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Wachstum als Problemlöser Vor allem seit dem Erdölschock der 1970er-Jahre konnte mit technologischen und nichttechnologischen Innovationen eine relative Entkoppelung des Energie- und Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum erzielt werden, absolut ist jener aber gestiegen.

Wachstum als Problemlöser?

Schwerpunkt

Stetig auf Steigerungen des Bruttoinlandsprodukts zu schielen kann nicht die einzige Antwort auf die Krise sein.

Die betroffenen Reaktionen auf den Konjunktureinbruch des heurigen Jahres und die immer lauter werdenden Rufe nach Wachstumsankurbelung zeigen es. Noch immer gilt ein einziger Indikator, nämlich das BIP-Wachstum, also die Steigerungsrate des Bruttoinlandsprodukts, als Zielgröße (wirtschafts-)politischen Handelns und als Ausweis für dessen Erfolg. Wenn auch mittlerweile mit Adjektiven wie „intelligent, nachhaltig und integrativ“ („Europa 2020“) versehen, ist dies eine sehr undifferenzierte Maßzahl, die nicht zwischen Wünschenswertem und Abzulehnendem unterscheidet. Mit dem kategorischen „Mehr Wachstum!“ wird jede Diskussion über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Wirtschaftswachstum ebenso wie die Frage nach seinem überhaupt noch erreichbaren Ausmaß in den Hintergrund gedrängt.

Dabei soll nicht behauptet werden, dass kein oder nur schwaches Wirtschaftswachstum nicht eine Reihe von Problemen mit sich bringt. Augenscheinlichstes Beispiel ist die zurzeit in ganz Europa steigende Arbeitslosigkeit. Natürlich sind auch die Konsolidierung der Staatsfinanzen und die Herausforderungen des demografischen Wandels in Zeiten einer boomenden Konjunktur leichter zu bewältigen als in der aktuellen Flaute. Dass global gesehen in vielen Ländern die Volkswirtschaften zu wenig leistungsfähig sind, um elementare Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung befriedigen zu können, und daher wachsen müssen, soll ebenfalls außer Zweifel gestellt werden.
Dennoch wäre es schon allein aus Gründen der offensichtlich schrumpfenden Wachstumspotenziale hochentwickelter Volkswirtschaften angebracht, ihre Orientierung an und ihre Abhängigkeit von hohem BIP-Wachstum zu hinterfragen. Die WirtschaftsforscherInnen gehen zwar von einer leichten Erholung der Konjunktur ab 2013 aus, die angestrebte und als notwendig erachtete Dynamik lässt sich jedoch nicht erkennen. Das Institut für Höhere Studien (IHS) beispielsweise erwartet in seiner jüngsten mittelfristigen Prognose für die Jahre 2012 bis 2016, dass in diesem Zeitraum das österreichische BIP pro Jahr um nicht mehr als 1,7 Prozent und damit um ein Drittel langsamer als im Durchschnitt der drei Jahrzehnte vor 2009 wachsen wird. Berücksichtigt man zusätzlich die in der Finanz- und Wirtschaftskrise entstandenen Verluste an Wirtschaftsleistung, wird zwischen 2008 und 2016 die durchschnittliche Wachstumsrate nur halb so hoch wie in der Vergangenheit sein.

Bescheidene Wachstumsaussichten

Österreich steht damit in der industrialisierten Welt nicht allein. Aufgrund der bekannten Probleme sind die Wachstumsaussichten des gesamten Euroraumes zumindest auf einige Jahre hinaus bescheiden, und Österreich wird hier in Zukunft sogar zu den überdurchschnittlich wachsenden Ländern zählen. Die japanische Wirtschaft ist schon in den letzten zwanzig Jahren nur noch um weniger als ein Prozent pro Jahr gewachsen und hat keine besseren Perspektiven als Europa. Auch die Dynamik der US-Ökonomie hat nachgelassen. Es wäre also Zeit für einen Plan B, der nicht allein auf Wachstum setzt und zum Beispiel Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung als Beiträge zur Lösung der Beschäftigungs- bzw. Verschuldungsfrage ernsthaft ins Spiel bringt.

Generation Praktikum

Selbst ein hohes und rasch wachsendes BIP löst nicht automatisch soziale Probleme. Die „Generation Praktikum“ etwa ist bereits in Zeiten der Hochkonjunktur entstanden. Bei der Armut in reichen Gesellschaften handelt es sich nicht um die Folge eines absoluten Mangels an Gütern und Dienstleistungen. Sie ist ebenso wie die sinkende Lohnquote eine Verteilungsfrage. Daher nützt es beispielsweise einem US-Amerikaner der untersten Einkommensgruppe nichts, in einem Land mit einem doppelt so hohen Pro-Kopf-BIP zu leben wie ein vergleichbarer Bürger Tschechiens. Er verfügt absolut über kein höheres Einkommen als dieser.
Spätestens seit dem ersten Bericht des „Club of Rome“ aus den 1970er-Jahren wissen wir auch, dass in einer begrenzten Welt mit endlichen Vorräten an natürlichen Ressourcen dem Wirtschaftswachstum Grenzen gesetzt sind. Diese können zwar über Substituierung nicht erneuerbarer durch erneuerbare Rohstoffe und Energieträger, Effizienzsteigerungen bei ihrer Nutzung und Umweltschutzmaßnahmen hinausgeschoben, aber nicht gänzlich aufgehoben werden. Vor allem seit dem Erdölschock der 1970er-Jahre konnte mit technologischen und nichttechnologischen Innovationen eine relative Entkoppelung des Energie- und Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum erzielt werden, absolut ist jener aber gestiegen. Auch beißt sich die Katze in den Schwanz: Die Verteuerung des Erdöls war eine der wichtigsten Ursachen für die in den 1970er-Jahren langfristig geringer gewordenen Wachstumsraten. Steigende Nachfrage durch Wachstum führt aber tendenziell zu höheren Preisen und alternative Energieformen sind in der Regel teurer als konventionelle. Insofern harren auch die von den ProponentInnen der „Green Economy“ für die gesamte Volkswirtschaft in Aussicht gestellten Wachstumsimpulse durch Umweltinvestitionen der praktischen Erprobung. Zu bedenken ist dabei außerdem, dass die österreichische Volkswirtschaft heute doppelt so leistungsfähig ist wie zu Beginn der 1980er-Jahre, daher auch der doppelte zusätzliche Output an Gütern und Dienstleistungen zur Erzielung der gleichen Wachstumsrate notwendig ist.

Nachhaltige Entwicklung

Fragen des Wirtschaftswachstums und seiner Ausgestaltung waren von Anfang an Teil globalen Diskurses über nachhaltige Entwicklung. Er erlebte 1987 mit dem Bericht der „Brundtland-Kommission“, der die bisher wohl am weitesten verbreitete und akzeptierte Definition enthält, einen ersten Höhepunkt. Danach ist eine Entwicklung nachhaltig, wenn sie gewährleistet, dass die Bedürfnisse der heute lebenden Generationen befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen. Damit wurde die Nachhaltigkeitsdiskussion aus der ökologischen Ecke herausgeführt und die soziale (gesellschaftlicher Ausgleich und Zusammenhalt) und ökonomische (Funktionsfähigkeit der Wirtschaft) Dimension einbezogen, aber auch die Verträglichkeit von Wirtschaftswachstum oder Nicht-Wachstum mit anderen Zielsetzungen zum Thema gemacht. Gleichzeitig drückt diese Formel aus, dass nachhaltige Politik auch immer auf die Interessen der jeweils jüngeren Generationen Rücksicht zu nehmen hat. Darauf gründet die Nachhaltigkeitsstrategie der EU aus dem Jahr 2006, die allerdings in der Praxis gegenüber der Wachstums- und Wettbewerbsstrategie „Europa 2020“ klar zweitrangig ist, ebenso wie jene der österreichischen Bundesregierung aus dem Jahr 2002, deren aktualisierte und überarbeitete Fassung noch heuer vom Ministerrat beschlossen werden soll.
Der Wachstumsdiskurs hat im Jahr 2007 durch die vom damaligen französischen Präsidenten Sarkozy installierte „Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress“ der Ökonomen Stiglitz, Sen und Fitoussi und die darauf aufbauenden Initiativen von EU und OECD – zuletzt auch von der Statistik Austria – entscheidende Impulse erhalten. Ihnen ist das Ziel gemeinsam, über das BIP hinausgehend wirtschaftliche, soziale und ökologische Indikatoren zur Messung von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und gesellschaftlichem Fortschritt zu entwickeln.

Paradigmenwechsel notwendig

Diese Projekte und der Nachhaltigkeitsdiskurs könnten auch zu einer rationaleren Haltung gegenüber dem Wirtschaftswachstum beitragen. Es sollte weder verdammt und regulativ einzudämmen versucht werden, wie es radikale VertreterInnen der „Steady State Economy“ fordern, noch als unverzichtbares Instrument zur Lösung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Probleme oder gar als prioritäres Ziel der Wirtschaftspolitik betrachtet werden. Notwendig ist vor allem ein differenzierterer Wachstumsbegriff, der nicht allein von den Marktkräften bestimmt werden kann, und seine Einbettung in eine ganzheitliche Sicht menschlicher Entwicklung. Voraussetzung dafür ist ein Paradigmenwechsel auf Basis eines gesellschaftlichen Dialogs. Dieser wird nicht nur auf österreichischer, sondern auch auf europäischer Ebene geführt werden müssen.

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor robert.stoeger@bka.gv.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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