Publikum insgesamt erfolgreichste WM fand wiederum 1994 in den USA statt, knapp 3,6 Mio. ZuseherInnen sahen 52 Spiele, was einem Schnitt von 68.991 pro Partie entspricht. Wohlgemerkt, hier handelt es sich lediglich um die Fußballbegeisterten, die vor Ort in den Arenen mitjubelten. Vor den TV-Geräten verfolgen regelmäßig hunderte Millionen Menschen Großereignisse wie Fußball-WM oder EM. Alleine das Weltmeisterschafts-Finale 1998 Frankreich vs. Brasilien (3:0) bannte eine Mrd. ZuseherInnen vor die Mattscheibe. Neben diesen Highlights lockt aber auch der „Fußballalltag“ mit Meisterschaft, Cup und Co die Massen an: Internationale Top-Klubs wie der FC Barcelona, Real Madrid, Manchester United oder Borussia Dortmund werden bei jedem Heimspiel von 70.000 bis 80.000 Fans angefeuert.

Das unbekannte Wesen

Wer sind die Fans und wodurch unterscheiden sie sich von der breiten Masse der interessierten (TV-)KonsumentInnen? Eine Reihe von Definitionen beschreiben Fans als Personen, die eine übersteigerte emotionale Beziehung zu ihren „Fanobjekten“ aufweisen. Der Begriff Fan ist die Kurzform des englischen „fanatic“, „Fanatiker“, also laut Duden jemand, der von bestimmten Ideen, einer bestimmten Weltanschauung oder Ähnlichem so überzeugt ist, dass er sich leidenschaftlich, mit blindem Eifer (und rücksichtslos) dafür einsetzt. (Die genannte Rücksichtslosigkeit kann auch zu Hooliganismus führen, ein Phänomen, das auf den nächsten beiden Seiten dieser Ausgabe behandelt wird.) In der soziologischen Theorie bestimmen sich Fans weiters durch Verabsolutierung der Wertschätzung einer Person oder eines Gegenstands, verbunden mit der Abwertung aller anderen Ziele und eigener Bedürfnisse. Demnach könnten Fans letztlich als pathologische Charaktere bezeichnet werden, die alle Lebensbereiche ihrem Fanatismus unterordnen. Interessanterweise schildert Nick Hornby in dem Bestseller „Fever Pitch“ sein eigenes Dasein als Arsenal-Fan unter diesem nicht gerade schmeichelhaften Aspekt: Gleichgültig ob Familie, berufliche Karriere oder Sex – alles verblasst im Vergleich zur Anbetung des heiß geliebten Fußballvereins. Das nimmt durchaus Züge religiöser Verehrung an: „Vergiss Rapid, Sportclub ist die wahre Religion“, so einmal ein Fan des Wiener Sportclubs zum Autor dieser Zeilen. Als Konter kann eine quasi-klerikale Textpassage aus der Rapid-Hymne gelten: „Rapid, des Größte auf der Wöd, des anzige, wos zöhlt, (...) Rapid! Du bist der Sinn in meinem Leben!“ Nimmt man solche Aussagen tierisch ernst, drängt sich tatsächlich die Diagnose der seelischen und psychischen Verwirrung der Fans auf. So weit sollte man aber nicht gehen, wie auch Jochen Roose, Mike S. Schäfer und Thomas Schmidt-Lux, Herausgeber von „Fans. Soziologische Perspektiven“, meinen: „Zum einen halten wir es nicht für sinnvoll, Fans zu pathologisieren. Auch wenn etymologische Wurzeln des Begriffs im Fanatismus liegen mögen, so hat er sich doch zumindest im deutschen Sprachraum so weit verselbstständigt, dass eine wertfreie Fassung des Terminus möglich und sinnvoll ist. Zum anderen gilt es, eine Psychologisierung des Begriffs zu vermeiden.“ Ob ein Fan durch einen bestimmten Charakterzug gekennzeichnet ist, sei laut den Autoren nämlich von Fall zu Fall empirisch zu klären.

Leidenschaftliche Beziehung

Bei einer soziologischen Fan-Definition sollten nicht die individuellen Charakterzüge einzelner Menschen im Mittelpunkt stehen, sondern die Charakteristika von deren spezieller Beziehung zu einer anderen Person, Personengruppe oder einem anderen Gegenstand – dem Fanobjekt.  Roose, Schäfer und Schmidt-Lux schlagen folgende Definition vor: „Wir verstehen Fans als Menschen, die längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Zeit und/oder Geld investieren.“ Wie wir sehen, wird hier das Fanobjekt (das nicht mit dem runden Leder ident sein muss) in zweierlei Weise spezifiziert, um die Fan-Leidenschaft von anderen Beziehungen zu unterscheiden. Das Fanobjekt liegt extern, damit lässt sich das Fan-Sein von Freizeitaktivitäten abgrenzen, bei denen Menschen selbst aktiv sind. Anschauliches Beispiel: Ich bin nicht Fan der Hobby-Fußballmannschaft, in der ich selbst (wenn auch mit Begeisterung) kicke. Außerdem ist das Fanobjekt öffentlich – das unterscheidet Fantum etwa von Freundschaften und Liebesbeziehungen, die ja im Privaten stattfinden.

Fantum oft mit Sport verbunden

Dabei ist es sinnvoll, Fans von gelegentlichen ZuschauerInnen zu unterscheiden, die zwar mitunter fleißig applaudieren, diese emotionale Beziehung mit dem Verlassen des Fußballspiels oder Konzertsaals aber bereits wieder abgelegt haben. Die Fanobjekte können neben Fußball auch Rockstars, SchauspielerInnen, Automarken und Computer-Spiele etc. sein. Dennoch wird Fantum in erster Linie mit Sport assoziiert, was auch eine Internetbefragung von Roose/Schäfer/Schmidt-Lux bestätigt: 55,6 Prozent der TeilnehmerInnen bezeichneten sich als Sport-Fans, auf den Plätzen folgten Musik (24,5 Prozent), Film (9,5 Prozent), Buch (4,1 Prozent) und Sonstiges (6,3 Prozent).
Innerhalb des Bereichs Sport, zieht wiederum der Fußball die meisten Fans an. Roman Horak, Professor an der Universität für angewandete Kunst, hat sich intensiv mit dem Thema Fußball und Populärkultur beschäftigt. Er versucht eine Erklärung: „Fußball ist einfach konzipiert, die Regeln sind leicht zu verstehen und es bedarf praktisch keines Aufwands, um Fußball zu spielen. Da reicht eine mehr oder weniger gerade Fläche, schon mit zwei oder drei Leuten kann der Spaß losgehen. In Wirklichkeit braucht man nicht einmal einen richtigen Ball, das vielzitierte ,Fetzenlaberl‘ oder Ähnliches ist ausreichend.“ Im Gegensatz erfordern beispielsweise Eishockey oder American Football aufwendiges Equipment, das Verstehen des komplexen Regelwerks lässt ebenfalls so manche/n potenziell Sportinteressierte/n aussteigen. Auch sind diese Mannschaftssportarten durch viel häufigere Unterbrechungen gekennzeichnet als der Fußball. Man könnte noch hinzufügen, dass Eishockey, American Football oder Handball unter gewissen Inflationstendenzen, sprich einer „Tor- bzw. Punkteflut“ leiden. Denn welche dieser Sportarten geht schon einmal 0:0 aus? Im Fußball ist das zwar auch nicht das gewünschte, aber kein unwahrscheinliches Resultat, dafür lässt jedes Tor als Ereignis das Herz des Fußball-Fans höher schlagen.

Archaisches Feld

Dabei ist laut Horak Fußball trotz oder gerade wegen seiner einfachen Spielweise überaus facettenreich und – ein besonders interessanter Aspekt – es zeichnet sich durch mangelnde Kontrolle durch die Schiedsrichter aus. Horak: „Das kleine Referee-Team kann das große Spielfeld in Wirklichkeit nur mangelhaft überblicken, das führt immer wieder zu fehlerhaften oder zumindest strittigen Entscheidungen. Gerade deshalb lässt sich aber über Fußball stundenlang diskutieren, einzelne Spiele und Situation bleiben über Jahrzehnte hinweg im Gedächtnis der Fans.“ Deswegen ist Fußball-Fan Horak nicht begeistert von diskutierten technischen Neuerungen, wie einer automatischen Toranzeige mittels Chip oder Kamera: „Es ist zu befürchten, dass so ein gewisser Reiz dieser Sportart verloren geht.“ Die politische Bedeutung des Fußballs möchte Horak nicht kleinreden, aber auch nicht überschätzt wissen: „Dieser Sport dient sicher der Identifikation und weist eine gewisse Ablenkungs- sowie Unterhaltungsfunktion für die breite Masse auf. Im Sinne „Brot und Spiele“ für das Volk sind moderne Massenmedien und soziale Netzwerke im Internet heute aber viel bedeutender.“ Klar, der Facebook-Fan muss sich gar nicht bewegen, nicht mal mehr auf den Fußballplatz.

Internet:
Mehr Infos unter: www.fussballfans.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor haraldkolerus@yahoo.com
oder die Redaktion aw@oegb.at

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